Zitat von Rheinfee: was war euer Punkt wo ihr für euch den Mut/die Kraft hattet zu sagen: so kann es nicht mehr gehen, das kann ich einfach nicht mehr und will ich nicht mehr?
Also von Mut und Kraft kann überhaupt keine Rede sein. Ich war verzweifelt, grenzenlos verzweifelt und unglücklich, wenn ich heute daran zurück denke, schüttelt es mich, und mir wurde klar, daß, obwohl ich es echt versucht hatte und zwar immer und immer und immer wieder, keiner meiner ach so tollen neuen Versuche, irgendetwas grundlegend an der Situation geändert haben.
Das war der Moment, in dem ich mich entschloss, eine email an eine mir empfohlene Therapeutin zu schreiben (hab mich nicht getraut anzurufen).
Dann gab es ein Erstgespräch, ich fand die abgrundtief doof, aber sie wirkte kompetent auf mich und ich dachte mir, na gut dann kann ich hinterher sagen, ich hätte es eh auch mit Therapie versucht.
Die ersten zwei oder drei Jahre haben wir uns jedes Mal mit den Worten verabschiedet, ich weiß nicht, ob ich das nächste Mal komme und sie sagte, Frau E-Claire, ich würde mich freuen sie zu sehen.
In den ersten zwei Jahren fand außer Therapie und Erwerbsarbeit nachgehen in meinem Leben nicht allzu viel statt. Dazu waren die Themen zu hart, die Arbeit an den Themen zu anstrengend und es wollten auch zu viele Tränen geweint werden.
Wann wurde es besser? Von Anfang an, mit jedem einzelnen Gespräch. Bis auf ganz seltene Momente (kann ich an einer Hand abzählen) bin ich aus jedem Termin etwas entlasteter raus gegangen als ich rein gegangen bin.
Wann kamen die großen Erkenntnisse? Immer mal wieder, gerade letzte Woche nach über zehn Jahren mal wieder eine gehabt. Das ist aber inzwischen seltener.
Hat Therapie mein Leben verändert, ja absolut.
Hilft Therapie jedem? Nein. Es gibt eine überschaubare Anzahl von Menschen, denen Gesprächstherapie nicht hilft, weil das einfach nicht die richtige Therapieform ist. Es gibt eine deutlich größere Anzahl an Menschen, denen Therapie nicht bzw nur sehr wenig hilft, weil die äußeren Umstände, die es braucht zum Teil oder gänzlich nicht gegeben sind.
Hin und wieder kann es am Therapeuten liegen, kann vorkommen, ist aber auch nicht so häufig, wie einem das das Internet einredet. Meist liegt es an der noch nicht vollständig gegebenen Bereitschaft sich auf den Therapieprozess einzulassen.
Therapie insbesondere die ersten zwei Jahre ist knallharte Arbeit und braucht den wirklich ehrlichen Willen hinschauen zu wollen (rock bottom).
Man muß Veränderung absolut wollen und das hört sich viel, viel leichter an, als es ist. Ich meine das auch nicht in einem heutzutage so beliebten selbst-optimierenden Kauderwelsch und ich meine damit auch nicht, daß, wenn Therapie für einen nicht funktioniert, man eben selbst nach kapitalistischen Maßstäben Schuld sei.
Es geht um eine innere Haltung. Bei mir kam die auch nicht aus irgendeiner Form von Mut oder Kraft, sondern aus einer unendlichen Verzweiflung und dem für mich als absolut gegebenen Wissen, daß sich etwas verändern muss.
Dabei war mir völlig egal, wohin das führt oder wie die Veränderung ausschaut, nur DAß es sich verändert, das war wichtig.
Ich habe sicher auch immer mal wieder mit Erkenntnissen und Lektionen gehadert und es gibt Dinge, die mir auch heute noch nach all der Zeit schwerer fallen als andere Lektionen oder anderen Menschen, wir alle haben unsere Sollbruchstellen.
Aber um Deine Frage vom Anfang zu beantworten, es kommt für die meisten Menschen rock bottom, der Moment in dem Du einen anderen Weg einschlägst und zumeist weiß man erst aus der Rückschau, wann der war.