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Transgenerationale Weitergabe von Traumata

FrauDrachin
Zitat von Hola15:
Bei mir war es ja nur Vertreibung (mit kurzzeitiger Gewaltbedrohung), Armut, Hunger, Krankheit und den Folgen einer Kleinkindheit in Sanatorien dieser Zeit.

Dieses nur finde ich sehr ungünstig.
Genau das ist es ja, was einen Teil der Sprachlosigkeit ausmacht: Wir hatten es ja gut, unsere Eltern hatten es schlimm! und schämt sich buchstäblich dafür, dass es einem selber schlecht geht. Holt sich keine Hilfe, weil andere sie ja viel dringender brauchen, die wirklich sch... erlebt haben.

Und von einem objektiven Standpunkt aus: keines der Dinge, die du aufzählst, sind nur.

Und ja, erschwerdend kommt dazu, dass auch Täter/Mitläufer traumatisiert sind, was noch ganz andere Dynamiken in die Aufarbeitung bringt.

22.03.2025 14:19 • x 3 #61


Blanca
Zitat von FrauDrachin:
War für mich auch ganz, ganz schwierig, wie ich reagieren soll, wieviel und wie intensiv ich nachfragen soll...

Eben drum kann ich gut nachvollziehen, daß manche - wenn überhaupt - nur mit geschultem Fachpersonal über sowas reden.

Was anderes:
Eye Movement therapy soll gerade bei Kriegsveteranen und transgenerational Traumatisierten sehr gute Ergebnisse zeitigen können: https://www.apotheken-umschau.de/therap...33775.html

22.03.2025 14:21 • x 3 #62


A


Transgenerationale Weitergabe von Traumata

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FrauDrachin
Zitat von Perfume:
Die Worte die ich dafür finde sind alle schon mit Klischees, Assoziationen, Bedeutungen und Abwehrmechanismen besetzt und so bleibt man komplett isoliert mit dem Thema.

Ich denke, dass die Isolation durchbrechen sehr wichtig ist.
Ich bin mir sicher, dass du eine wichtige Perspektive beizutragen hast. Nur wenn du magst, selbstverständlich.

22.03.2025 14:23 • x 6 #63


Hola15
Zitat von FrauDrachin:
Dieses nur finde ich sehr ungünstig. Genau das ist es ja, was einen Teil der Sprachlosigkeit ausmacht: Wir hatten es ja gut, ...

Ja du hast recht. Ich hatte schon überlegt, ob ich das „nur“ schreiben soll oder nicht.

Die Aufarbeitung wurde ja nicht zuletzt auch damit verhindert, dass das „Tätervolk“ (gefühlt) keine Legitimation dazu hatte ihr eigenes Leid zu betrachten.

Und trotzdem verneige ich mich vor dem Leid der Opfer der Schoa. Auch in nachfolgenden Generationen.

22.03.2025 14:25 • x 3 #64


FrauDrachin
Zitat von Blanca:
Eben drum kann ich gut nachvollziehen, daß manche - wenn überhaupt - nur mit geschultem Fachpersonal über sowas reden.

Ja, was schade ist. Die einen wären durchaus bereit Raum zu geben, haben aber schreckliche Angst davor, etwas falsch zu machen, und die anderen bräuchten noch viel mehr Ermutigung, um sich diesen Raum zu nehmen.
Alleine dafür, für sowas ein Bewusstsein zu schaffen, ist das Gespräch hier sehr gut, Danke euch allen.

Ich habe tatsächlich große Angst davor, meine Mutter ernsthaft zu fragen, wie ihre Kindheit und Jugend im Detail war. Die Andeutungen, die sie macht, sind sehr dunkel und kryptisch.

22.03.2025 14:26 • x 4 #65


FrauDrachin
...

22.03.2025 14:26 • #66


J
Zitat von Blanca:
@justawoman
Ich stelle es mir für HC-Überlebende und ihre Angehörigen sehr schwer und je nach Fall auch unmöglich vor, sich darüber ausgerechnet mit Angehörigen des Tätervolks auszutauschen.


Es gibt für mich kein Tätervolk. Nur Täter. Und selbst für die habe ich ein gewisses Verständnis - wenn dir von klein auf gewisse Dinge eingebleut werden, ist es vermutlich schwer, eine andere Sichtweise zu entwickeln.

Was mich am meisten beschäftigt und Angst macht, sind die Abgründe, die in Menschen schlummern. Dass nicht nur Psychopathen, sondern offenbar sehr viele Menschen zu so abscheulichen Taten fähig sind. Ich habe Angst vor diesen Abgründen, auch vor denen in mir.

22.03.2025 14:27 • x 6 #67


FrauDrachin
Zitat von justawoman:
Was mich am meisten beschäftigt und Angst macht, sind die Abgründe, die in Menschen schlummern. Dass nicht nur Psychopathen, sondern offenbar sehr viele Menschen zu so abscheulichen Taten fähig sind. Ich habe Angst vor diesen Abgründen, auch denen in mir.

Einhundert Prozent.
Die Angst, Täter werden zu können ist genauso groß, wie die Angst, Opfer werden zu können.

22.03.2025 14:28 • x 1 #68


J
Zitat von Blanca:
Eben drum kann ich gut nachvollziehen, daß manche - wenn überhaupt - nur mit geschultem Fachpersonal über sowas reden. Was anderes: Eye Movement ...


Genau das mache ich gerade . Ich merke zwar immer noch, dass ich das nicht ganz ernst nehmen kann, aber überraschenderweise hilft es mir.

