Hallo alle zusammen,
Darf ich euch von meiner zwei Tage alten Trennung erzählen? In erster Linie, weil ich mir das alles noch einmal von der Seele schreiben muss, trotz bereits langer Gespräche. Aber Meinungen sind gerne gewünscht. Ich fühle mich nicht gut mit der aktuellen Situation und ich habe auch Angst, gerade Fehler zu machen.
Wir (beide um die 30 Jahre alt, keine Kinder oder gemeinsamen Besitztümer) waren jetzt etwas über ein Jahr zusammen. Zusammengeführt haben uns gemeinsame Interessen und geteilte Werte im Leben. Wir haben in der relativ kurzen Zeit unserer Beziehung unglaublich viel unternommen und erlebt, Reisen, Sport, Konzerte, Festivals. Aber das Jahr bestand insgesamt aus Ups und auch Downs und wechselseitiger Unterstützung. Ich bin in ein sehr toxisches Arbeitsumfeld geraten und gleichzeitig lange körperlich krank gewesen, eine Infektion nach der anderen. Insgesamt haben mich Druck und Versagensängste so belastet, dass ich eine zwei Monate lange Phase hatte, in der ich selbst psychiatrische Intervention nötig hatte. Ich bin froh und sehr stolz darauf, dass ich nötige Grenzen gesetzt habe, den Job gewechselt habe und diesen Sommer wieder extrem optimistisch gegenüber der Zukunft war, so unbeschwert wie selten. Er war dabei die ganze Zeit an meiner Seite, selbst in den schlaflosesten Nächten haben wir zusammen Hörbücher gehört. Dafür bin ich ihm unglaublich dankbar.
Er selbst hat eine schwere Zeit durchgemacht, als er rausfand, dass ein sehr guter Freund eine Affäre mit seiner Ex (4 Jahre seit der Trennung) begonnen hat. Herausgefunden hat er das auch noch auf ziemlich dramatische Weise, es war ein großer Vertrauensbruch für ihn.
Das war ein Auslöser, der seine langjährig therapierte Depression wieder voll entfacht hat. Die Therapiesitzungen wurden darauf hin wieder häufiger und intensiver.
Das Leben ist für ihn allerdings erst mal nicht leichter geworden, er hat angefangen, Freundschaften und Bekanntschaften von sich zu stoßen, zum Teil weil er sehr unangenehm rüpelhaft ihnen gegenüber wurde, zum Teil indem er den Kontakt einfach abgebrochen hat. Sein Job hat ihn irgendwann unglücklich gemacht und er hat dahingehend Veränderungen eingeleitet, aber statt mit Erleichterung ging das eher mit neuen Versagensängsten einher. Nach etwa 9 Monaten dieser Entwicklung, ist der Scherbenhaufen endgültig eingescheppert, als er mich mitten in der Nacht anrief und mir von Suizidgedanken erzählte. Notfallmaßnahmen wurden eingeleitet, und langfristig wurde gemeinsam mit seiner Therapeutin ein Aufenthalt in einer psychosomatischen Rehaklinik am anderen Ende des Landes geplant. Ich habe damals viele Anrufe für ihn getätigt und Termine ausgemacht, weil er einfach so am Boden war.
Er hat 6 Wochen in dieser Klinik verbracht, der Kontakt wurde Tag für Tag immer spärlicher, und verlassen hat er den Ort mit einer brandneuen Diagnose im Gepäck: Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Den ersten Tag nach der Klinik hat er direkt genutzt, um mit mir Schluss zu machen.
Aus drei Gründen:
1) Er sagt, er muss sich selbst schützen, weil mich emotional zu unterstützen für ihn in seiner Situation gerade nicht stemmbar wäre. Er sagt, er muss an seiner Depression arbeiten. Dieser Grund hat mich erst mal ganz schön verwirrt, vor allem nach dem massiven Support, den ich ihm in der Zeit vor der Reha habe zukommen lassen. Außerdem meinte er, ich hätte zu viele Probleme im Leben und hat dabei Faktoren aufgezählt, die momentan definitiv kein Problem für mich darstellen, und in die er definitiv nie involviert war. Meine Mutter zum Beispiel. Aber ich habe ihm da mal nicht widersprochen weil, naja, wenn er es nunmal so sieht.
2) Ich hätte emotionale Bedürfnisse, denen er nicht gerecht werden kann. Zum Beispiel regelmäßige Worte der Zuneigung und Bestätigung, wenn wir uns lange nicht sehen. Er sagt er kann das nicht, weil er mich nicht so liebt wie ich ihn liebe, und weil es ihm schwer fällt, Liebe verbal auszudrücken. Er brauchte schon immer viel Zeit allein für sich, und ich hatte oft Probleme, das zu verstehen, was definitiv auf meinen eigenen Unsicherheiten beruht. Allerdings hat er mir während des Trennungsgesprächs gesagt, dass er es nicht mag wenn jemand Ich vermisse dich sagt, weil er es als Anschuldigung versteht. Also muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich glaube ich nicht die einzige mit Bindungsproblemen in dieser Konstellation bin.
