312

Transgenerationale Weitergabe von Traumata

FrauDrachin
Da das Thema gerade verstärkt auftaucht und dadurch andere Themen geschreddert werden, möchte ich hier ein eigenes dafür aufmachen. Ich bitte, gerade dieses Thema sehr sensibel zu diskutieren.

Hier von mir eine Zusammenfassung so wie ich das Thema verstanden habe, bitte gerne um Ergänzungen.

Traumatisierungen machen etwas mit Menschen.
Die Erfahrung war so schmerzhaft, dass z.B. die Gefühle dazu, und damit das Fühlen allgemein abgeschaltet werden.
Die Menschen haben Flashbacks, können Situationen nicht mehr gut einordnen. Werden übervorsichtig und misstrauisch. Werden depressiv. Können nicht mehr gut auf Gefühle anderer eingehen. Somatische Beschwerden können dazu kommen. Das sind nur einige wenige mögliche Auswirkungen.

Wenn eine einzelne traumatisierte Person Eltern wird, wird die Chance groß sein, dass im Umfeld Personen sind, die die Folgen für das Kind zumindest teilweise auffangen können.
Nach dem zweiten Weltkrieg war eine ganze Generation traumatisiert. Soldaten, Zivilbevölkerung in Lufschutzbunkern, jeder verlor nahe Angehörige, Flucht, Vertreibung, Schuld und Scham, zum Tätervolk zu gehören.
Und eine Aufarbeitung fand so gut wie gar nicht statt. Das tägliche Überleben musste gesichert werden, Menschen mussten einfach funktionieren.

Dazu kamen sehr unmenschliche und der menschlichen Seele feindliche Erziehungsmethoden dazu, die schon seit mehreren Generationen üblich waren.

Was also passiert, wenn diese Generation Eltern wird?
Sie sind nicht in der Lage emotional für ihre Kinder da zu sein.
Vielleicht übernehmen die Kinder sogar unbewusst die Aufgabe, ihre z.B. seelischen Elternteile zu schützen und zu trösten.
Menschen, die mit Gewalt erzogen wurden, und für die Gewalt natürlich war, trugen diese Gewalt gegen ihre Kinder weiter.
Größere Familienverbände waren oft zersplittert, die Kleinfamilie war noch etwas isolierter.
Das Wissen, dass nur Leistung und Stärke das überleben sichern, und Gefühlsdusseleien das Überleben gefährden, wurden weitergegeben.

21.03.2025 20:32 • x 9 #1


FrauDrachin
Vielleicht kann die @Forenleitung auch ab Beitrag 436 aus dem Thema veraenderung-meiner-frau-in-einer-reha-massnahme-t75810-s435.html#p3817353 hierherverlegen?

21.03.2025 20:34 • x 4 #2


A


Transgenerationale Weitergabe von Traumata

x 3


Worrior
Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer.
Und schwache Männer schaffen harte Zeiten.

Zitat von G. Michael Hopf

21.03.2025 20:39 • x 6 #3


J
Ist denn jemand hier davon betroffen?

21.03.2025 21:02 • #4


J
Zitat von Worrior:
Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Und schwache Männer schaffen harte ...


Naja...harte Zeiten schaffen auch viele kaputte Männer, inwiefern die zu guten Zeiten beitragen sollen, erschließt sich mir nicht.

21.03.2025 21:03 • x 6 #5


Igelfisch
Zitat von FrauDrachin:
Sie sind nicht in der Lage emotional für ihre Kinder da zu sein.


Zitat von FrauDrachin:
Menschen, die mit Gewalt erzogen wurden, und für die Gewalt natürlich war, trugen diese Gewalt gegen ihre Kinder weiter.


Wie kommst Du darauf?
Das kommt sicher auch so vor, aber grundsätzlich kann man das doch nicht sagen..

21.03.2025 21:11 • x 4 #6


FrauDrachin
@Igelfisch Umgekehrt. Es gibt Menschen, gar nicht so wenige, die tun das nicht. Aber doch, leider haben Menschen, die in iherer Kindheit Gewalt erlebt haben, ein wesentlich höheres Risiko, die Gewalt weiterzugeben.

In der Nachkriegszeit war Gewalt noch sehr lange Zeit ablsolut normal in der Erziehung, in den Familien und in den Schulen.

