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Treffpunkt für Angehörige/r mit Demenz

Lebensfreude
eine Person ist dement und viele Menschen im Umfeld sind betroffen.
Die ältere Generation hat durch den Krieg viel erlebt und verdrängen müssen. Zum
Trauern blieb keine Zeit.
Der Mandelkern im Gehirn ist bei vielen geschrumpft.
Es mußte viel vergessen und verdrängt werden.
Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben hat oft nicht stattgefunden.
Ich hoffe, dass meine Generation (Kriegsenkel) anders mit dem Thema Sterben umgehen kann.
Eine Freundin von mir hat jahrelang im Hospiz gearbeitet und meint, dass die Angst vor dem Sterben
ein großes Thema ist. Durch Demenzerkrankung kriegt man das eigene Sterben nicht mehr so mit.
Finde ich einen interessanten Gedanken.

22.10.2021 22:48 • x 4 #31


VictoriaSiempre
Meine Schwiegermutter - ich hatte Glück und es war eine wirklich liebe! - litt an Altersdemenz. Sie hat anfangs noch einige Zeit in ihrer Wohnung gewohnt, bekam dann 3x wöchentlich Unterstützung durch eine Angehörige, die für sie kochte, einkaufen ging und den Haushalt machte. Sonntags war sie immer abwechselnd bei einem ihrer Kinder zum Mittag- und Abendessen. Dann kam sie 5 Tage/Woche in eine Tagespflege. Hauptsächlich, damit sie Unterhaltung hatte. Denn da konnte sie nicht mehr mit dem Rad mobil sein - körperlich war sie noch fit genug dafür, aber sie fand die richtigen Wege nicht mehr.

Bis dahin hatte sie ihre Körperpflege noch super im Griff (das war ihr immer wichtig, sie war auch ein wenig eitel). Diese Phase erstreckte sich über ca. 4 Jahre, das war alles noch gut händelbar innerhalb der Familie. Traurig war, dass sie in dieser Zeit selbst deutlich merkte, mit meinem Kopf stimmt was nicht (ihr Zitat) und sie darüber totunglücklich war.

Und dann ging es rapide bergab. Sie bepöbelte die Mitbewohner in der Tagespflege, wurde auch körperlich aggressiv gegen sie, schmiss das Essen durch die Gegend und wurde fast von jetzt auf gleich inkontinent, so dass sie dort nicht mehr hin konnte. In ihrer Wohnung lief die Heizung rund um die Uhr volle Pulle, es war darin nicht auszuhalten, das Bügeleisen hatten wir schon entfernt, den Herd abgeklemmt, Toilettengänge bekam sie nicht mehr hin und es war keine Frage, dass sie in ein Pflegeheim muss.

Über Alternativen haben wir zu dem Zeitpunkt nicht nachgedacht und diese Entscheidung finde ich nach wie vor richtig. Alle ihre Kinder und Schwiegerkinder waren berufstätig und niemand hatte die räumlichen Möglichkeiten, um sie aufzunehmen. Bei allen lebten auch noch die eigenen Kinder im Haus (ihre Enkel).

Es ist nicht immer nur eine Frage des Wollens, ob man demenzkranke Angehörige pflegt (aber ich gebe zu: Ich hätte es auch nicht gewollt. Ich hätte das, was notwendig geworden ist - z. B. Toilettengänge oder vollge... Unnerbüxen und Vorlagen wechseln - nicht gekonnt), sondern auch eine der räumlichen Voraussetzungen.

Zu diesem Zeitpunkt erkannte sie noch alle Kinder und Schwiegerkinder; bei den Enkeln hörte es schon auf. Sie bezog ein Pflegeheim in der Nähe, bekam sehr häufig Besuch und war anfangs nach wie vor am Sonntag bei einem ihrer Kinder. Zu Beginn wollte sie immer noch nach Hause - ihre mittlerweile aufgelöste Wohnung - gebracht werden, es war aber auch okay für sie, wenn man ihr sagte, dass das jetzt ihr Zuhause sei, wenn man sie zurück in das Pflegeheim (Neudeutsch: Seniorenresidenz ) brachte.

