Hallo Natuna,
ich habe auch einen stationären Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik hinter mir (2017) und möchte dir sagen: Dort läuft das Leben ganz anders ab - wie unter einer Käseglocke. Auch ich habe mich damals verliebt und bin da mit einer Frau tanzend aus der Reha gegangen.
Als erstes solltest du mehrere Dinge wissen:
- Als erstes und als wichtigstes solltest du wissen, dass eine Sucht bzw. das suchtmittel über allem steht. Dagegen kannst du nicht gewinnen, nicht eure Familie und auch nicht eure Tochter, usw. NICHTS kommt dagegen an, solange der/die Betroffene nicht das Suchtverhalten sieht und es aktiv angehen möchte. Ich war selbst mit einer Alk. zusammen und habe es viel zu spät erst erkannt.
- Alk. ist ein Symptom, keine Ursache. Es hilft beim Verdrängen negativer Gedanken und Gefühle. Glücklicherweise war der Alk. keines meiner Probleme, obwohl ich schon gerne hier und da mal ein B. trinke. Darum würde ich das auch nicht als sein Grundproblem sehen - allerdings als arrondierendes Problem, was natürlich starken Einfluss auf seine/deine Umwelt hat.
- Google mal den Begriff Kurschatten - es passiert sehr häufig, denn nicht alle Menschen können mit dem wirklich umgehen, was sie dort in den verschiedenen Therapieangeboten lernen bzw. was ihnen aufgezeigt wird.
Genau das möchte ich weiter ausführen, weil das etwas ist, was dir vielleicht beim Verstehen helfen kann.
Es gibt Menschen und das sind nicht wenige, die sind nach/seit einer Weile wieder sehr klar im Kopf, wenn sie ihre betäubenden Substanzen weglassen (müssen). Ich schreibe klar in Anführungszeichen, weil es genau das ist, was überwältigend für sie ist - also ohne Betäubung durch den Tag schreiten. Das ändert Gefühle und Gedanken. Wohlgemerkt: es ändert sie, sie werden nicht verbessert, eher im Gegenteil.... die Verdrängung und Betäubung fehlt und das grundsätzliche Problem der Negativität (in Emotionen und Gedanken), Energielosigkeit, usw. tritt (wieder) hervor.
Vor meiner Aufnahme in die stationäre Therapie wurde ein Alk. und ein Dro. bei mir durchgeführt. Beides sollte negativ sein, damit ich dort aufgenommen werde und damit aus Sicht der Klinik eine erfolgreiche Therapie angeboten werden konnte. Dass in der Klinik weder Alk. noch Dro. akzeptabel waren, ist selbstverständlich.
Soll heissen: Du bist dort erstmal alleine mit deinem Problem, auch wenn vom ersten Tag an Mitpatienten/Personal für dich da sein KÖNNEN. Da aber neue Umgebung, kein Vertrauensverhältnis zu diesen neuen Menschen besteht, so ist es oft so (habe ich bei mir gesehen und bei vielen Patienten, die in meiner Zeit kamen und gingen) dass diese Menschen sich erstmal zurückgezogen haben - keine Betäubung war möglich und dann versuchten viele erstmal ihre Lieben, also Bezugspersonen per Handy zu kontaktieren.
Ich bin mir sicher, dass wenn es nicht den Zwang gegeben hätte, die Therapiestunden aufzusuchen, es viele nicht getan hätten. Aber da folgte behutsam die Öffnung durch die Therapeuten und auch ich begann zu reden. Man verbrachte den Tag mit den Mitpatienten und wurde immer *beep* in seinen Gedanken und Emotionen. Nicht vergessen - das Umfeld ist wie unter einer Käseglocke. Das ist nicht die echte Welt, nicht der Alltag. Es kam mir teils vor, nicht wie nur Urlaub von meinem normalen Leben sondern auch von mir und meiner Gedankenwelt. Ich kann dir sagen: Dort war ich ein anderer Mensch nach ca. 3-4 Wochen. Auch anderen Patienten erging es so. Woher ich das weiß? Weil wir uns untereinander vor allem emotional und gedanklich n*ckt gemacht haben. Man hat vertrauen gefasst, weil auf einmal da Menschen waren, die dieselben oder ähnlich Probleme hatten. Es gab einfach viel Verständnis, keine Scham, wenig bis keine Zurückhaltung und vor allem auch klare Gedanken. Letzteres durch die Arbeit mit den Therapeuten und deren Angeboten. Die Blinden Flecke wurden einem aufgezeigt und man bekam neuen Input. Das vergessen immer sehr viele Menschen in ihrer eigenen Reflexionsfähigkeit und dadurch drehen sie sich nicht selten im Kreis: Gewisse Muster, Verhaltensweisen, Gedankenstrukturen, usw. KÖNNEN wir NICHT selbst erkennen, durch eben genau diese blinden Flecken.