3) Wir streiten viel und das zehrt an ihm. Und das kann ich absolut nachvollziehen, in diesen Momenten habe ich die Beziehung auch schon in Frage gestellt. Er hat ein starkes Kontrollbedürfnis und die Angewohnheit, Interessen, Bedürfnisse und Aussehen/Kleidung von mir und anderen schlecht zu reden, und ich habe das sehr selten auf mir sitzen lassen und habe häufig deutlich gemacht, wenn mir etwas zu weit ging. Ich habe diese Angewohnheiten immer auf ein niedriges Selbstwertgefühl geschoben, aber im Nachhinein erkenne ich, worin die Narzissmus-Diagnose begründet sein könnte.
Andere Streits hatten damit zu tun, dass ich zu anhänglich wurde, was ich definitiv sein kann. Ich brauche Bestätigung und viel Zeit mit meinem Partner, ich drücke meine Liebe gerne verbal aus, und unsere Bedürfnisse waren da oft nicht kompatibel.
So sieht nun auf jeden Fall die aktuelle Situation aus:
Ich wollte nie Schluss machen, und bin auch erst mal sehr emotional geworden. Ich hänge natürlich an ihm, er war ein großer Teil meines Lebens und bisher immer verständnisvoll, wenn auch eine schwierige Persönlichkeit. Aber ich kann einigen seiner Gründe zustimmen. Er möchte den Kontakt aufrechterhalten, Freunde bleiben, und ich glaube, das möchte ich grundsätzlich auch. Ich habe noch nie versucht, mit einem Ex befreundet zu bleiben, aber ich möchte mir keine gemeinsamen Unternehmungen mit ihm entgehen lassen, zum Beispiel haben wir noch Konzerte geplant und wir haben beide einen ziemlich nischigen Geschmack in Sachen Musik. Ich denke, ich bin rational genug, um zu sehen, dass ich irgendwie Glück habe, dass diese Beziehung beendet ist. Er hat uns damit einen Gefallen getan. Auch der S. war nicht so toll (ich habe ihn wirklich nicht vermisst) und wenn ich mir vorstelle, dass er wieder neue Frauen treffen würde, empfinde ich nur Mitleid mit den anderen Mädchen. Ich hoffe, dass sie nicht auf seine Manipulationstaktiken hereinfallen, die bei mir zum Glück selten funktioniert haben. Vielleicht bin ich aber auch momentan nur in einer wütenden Phase der Trennung, und diese Ansichten ändern sich noch einmal.
Aber ich weiß, dass ich einige Zeit, mindestens ein paar Monate, brauchen werde, um bestimmte Erkenntnisse und Einstellungen zu verinnerlichen. Offensichtlich hat sich mein Alltag jetzt erst mal nachhaltig stark verändert. Ich kann ihn nicht einfach in ein paar Tagen wiedersehen, und werde auf Abstand gehen.
Ich mache mir allerdings große Sorgen um ihn. Mich zu verlieren bedeutet für ihn, die derzeit größte Stütze in seinem Leben zu verlieren. Das habe ich ihm so auch klar gesagt, und er hat mir zugestimmt. Im Moment hat er außer seinem besten Freund niemanden, der ihm nahe steht, und selbst die Freundschaft zwischen den beiden ist angespannt. Ich habe gesehen, wie sie ihre Streits führen und ich weiß, dass kleine Kränkungen ausreichen, damit sie wochenlang nicht miteinander reden.
Er hat derzeit keine Therapeutin mehr, die Versicherung zahlt keine weiteren Sitzungen. Er ist auf der Suche nach einem Psychiater, aber keiner in dieser Stadt hat Kapazitäten für neue Patienten.
Ich mache mir Sorgen, weil ich das Gefühl habe, dass er nach seinem Klinikaufenthalt noch nicht wieder in der Realität angekommen ist, aber schon extreme Entscheidungen trifft. Er wird nächste Woche wieder mit der Arbeit anfangen und ich habe Angst, dass die Frustration und das Fehlen seines Support-Netzwerks ihn einholen werden.
Ich war für ihn da in der Nacht, als er völlig am Boden war, und ich bin mir nicht sicher, bei wem er sich momentan melden kann.
Ich weiß, dass er diesen extremen Drang verspürt, allein zu sein, den ich nie im Geringsten verstanden habe. Er hat in seiner Vergangenheit so viele Menschen von sich gestoßen und jetzt auch mich. Ich verstehe es nicht, ich glaube, dass dieses Selbst-Isolieren ein ungesunder Coping-Mechanismus ist.
08.11.2023 00:50 •
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