Bei Demenzkranken gibt es zwei Extreme (und sicher auch einiges dazwischen): Die Läufer und die Sitzer. Meine immer agile und sehr schlanke Schwiegermutter entwickelte sich zum Sitzer und nahm im Laufe der Zeit sicher 30 kg zu. Angebote, auch Bewegungsangebote gab es genug und die Sozialbetreuung war sehr bemüht. Aber sie nahm morgens auf ihrem angestammten Stuhl im Aufenthaltsraum Platz und wollte dort partout nicht mehr aufstehen bis zur Schlafenszeit.

Ihre Kinder (die sie anfangs noch erkannte, aber oft durcheinander bekam) und ihre Schwiegerkinder (die sie meistens nicht mehr erkannte) haben sie regelmäßig in den Rollstuhl gezwungen, damit sie wenigstens mal an die frische Luft kommt. Nach wenigen Metern gab es totales Gezeter und Geschrei: Sie wolle nach Hause. Was mittlerweile das Heim (bzw. der Stuhl dort war). Dann wirkte sie zufrieden und glücklich (und freute sich aufs Essen ). Gesprochen hat sie in den letzten 2 Jahren gar nicht mehr, zum Schluß hat sie auch niemanden mehr erkannt.

Das alles lief locker über 12, 13 Jahre, bis sie durch einen leichten Tod erlöst wurde.

Dieser Zeitraum hätte jeden von uns, wäre sie dort untergekommen, an den Rand der Belastungsgrenze gebracht bzw. sie überschritten. Wir hatten anfangs trotzdem ein schlechtes Gewissen, aber insgesamt war es aus meiner Sicht für alle Beteiligten das beste. Dadurch, dass die Grundversorgung gewährleistet war, hatte jede/r von uns Kraft und Muße, sie für ne fast tägliche Quality-Time zu betüdeln. Ja, sie hatte einige Kinder .

Es muss jede/r selber wissen, wie er/sie so eine Situation händelt. Bevor die eigenen Nerven reißen ist eine externe Unterbringung sicher besser. Ich ziehe den Hut vor jeder/jedem, der/die eine Pflege zuhause schafft - aber es sollte nicht verurteilt werden, wenn andere das weder können, wollen oder schaffen.

22.10.2021 23:08 • x 7 #32


A


Treffpunkt für Angehörige/r mit Demenz

x 3


VictoriaSiempre
Sorry, @Lebensfreude , ich weiß, Du nimmst es mir nicht übel

Zitat von Lebensfreude:
durch Rotweinmißbrauch wurde es schnell schlimmer.

Jetzt weiß ich auch, warum ich letztens vor meiner verschlossenen Haustür stand und verzweifelt auf den Fernbedienungs-Nupsi meines Autoschlüssels drückte. Gut, ich hab dann relativ schnell gemerkt, warum die Tür nicht aufging. Und gesehen hat mich auch niemand *hoff*

22.10.2021 23:19 • x 1 #33


Lebensfreude
unsere Eltern haben ihre Eltern meistens nicht gepflegt.
Lag auch an der anderen Lebenserwartungszeit.
Also sind wir Babyboomer die erste Generation, die sich mit dem Thema auseinandersetzen muß.
Nirgendwo im Tierreich gibt es eine Spezies, die sich um die Alten kümmert.
Keine Generation vor uns war so sehr mit dem Thema konfrontiert.

Die meisten pflegenden Angehörigen sind Frauen.
Und die sind nach einer langen Pflegezeit selbst erkrankt oder psychisch ausgelaugt.
Eine Lösung fällt mir auch nicht ein. Leider.

22.10.2021 23:27 • x 3 #34


Lebensfreude
@VictoriaSiempre ich nehm dir nix wat übel meine Liebe

22.10.2021 23:28 • #35


VictoriaSiempre
Zitat von Lebensfreude:
Also sind wir Babyboomer die erste Generation, die sich mit dem Thema auseinandersetzen muß.

Plus, dass in unserer Generation Frauen sehr viel selbstverständlich auch berufstätig sind, anders als in den vorherigen Generationen.
Plus, dass oftmals evtl. Kinder noch und die Eltern schon hilfebedürftig sind.

Generation Sandwich.

22.10.2021 23:31 • x 1 #36


Lebensfreude
@VictoriaSiempre Generation schwer angesch issen trifft es auch

22.10.2021 23:33 • #37


E
Ich hab Eure Beiträge gerade gelesen und bin echt bestürzt. Ich möchte auf keinen Fall von meinen Kindern gepflegt werden - die sollen bitte ihr Leben leben und genießen!

