Meine Schwiegermutter - ich hatte Glück und es war eine wirklich liebe! - litt an Altersdemenz. Sie hat anfangs noch einige Zeit in ihrer Wohnung gewohnt, bekam dann 3x wöchentlich Unterstützung durch eine Angehörige, die für sie kochte, einkaufen ging und den Haushalt machte. Sonntags war sie immer abwechselnd bei einem ihrer Kinder zum Mittag- und Abendessen. Dann kam sie 5 Tage/Woche in eine Tagespflege. Hauptsächlich, damit sie Unterhaltung hatte. Denn da konnte sie nicht mehr mit dem Rad mobil sein - körperlich war sie noch fit genug dafür, aber sie fand die richtigen Wege nicht mehr.
Bis dahin hatte sie ihre Körperpflege noch super im Griff (das war ihr immer wichtig, sie war auch ein wenig eitel). Diese Phase erstreckte sich über ca. 4 Jahre, das war alles noch gut händelbar innerhalb der Familie. Traurig war, dass sie in dieser Zeit selbst deutlich merkte, mit meinem Kopf stimmt was nicht (ihr Zitat) und sie darüber totunglücklich war.
Und dann ging es rapide bergab. Sie bepöbelte die Mitbewohner in der Tagespflege, wurde auch körperlich aggressiv gegen sie, schmiss das Essen durch die Gegend und wurde fast von jetzt auf gleich inkontinent, so dass sie dort nicht mehr hin konnte. In ihrer Wohnung lief die Heizung rund um die Uhr volle Pulle, es war darin nicht auszuhalten, das Bügeleisen hatten wir schon entfernt, den Herd abgeklemmt, Toilettengänge bekam sie nicht mehr hin und es war keine Frage, dass sie in ein Pflegeheim muss.
Über Alternativen haben wir zu dem Zeitpunkt nicht nachgedacht und diese Entscheidung finde ich nach wie vor richtig. Alle ihre Kinder und Schwiegerkinder waren berufstätig und niemand hatte die räumlichen Möglichkeiten, um sie aufzunehmen. Bei allen lebten auch noch die eigenen Kinder im Haus (ihre Enkel).
Es ist nicht immer nur eine Frage des Wollens, ob man demenzkranke Angehörige pflegt (aber ich gebe zu: Ich hätte es auch nicht gewollt. Ich hätte das, was notwendig geworden ist - z. B. Toilettengänge oder vollge... Unnerbüxen und Vorlagen wechseln - nicht gekonnt), sondern auch eine der räumlichen Voraussetzungen.
Zu diesem Zeitpunkt erkannte sie noch alle Kinder und Schwiegerkinder; bei den Enkeln hörte es schon auf. Sie bezog ein Pflegeheim in der Nähe, bekam sehr häufig Besuch und war anfangs nach wie vor am Sonntag bei einem ihrer Kinder. Zu Beginn wollte sie immer noch nach Hause - ihre mittlerweile aufgelöste Wohnung - gebracht werden, es war aber auch okay für sie, wenn man ihr sagte, dass das jetzt ihr Zuhause sei, wenn man sie zurück in das Pflegeheim (Neudeutsch: Seniorenresidenz ) brachte.
Bei Demenzkranken gibt es zwei Extreme (und sicher auch einiges dazwischen): Die Läufer und die Sitzer. Meine immer agile und sehr schlanke Schwiegermutter entwickelte sich zum Sitzer und nahm im Laufe der Zeit sicher 30 kg zu. Angebote, auch Bewegungsangebote gab es genug und die Sozialbetreuung war sehr bemüht. Aber sie nahm morgens auf ihrem angestammten Stuhl im Aufenthaltsraum Platz und wollte dort partout nicht mehr aufstehen bis zur Schlafenszeit.
Ihre Kinder (die sie anfangs noch erkannte, aber oft durcheinander bekam) und ihre Schwiegerkinder (die sie meistens nicht mehr erkannte) haben sie regelmäßig in den Rollstuhl gezwungen, damit sie wenigstens mal an die frische Luft kommt. Nach wenigen Metern gab es totales Gezeter und Geschrei: Sie wolle nach Hause. Was mittlerweile das Heim (bzw. der Stuhl dort war). Dann wirkte sie zufrieden und glücklich (und freute sich aufs Essen ). Gesprochen hat sie in den letzten 2 Jahren gar nicht mehr, zum Schluß hat sie auch niemanden mehr erkannt.
Das alles lief locker über 12, 13 Jahre, bis sie durch einen leichten Tod erlöst wurde.
Dieser Zeitraum hätte jeden von uns, wäre sie dort untergekommen, an den Rand der Belastungsgrenze gebracht bzw. sie überschritten. Wir hatten anfangs trotzdem ein schlechtes Gewissen, aber insgesamt war es aus meiner Sicht für alle Beteiligten das beste. Dadurch, dass die Grundversorgung gewährleistet war, hatte jede/r von uns Kraft und Muße, sie für ne fast tägliche Quality-Time zu betüdeln. Ja, sie hatte einige Kinder .
Es muss jede/r selber wissen, wie er/sie so eine Situation händelt. Bevor die eigenen Nerven reißen ist eine externe Unterbringung sicher besser. Ich ziehe den Hut vor jeder/jedem, der/die eine Pflege zuhause schafft - aber es sollte nicht verurteilt werden, wenn andere das weder können, wollen oder schaffen.
22.10.2021 23:08 •
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