Integration kann funktionieren, wenn die eine Seite es will und die andere es zulässt.
Da ich in der letzten Zeit viele Gespräche mit vielen Personen aus den unterschiedlichen Bereichen hatte, gab mir vieles zu denken und ich würde gerne mal meine Geschichte, Erfahrung bzw Sicht der Dinge erzählen.
Bitte eine Sache vorweg. Bleibt Respektvoll. Und ja, ich bin nicht angemeldet und schreibe hier als Gast, obwohl ich schon mal angemeldet war und der text wird auch noch sehr lang. Warum? Weil ich es so möchte. Nun.
Ich kann mich sehr gut an den Tag erinnern als meine Eltern entschieden haben unsere Heimat Griechenland zu verlassen. Das Gespräch zwischen den beiden kriegte ich im vorbeigehen mit, auf dem Weg nach draußen zum spielen. Mein Vater sagte nur zu meiner Mutter, wir müssen nach Deutschland und es versuchen.
Es war 1988, Sommer und sehr heiß. Meine Mutter lief sich täglich die Hacken ab, von Putzstelle zu Putzstelle, Haushalt zu Haushalt. Musste mehrmals am Tag mehrere Busse nehmen um von der einen Seite auf die andere Seite der Stadt zu kommen. In einer Millionen Großstadt wie Thessaloniki ist das kein Kinderspiel. Mein Vater war selbstständig als Fliesen und Marmorleger täglich auf irgendwelche Neubauten am schuften. Viele Kunden zahlten nicht und die Rechnungen stapelten sich. Ständig musste er in Vorkasse treten um Material zu besorgen und meist blieb er auf die Kosten sitzen.
Ich hatte gerade die vierte Klasse in der Griechischen Volkshochschule beendet und die Sommerferien dauerten noch etwas an bis das neue Schuljahr anfing.
An den Abend als ich das Gespräch mit kriegte, riefen meine Eltern mich und meine Schwester zu sich. Sie erzählten uns von ihren vorhaben und der Auswanderung nach Deutschland. Wir kinder fanden das sehr Abenteuerlich, wir wussten nicht wie es sein wird und meine Eltern natürlich auch nicht. Im Winter sollte es soweit sein und mein Vater würde zuerst alleine hinreisen um einen Job und eine Bleibe zu finden. Sobald er das geschafft hätte, könnten wir dann auch nachkommen.
Durch viel nachfragen und recherchieren in Griechenland, konnte mein Vater jemanden finden der einen kennt, der jemanden kennt der auch einen kennt, um eine direkte bleibe in eine Privatwohnung eines Griechen in Süddeutschland nach seiner Ankunft zu bekommen. Nun, die private Wohnung erwies sich als unausgebauter Speicher mit einer Matratze und einer kaputten Dachbodenluke. Kostenpunkt 150 DM.
Im Januar 1989 war es soweit und mein Vater trat die Reise mit dem Zug nach Süddeutschland an. Dort angekommen war es ihm nicht möglich, trotz der vielen Griechen die dort lebten, eine Arbeit zu finden. Sie vermittelten ihn aber zu einer Frau die für die Sparkasse arbeitete und ebenfalls Griechin war. Sie hatte kontakte in NRW wo sie ihm auf jeden fall zu einer Wohnung verhelfen konnte. Das war zumindest ein Anfang für ihn und er fuhr kurz darauf dort hin.
Es war eine große, über 100qm zwei raum Wohnung mitten in der Stadt. Keine Möbel, keine Bilder, nichts. Nur eine kleine alte gebrauchte Küche mit einen kleinen Kühlschrank, was für die damaligen Verhältnisse in der mein Vater lebte luxus war. Immerhin ist er vom Dachboden weg.
Auf Spaziergängen hörte er eines mittags Menschen die griechisch sprachen. Die Stimmen kamen aus einem Italienischen Bistro und er traute sich und ging hinein. Er erklärte seinen Landsleuten seine Situation und fragte ob sie jemanden kennen würden der ihn einen Job geben könnte. Einer sagte ihm dann welchen Bus er nehmen sollte, bis zu welcher Haltestelle er fahren muss und wie die Firma heißt bei der er sich vorstellen soll. Das tat er auch. All das wohlgemerkt, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Er fuhr also dahin brabbelte beim Pförtner sowas wie ich suchen arbeit. Mit Händen und füßen haben die sich dann verständigt und mein Vater konnte am nächsten Tag anfangen. Damals ging das noch.
Es war eine Gießerei, schmutzig, dreckig, sehr laut und alles was man sich vorstellen kann. Aber er war Glücklich. Er hatte endlich eine Arbeit gefunden und wir konnten nach kommen.
Im Juli 1989, da war ich 11 Jahre alt, buchte meine Mutter drei Bustickets nach Deutschland. Alles was wir hatten musste verkauft oder verschenkt werden. Mehr wie einen Koffer pro Person konnten wir nicht mitnehmen. Das ganze Leben passt tatsächlich in einen Koffer.
Die Reise dauerte fast vier Tage. Wir kamen in diese für uns riesige leere Wohnung endlich an und wir mussten ganz von vorne anfangen.
Für jemanden der sich nicht im Schulfähigen Alter befindet, ist es sehr schwer eine Sprache zu erlernen. Man geht arbeiten, dann zum zweiten und dritten job um sich über Wasser zu halten und um den Start in der Fremde hinzubekommen. Eine wirkliche Integration gab es nicht für Eltern die 30 Jahre und drüber sind. Für uns Kinder war es einfacher. Wir kamen in eine Art Vorbereitungsklasse an einer Hauptschule, wo wir lesen, schreiben und sprechen lernten. Nach ca einem Jahr, je nach können des Schülers, wurde man in eine normale Klasse zugeteilt. Natürlich passend zum Alter. Wir haben quasi als Dolmetscher für unsere Eltern gearbeitet.