Nun versetze dich in diese Lage: Betäubungsmittelfrei, neue Denkanstöße, teils dadurch heftige emotionale Reaktionen, Menschen mit denen du rund um die Uhr zu tun hast und denen es ähnlich geht und mit denen du Vertrauen aufbaust.
Nun kommen wir zum Knackpunkt: Genau HIER lauert eben die Gefahr sein bisheriges Leben komplett (!) infrage zu stellen. Neue (Selbst-)erkenntnisse werden euphorisch aufgenommen, weil sie so vieles vermeintlich erklären können, was bisher falsch gelaufen ist im Leben. Und ja, oft wird in diesen Therapiesitzungen auch die Partnerschaft hinterfragt und infrage gestellt. Was sind die großen Einflussfaktoren im Leben eines Menschen? - Partnerschaft, Freizeit, Job.
Dort wird alles beleuchtet. Oft ist es aber eben nicht der Partner der eben auch einer der großen Einflussfaktoren im Leben ist, der das Leben vermeintlich erschwert und (auch) zu psychologischen Erkrankungen oder Problemen führt. Und hier trennt sich meiner Meinung nach die Spreu vom Weizen bei den Therapeuten:
Jede (langjährige) Partnerschaft hat ihre Problemen und Konflikte. Aber wenn ein Patient dort berichtet, ist das logischerweise oft höchst einseitig. Der Partner wird nicht gehört. Und es wird eben nicht selten bei den Spreu-Therapeuten die Partnerschaft infrage gestellt. Gute Therapeuten versuchen dort die Konflikte zu erkennen und Lösungsansätze auch in der eigenen Bewertung der Patienten von Konflikten zu erörtern.
Allerdings gibt es eben auch den Ansatz (Gespräche mit zwei Therapeuten), dass nicht der Partner Patient ist, sondern der Mensch der vor ihm sitzt und da kann es dann auch mal um einfache und schnelle Problemabschichtung des Patienten gehen. Also die radikale Variante.
Aber zurück zu dir: Ich glaube dein Mann hat sich in etwas verrannt, da er glaubt (da bin ich sehr sicher), dass DU, die Familie, Haus und Job an seiner Erkrankung/schlechtem Leben schuld sind und er ja eine Frau getroffen hat, die ihr soooo gut versteht und totale Seelenverwandtschaft herrscht. Ist ein absoluter Trugschluss. Ich gebe dieser Verbindung keine 3 Monate. Denn außerhalb der Käseglocke gibt es Zwänge ud Pflichten, die ein jeder Mensch hat. Job, Wohnung, Familie, Finanzielle Umstände jedweder Art.... Das sieht er alles derzeit in seiner Euphorie nicht. Er glaubt, nun die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, alle seine Probleme und Nöte sind identifiziert und er kann sie einfach wegschneiden. Blöderweise läuft das eben nicht so einfach - Die Welt außerhalb der Käseglocke ist eine andere, genauso wie er außerhalb ein anderer ist und auch seine Kurschatten-Frau. Ohne weitere therapeutische Begleitung wird er ganz schnell wieder in seine Muster verfallen und sehr schnell auch wieder bei dir auf der Matte stehen, so wie auch sein Kurschatten bei ihrem Ehemann.
Das ist eben die ganz große Gefahr bei Spreu-Therapeuten (die auf diesen Umstand nicht deutlich genug hinweisen) und guten Therapeuten die auch sagen: Bitte kein überbordender Aktionismus. Meist ist es so, dass du mit dem Hinweis entlassen wirst, dass der stationäre Aufenthalt der Anfang war und du eine ambulante Therapie weitermachen solltest. Tja, aber die Wartelisten sind voll, die Euphorie der Patienten denen es dann erstmal sehr gut geht bei der Entlassung ist maßlos.... da entsteht gerne ein Gap von bis zu einem Jahr bis der neue Therapeut gefunden ist und die Euphorie bremsen kann.
Ich glaube, viel mehr muss ich dir dazu gar nicht erzählen. Ich hoffe, du kannst ihn nun besser verstehen und ich wette einiges darauf, dass er bald wieder bei dir sein wird. Was aber seine Probleme angeht (und damit meine ich nicht nur das Symptom mit dem Alk.) - die sollte er weiter bearbeiten. Ob du ihm eine Chance bei seiner Rückkehr einräumst, hängt davon ab, was du möchtest. Allerdings würde ich ihn ohne weitere Behandlung nicht zurücknehmen und auch ihn aus dem Grundbuch und den Kredit tilgen lassen. So bist du nicht mehr Spielball eines (derzeit) Menschen in der Maniephase.
Denk auch daran, eure Tochter zu schützen. Derzeit ist er nicht er selbst, vergiss das bitte nicht. Das ist wohl die wichtigste Aussage, die ich dir mit meinem Roman mitgeben möchte.
21.07.2022 11:34 •
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