Auch in meiner und der Erziehung meines Bruders hat es durchaus, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt, Gewalt gegeben.

21.03.2025 21:19 • x 3 #7


FrauDrachin
Zitat von justawoman:
Ist denn jemand hier davon betroffen?

Ja, meine Eltern sind Kriegsenkel.
Ich erkenne viel an meinen Eltern wieder. Gerade was ich von der Kindheit meiner Mutter in einer Flüchtlingsfamilie weiß, muss für meine Mutter selbst traumatisch gewesen sein.
Auch in meiner Familie stand Funktionieren, Leistung, eine gewisse Härte (sei kei Ziefern), sehr gute Manieren an erster Stelle. Eigenes ausprobieren und lebendigkeit wurden sehr kritisch beäugt, dass wir auch ja nicht aus dem Ruder laufen. Wie oft ich versprochen habe mich zu bessern... Schon gruselig.

21.03.2025 21:24 • x 1 #8


ElGatoRojo
Stets kann man sich natürlich fragen - was ist Mainstream, was ist Einzelfall?

Zitat von FrauDrachin:
Sie sind nicht in der Lage emotional für ihre Kinder da zu sein.

Wie man es sieht. Von der Mutter zur Adoption frei gegeben kam ich zu Leuten, die sich wirklich fürsorglich um mich gekümmert haben - aber auf der anderen Seite auch umständebedingt einen großen Freiraum gegeben haben. Der Begriff Schlüsselkind ist sicher bekannt. Hatte Vorteile und Nachteile. Die Vorteile für mich waren Freiheit und Abenteuer, wie wohl ich stets das Risiko niedrig hielt. Gab in Hamburg damals eine Schülermonatskarte, mit der man im gesamten Netz unterwegs sein konnte - nur S-Bahn nicht.

Wäre heute wohl auch Kindesvernachlässigung, wenn der Vater dem 8-jährigem Kind einen Stadtplan in die Hand drückt und sagt: Gato, du kannst ja jetzt lesen. Wenn du dich verirrst - ich hole dich ab. Aber dein sportlicher Ehrgeiz sollte sein, das nicht zu tun. Habe ich auch nie. Ich war aber stolz auf sein Vertrauen. Tja - seine Werkstatt war ja immer mein Anlaufpunkt oder eben wo mein Vater oder wo meine Mutter zur Untermiete wohnte. Erst 1954 gab es wieder eine gemeinsame Wohnung, da war ich bereits 14.

Gut - rein gezählt war es vielleicht wenig Zeit, die die Eltern emotional da waren, aber sie genügte mir durchaus. Ich hatte ja auch in der ganzen Stadt Anlaufpunkte bei Onkel/Tanten mit Läden und Schrebergärten und auch da war man als Verwandtenkind willkommen, wenn man einfach so vorbei kam.
Zitat von FrauDrachin:
Größere Familienverbände waren oft zersplittert,

Tja, Glück gehabt. Vater hatte mehrere Cousins und Nichten, Mutter 4 Geschwister. Wir haben mal einen Familienausflug in den Sachsenwald gemacht so 1953, da waren wir fast 50 Leute und kamen im Bismarkschen Resataurant an wie ein Clan aus dem Hightland. Bis Mitte der 1960er (da war ich schon verheiratet) ungefähr alle Vierteljahr Familientreffen einmal Vaterseite und einmal Mutterseite - bis etwa 1955 bei einem zu Hause, danach mit mehr Komfort in irgendeiner Kneipe als geschlossenen Gesellschaft. Mit meiner Lieblingscousine saß ich in der ersten Klasse auf der Schulbank, lernte mit ihr Küssen mit 12 und mit 17 meinten wir, weiterer Umgang miteinander wäre zu gefährlich. Als wir heirateten, wurde meine Frau freundlich in den Kreis aufgenommen.

Mit dem Tod der Elterngeneration zerfiel die Sache dann aber und wurde weniger und dann eben auch durch Wegzug aus Hamburg. Jetzt sind es nur die Geburtstage mit der Null am Ende. Und eben auch, weil schon in meiner Generation jeder sein eigenes Ding gemacht hat.

21.03.2025 21:25 • x 9 #9


Worrior
Zitat von FrauDrachin:
Auch in meiner und der Erziehung meines Bruders hat es durchaus, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt, Gewalt gegeben.