Bis zu unseren Auszug von zuhause von mir und meiner Schwester, haben meine Eltern noch nie Kindergeld in Anspruch genommen. Sie empfanden das als Almosen, kannten es nicht und wollten es nicht als man ihnen darüber berichtete und sagte, das sie ein Recht darauf haben. Viele Jahre arbeiteten sie von morgens bis Abends. Meine Mutter konnte bei einer großen Kaufhauskette als Putzfrau anfangen und machte es für die nächsten 25 Jahre.
Mein Vater bei der Gießerei. Doch morgens vor Schichtbeginn, gingen beide eine Kneipe putzen und abends nach 22 Uhr eine Imbissbude.
Mit der Zeit konnten wir uns etwas aufbauen. Die Möbel und Teppiche vom Sperrmüll wichen neuen, ein Auto wurde angeschafft, und wir hatten für meine Begriffe Luxusdinge wie zum beispiel Nutella oder Bananen. Solche Lebensmittel gab es selten bei uns zuhause in Griechenland. Sie waren sehr teuer und dafür gab es Wassermelone mit Feta ohne ende.
Mit den Jahren die vergingen wurden wir ein Teil dieser Gesellschaft. Mein Deutsch ist Akzentfrei, habe eine Deutsche Frau die ich über alles liebe, vier Wundervolle Kinder und weiß wie es ist auch mal auf etwas zu verzichten. Oft musste ich mich gegen einen Fremdenfeindlichen Schwiegervater, eine ebenso Fremdenfeindlichen Schwiegermutter als auch Schwager und Schwägerin durchsetzen und damals auch noch für die schwachsinnigsten Dinge Rechtfertigen. Genauso oft gegen Argumente wehren dass wir Griechen alle faul sind und keine Steuern zahlen.
Heute nach über 31 Jahren in Deutschland, ist mein Vater Rentner. Er bekommt 600 Euro an Rente, meine Mutter ca 400 weil ihr Gehalt dem Mindestlohn Niveau der damaligen Zeit entsprach. Aber sie beschweren sich nicht. Sie haben was sie haben. Vor vielen Jahren verkauften sie ihre Wohnung in Griechenland, sparten und kauften hier eine um im Alter wenigstens keine Miete zahlen zu müssen. Sie freuen sich auf ihre 1000 Euro und sagen auch das sie in Griechenland nichts hätten. Zum Glück hatten sie noch das Eigentum in Griechenland. Dabei wird der eine oder andere sagen, wenn sie dort Eigentum hatten konnte es ihnen ja nicht so schlecht gehen. Tja, 1975 waren die Immobilienpreise selbst für Griechische Verhältnisse sehr niedrig. Gerade mal umgerechnet 3500 Euro kostete die drei raum Wohnung in Thessaloniki.
Ich werde wütend wenn ich heute den fernseher einschalte. Wenn ich sehe wie wir alle über einen Kamm geschert werden. Meine Familie und ich sind keine Einzelfälle. Nein, wir sind die mehrheit aber es wird nicht darüber berichtet. Das ist selbstverständlich dass man sich so verhält wie es sich gehört und das sehe ich auch so, definitiv. Doch viele Schwarze Schafe bringen uns auch in verruf und das ist ein gefundenes Fressen für die Medien und sehr vielen Wählern bestimmter Parteien. Solche Rechtsextremistische Parteien gibt es überall, in Griechenland auch. Beschämend!
Habt ihr keine eigene Frauen in Griechenland? Durfte ich mir auch schon anhören. Als hätte ich etwas gestohlen, meine Frau ein armes Opfer ihrer selbst ist das sich nicht wehren kann und aus meinen Fängen nicht entkommt.
Ich bin DAFÜR das sich Menschen integrieren müssen, DAFÜR das Menschen die sich nicht entsprechend verhalten dafür bestraft werden, vollkommen egal in welchem Land habe ich mich zu benehmen und das erwarte ich auch von anderen. Aber ich bin nicht bereit mich Rassisten zu beugen. Ich bin immer noch ein Mensch wie jeder andere auch. Ein Feind eines jeden Extrem Nationalisten egal welcher Nationalität oder Religion er oder sie angehört. Ich bin und bleibe Grieche, so wie meine Frau ist und bleibt eine Deutsche. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so.
Ich habe kein Recht zu wählen, weil ich nicht die Deutsche Staatsbürgerschaft habe. Auch nach über 31 Jahren wird das als voraussetzung gestellt. Warum? Ist der andere mit einer schlechteren Integration, schlechtem Deutsch, ohne Arbeit ohne alles besser als ich? Weil er einen Pass hat? Dann nein. Dem möchte ich mich nicht beugen, ich akzeptiere es zwar, bleibt ja auch nichts anderes übrig, aber so verliert man eine Stimme. Und das ist nur meine. Es gibt noch mehr, glaubt mir.
Ich erinnere mich gerne zurück an die ersten Jahre hier, von der Reise bis hin zur Schule und das erlernen dieser für mich neuen Mentalität. Im Prinzip war alles neu, aber nichts, auch gar nichts war einfach. Es war eine in meinen Augen sehr schwierige aber auch eine sehr Prägende Zeit. Aber vor allem, nur weil etwas schwierig ist muss es noch lange nicht nicht schön sein.
In dem Sinne, bleibt friedlich
Odysseas
02.09.2020 11:13 •
x 15 #1