Memo an mich: endlich eine Patientenverfügung/ Betreuungsverfügung / Vorsorgevollmacht sowie Pflegewünsche schriftlich festlegen.

22.10.2021 23:55 • x 3 #38


bifi07
Zitat von VictoriaSiempre:
Die Läufer und die Sitzer

Mein Vater ist definitiv ein Sitzer, was aber auch mit seinen vielen Krankheiten zu tun hat. Wenn es draußen schön ist, braucht er in letzter Zeit immer mehr Motivation, um an die frische Luft zu gehen.
Oft reicht es nur für ein paar Schritte auf dem Balkon oder vor der Haustür.

Zitat von VictoriaSiempre:
Ihre Kinder (die sie anfangs noch erkannte,

Zum Glück gab es bis jetzt ganz wenige Situationen, wo er, z.B. nicht mehr wusste, wer oben wohnt.

Zitat von Eisvogel7:
Patientenverfügung/ Betreuungsverfügung / Vorsorgevollmacht sowie Pflegewünsche schriftlich festlegen

Das ist auch so ein Thema!
Als er letztes Jahr ins KH wollte ( mein Vater hat sich schon immer gerne selbst therapiert), habe ich mehrmals versucht, mit ihm endlich eine Patientenverfügung auszufüllen. Damals stand die Diagnose Demenz noch nicht fest.
Ich hab mich nur gewundert, dass er dafür ständig Ausreden gesucht hat, da er sonst in medizinischen Dingen sehr genau war. Heute weiß ich, dass er den Sinn der vielen Worte nicht mehr so schnell begreifen konnte.

23.10.2021 06:35 • x 1 #39


bifi07
Zitat von Lebensfreude:
Nirgendwo im Tierreich gibt es eine Spezies, die sich um die Alten kümmert


Elefanten sind für ihr soziales Verhalten bekannt: Die Herde beschützt gemeinsam die Jungtiere, Elefanten-Tanten kümmern sich voller Hingabe auch um die Jungen anderer Weibchen. Auch verletzte oder alte Tiere genießen den Schutz und die Fürsorge der Herde. Elefanten scheinen sogar um ihre toten Artgenossen zu trauern.

Fiel mir bei deinem Post ein...

23.10.2021 06:38 • x 4 #40


bifi07
Zitat von LH4:
Es gibt auch die Möglichkeit zur Tagesbetreuung

Meinst du damit die zeitweilige Unterbringung in einer Tagespflege?
Diese lehnt mein Vater kategorisch ab!
Zum einen sind ja dort nur alte Leute, zum anderen wäre es auch schwierig, da er mehrmals am Tag an zwei Geräten inhalieren muss.
Aber danke für deinen Denkanstoß...

23.10.2021 06:44 • x 1 #41


E
Zitat von bifi07:
Meinst du damit die zeitweilige Unterbringung in einer Tagespflege? Diese lehnt mein Vater kategorisch ab! Zum einen sind ja dort nur alte ...

Tagespflege ist auch noch nicht möglich.
Die sitzen ja alle nur rum. Deshalb hab ich auch Angst vorm Heim. Weil Mama so umtriebig ist und noch ihren eigenen Willen hat, werden sie sie mit Medikamenten vollpumpen. Habe das letztes Jahr erlebt, als sie im KH war. Katastrophal. Sie ist sabbernd und lallend dagesessen, wie nach einem schweren Schlaganfall. Grauenhaft.

23.10.2021 06:59 • #42


bifi07
Zitat von Emily:
Deshalb hab ich auch Angst vorm Heim.

Mein Vater ging letztes Jahr nach seinem KH-Aufenthalt nur unter Protest in die Geriatrie, wo er etwas mobiler gemacht werden sollte. Er hat sich dann auch, wie gewohnt, vorzeitig selbst entlassen.
Diese Zeit hatte sein gutes und sein schlechtes!
Er war wirklich mobiler und ausgeglichener, was leider nur zwei Wochen anhielt! Danach wurde er misstrauisch, was Tabletten angeht, man muss ihm beim Essen Müffelchen (wie es bei uns heißt, schneiden, er verweigert oft das Duschen, ect..