22.03.2025 14:32 • x 2 #69


FrauDrachin
Zitat von Blanca:
Ich stelle es mir für HC-Überlebende und ihre Angehörigen sehr schwer und je nach Fall auch unmöglich vor, sich darüber ausgerechnet mit Angehörigen des Tätervolks auszutauschen.

Ich möchte hier von einem Gespräch mit einem Holocaustüberlebenden erzählen, auf dessen Vortrag ich war.
Diesem Menschen war es sehr wichtig, mit den Tätern von damals in Gespräch zu kommen, dass sich die Täter von damals sich äußern. Dafür hat er sehr gekämpft.
Ich hatte das nicht ganz verstanden, ich bin mir nicht sicher, ob ich das heute richtig verstehe. Es ging ihm wohl nicht um Gerechtigkeit oder Verzeihung oder sowas, sondern er hat es Zeugenschaft genannt. Er hat seinen Teil der Geschichte bezeugt, er wollte, dass auch die andere Seite ihren Teil bezeugt.
Ich interpretiere es für mich so, dass die ganze Geschichte, mit möglichst allen Facetten auf den Tisch sollte, um wirklich zu verstehen, und nachfolgenden Generationen wirkliches Verstehen zu ermöglichen. Letztlich denke ich, wirkliches Verstehen und komplettes Anerkennen dessen, was war ist vielleicht DIE Vorraussetzung für Heilung.

22.03.2025 14:34 • x 3 #70


J
Eines der besten Bücher zu dem Thema ist der Roman eines Schicksallosen von Imre Kertesz. Er beschreibt in dem Buch die Schrecken des Konzentrationslagers in einem rein beobachtenden, distanzierten, nicht wertenden Stil. Gerade dadurch ist es eines der aufwühlendsten Bücher, die ich je gelesen habe. Es lässt einen vollkommen fassungslos zurück.

22.03.2025 14:40 • x 2 #71


FrauDrachin
Zitat von Hola15:
Ja du hast recht. Ich hatte schon überlegt, ob ich das „nur“ schreiben soll oder nicht.

Mir fällt gerade auf, dass ich so etwas bei einigen Familien, bei denen ich etwas Einblick hatte, festgestellt habe:
Bei mir z.B. weiß ich, dass meine Mutter viel Sch... erlebt hat, kenne etwas die Fluchtvergangenheit ihrer Mutter, kann schon sehen, wie diese Kindheit sie zu der Person gemacht hat, die sie ist.
Von meinem Vater weiß ich erstaunlich wenig. Ich glaube zu wissen, dass sein Vater Soldat in Frankreich war. Ich weiß nicht ob seine Defizite auf die Kriegsvergangenheit seiner Eltern zurückzuführen war, tatsache war, sie waren da.

Es scheint oft eine Person zu geben, der vermeintlich schlimmeres widerfahren ist, und die zumindest rudimentär die Möglichkeit hat, sich zu äußern, und andere, die ihre Geschichte davor herunterspielen. Hat noch jemand diese Erfahrung gemacht?

22.03.2025 14:42 • x 2 #72


J
Zitat von FrauDrachin:
Ich denke, da wäre es aber vielleicht sinnvoll, etwas Verständnis für deine Freundin zu haben. Bitte nimm mir die Worte nicht übel. Du weißt ja ...

Ich verstehe das absolut und erwarte es von meinen Freunden auch gar nicht. Wie soll man über etwas sprechen, das sprachlos macht?

22.03.2025 14:47 • x 1 #73


Blanca
@Hola15
Zitat von Hola15:
Die Aufarbeitung wurde ja nicht zuletzt auch damit verhindert, dass das „Tätervolk“ (gefühlt) keine Legitimation dazu hatte ihr eigenes Leid zu betrachten.

Das geschah mitunter sogar recht gezielt:

1993 fanden in Hamburg Gedenkfeiern für die Opfer der sogenannten Aktion Gomorrha statt, der Bombenangriffe 50 Jahre zuvor. Es gab einen Gedenkgottesdienst im Michel mit geladenen Gästen aus Coventry und aus Petersburg, mit dem Bürgermeister und der Bischöfin; vor allem aber mit alten Leuten, die diese Angriffe miterlebt hatten oder Angehörige in
jenen Nächten verloren hatten.

Während des Gottesdienstes kam es zu einer Störung. Eine Gruppe von jüngeren Leuten drang ein, besetzte die Mikrophone. Sie konnten nach Streit und Gerangel eine Erklärung verlesen: Um diese Toten gäbe es nichts zu trauern, sagten sie. Die Trauer um die Toten der Bombennächte verdränge die eigentliche Trauer, nämlich um die Toten der KZs.

Die Konsequenz aus der deutschen Geschichte könne nur lauten: Nie wieder Deutschland.

(aus: Sabine Bode, Kriegskinder, Seite 274)

22.03.2025 14:52 • x 3 #74


Hola15
Zitat von justawoman:
Eines der besten Bücher zu dem Thema ist der Roman eines Schicksallosen von Imre Kertesz. Er beschreibt in dem Buch die Schrecken des ...

Ich habe hier gerade noch das Buch „Leben mit Auschwitz“ rumliegen. Da geht es um die Enkel ihm Rahmen transgenerationaler Traumatisierung.

Aber mich hat der Anfang schon wieder so betroffen gemacht, bei dem Beitrag einer noch jungen Enkelin, die in ihrer großen Loyalität mE nach von ihrem Großvater missbraucht (ist das Wort zu groß?) wurde sein Leid mitzutragen. Ich werde es irgendwann weiterlesen.

22.03.2025 14:53 • x 4 #75


A


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