Was absolut keine geeignete Erziehungsmethode ist, doch es lag an uns es besser zu machen.
Weil wir ein ganz anderes Wissen haben als unsere Vorfahren.
Nutzen wir es?
Gibt es an unseren Schulen weniger Gewalt?
Immer mehr junge Menschen haben psychische Probleme und werden auffällig.
Diese Gesinnung Bleib wie Du bist, mach was Du willst, wie auch Helikoptereltern und ständige bea,rsc.hfi.del.ung der Gutmenscherziehung hat ja auch versagt.
Nicht jedes negative Ereignis prägt uns nachhaltig negativ.
Ich glaube negative Gefühle und Emotionen gilt es anzunehmen und zu lernen damit umzugehen und die natürlichen Regulierungsmechanismen wirken zu lassen, das schafft Ressilenz.
Wir sind nicht nur Gefühl und Emotion wir haben einen Willen.

21.03.2025 21:34 • x 4 #10


J
@FrauDrachin

Ich bin sogar noch unmittelbarer betroffen, mein Vater war Holocaustüberlebender. Es ist sehr belastend und verstörend gewesen, mit einem so extrem traumatisierten Menschen aufzuwachsen. Ich werde seine Augen und diesen leeren, uralten Blick nie vergessen. Es bricht mir bis heute das Herz. Ich würde mich gerne mit anderen Betroffenen austauschen. Oder vielleicht auch besser nicht. Es ist jedenfalls schwer, damit zu leben, es erdrückt mich manchmal.

21.03.2025 21:34 • x 11 #11


FrauDrachin
@justawoman Vielen Dank für deine Perspektive.
Ja, ich bin schon eine Generation weiter. Trotzdem glaube ich, dass erst wir manches überhaupt erst anders machen können. Bei manchen Dingen überhaupt erst eine Wahl haben.

Und ja, ich verstehe dich total, ich hatte auch einen langen Text begonnen, und fand ihn dann doch zu persönlich.

21.03.2025 21:38 • x 3 #12


ElGatoRojo
Zitat von FrauDrachin:
und fand ihn dann doch zu persönlich.

Eben das ist das Handycap bei diesem Thema

21.03.2025 21:40 • #13


Igelfisch
Zitat von FrauDrachin:
leider haben Menschen, die in iherer Kindheit Gewalt erlebt haben, ein wesentlich höheres Risiko, die Gewalt weiterzugeben.


Siehst Du, hier stimme ich Dir zu. Hier hast Du es aber auch ganz anders ausgedrückt.

Ich sehe es ja an mir. Mein Trauma begann in frühester Kindheit, zudem war ich lange häuslicher Gewalt ausgesetzt. Dennoch habe ich meine Kinder nie geschlagen, sie haben all meine Liebe bekommen und haben sich, trotz dass ich überhaupt nicht so war, zu selbstbewussten und mutigen Menschen entwickelt.


Mich hat nur das Pauschale in Deiner ersten Aussage gestört.

21.03.2025 21:41 • x 3 #14


FrauDrachin
Zitat von Worrior:
Gibt es an unseren Schulen weniger Gewalt?
Immer mehr junge Menschen haben psychische Probleme und werden auffällig.

Ja, das ist die allgemeine Narration.
Verweichlichte Menschen ohne klare Führung bis hin zum Zwang, können damit gar nicht umgehen.
Was ich ganz deutlich fühle, bei allem Druck den ich wahrgenommen habe ist, dass sich der Druck heute oft nur verschoben hat. Wo unsere Eltern uns vielleicht mal mit einer Ohrfeige nachgeholfen haben, wird jetzt ein enormer psychischer Druck aufgebaut. Und während ich die Ohrfeige als etwas ganz klar von außen kommendes Wahrnehmen kann, wogegen Abgrenzung nicht schwer ist (solange wir hier nicht von Gewaltorgien sprechen, mein Schwiegervater hat immer erzählt, wie er mit dem Kehrbesele verdroschen wurde), wird psychscher Druck internalisiert, so dass ihn sich die jungen Leute irgendwann selber machen. Soweit meine Theorie.
Vielleicht wäre das die Aufgabe unserer Generation, dafür Lösungen zu erarbeiten.

21.03.2025 21:43 • x 1 #15


A


x 4




Ähnliche Themen

Hits

Antworten

Letzter Beitrag