23.10.2021 07:09 • x 3 #43


H
Meine Schwiegermutter war viele Jahre krank. Sie hat sehr lange gelitten, eine Krankheit nach der anderen. Zuerst fing es mit MS an. Ganz schleichend und es wurde mit der Zeit schlimmer. Epilepsie, Demenz und ständige Schlaganfälle führten dazu dass sie eine 24stündige Betreuung brauchte.
Es war für alle sehr schwer, ganz besonders für meine Frau und ihre Schwester. Da mein Schwiegervater von ihr seit Jahren geschieden war, hatte er mit ihr nichts mehr zu tun.
Sie kam in ein MS Heim unter, wo wir sie regelmäßig besuchten.
Von mal zu mal wurde die Demenz schlimmer. Sie erkannte uns nicht mehr. Dann wieder doch und plötzlich wieder nicht.

Ich kann mich an einem mal erinnern als meine Frau und ich da waren, da sagte sie Hallo Schatz, du hast ja den Papa mitgebracht.
Meine frau sagte nein mama, das ist mein Mann, dein Schwiegersohn.
Ganz plötzlich wie von der Tarantel gestochen sagte sie mit aufgerissenen Augen Der ist zu allem Brot. Das machen Griechen so...

Sie konnte sich durch die heftigen MS Schübe, Schlaganfälle und Rheuma nicht mehr bewegen.
Ihre Gliedmaßen waren komplett verdreht und verhärtet.

Jedesmal wenn wir da waren machten wir sie sauber, gaben ihr zu essen, schauten fern und wir brachten ihr immer ihre Lieblingäpfel mit.
Immer mitten im Gespräch Wer seid ihr? Am Ende starb sie nach über 10 Jahre Leiden an einer Lungenentzündung. Meine Frau und ich waren an ihren Sterbebett.

Mein Großvater hatte auch Alzheimer. An einem Sommer, damals war ich noch 16 Jahre alt, fuhren wir mit meinen Eltern nach Griechenland und besuchten auch meine Großeltern. Mein Opa konnte meinen Vater und mich nicht erkennen. Alle fünf Minuten fragte er wer mein Vater sei und jedesmal freute er sich immer wieder aufs neue wenn er erfuhr, ich bin dein Sohn.

Meine Großmutter erzählte das er ständig nach seiner Schwester fragte. Am Anfang und auch durch Unwissenheit sagte man ihm das sie schon vor 20 Jahren verstorben sei. Für ihn war es so als sei es gerade passiert. Immer und immer wieder.
Hinterher erzählte man ihm sie sei kurz einkaufen gegangen oder etwas anderes.
Auch er lief weg. Oft verirrt und in einer Großstadt wie Thessaloniki nicht leicht zu finden.

Es ist eine sehr harte und heimtückische Krankheit. Und jeder der die Kraft hatte und hat einen Angehörigen zu pflegen, Zeuge ich meinen höchsten Respekt. Aber es gibt keinen Grund sich zu schämen sich Hilfe zu holen.

Ein sehr schöner thread übrigens.

Lieben Gruß

Herakles

23.10.2021 07:27 • x 6 #44


bifi07
Ich wollte immer meine Eltern zuhause pflegen.
Aber man stellt sich das im Grunde viel einfacher vor, als es ist!
Ich glaube meine, bzw. unsere Grenze wäre erreicht, sollte mein Vater aggressiv werden, was Gott verhüte!

Meine Mutter definiert sich leider darüber, ob es meinem Vater gut geht (oft generationsbedingt)!
Daher nimmt sie auch äußerst ungern Hilfe von außen, und auch teilweise von innen an, da sie uns Kinder nicht belasten will...
Natürlich ist es eine, zumindest seelische Belastung, aber für sie viel mehr und da wir uns natürlich auch um sie sorgen, ist es umso mehr...

Jedenfalls freut es mich und meine Geschwister sehr, dass sie nächste Woche ihre Reha für pflegende Angehörige startet und ich hoffe sehr, dass sie auch wirklich abschalten kann und mein Vater, für seine Begriffe, so gut betreut wird, dass er sie nicht übermäßig kontaktiert!

23.10.2021 08:35 • x 2 #45


A


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