Heute bin ich wieder mal in der Vergangenheit aufgewacht. Na, so geht es ja jetzt schon länger. Heute frage ich mich aber, wie konnte ich diesen Eisblock so lange neben mir ertragen, und warum lässt mich das nicht los?
Ich hab gelesen, dass Kometen aus eben solchen Eisblöcken bestehen, im Kern zu Glas gefroren.
So bist du ja auch in mein Leben eingetreten, an diesem Wintertag vor 16 Jahren – in dem Land, in das Tsheburashka in einer Orangenkiste kam, um in einer Telefonzelle heimisch zu werden, dem Land, in dem Jurij Schiwago seine Lara trifft und wieder verliert.
Eingetreten klingt, als ob du höflich angeklopft hättest. Von wegen – eingeschlagen bist du, eben wie ein rasender Komet, und hast mich auf deine Schweifbahn mitgerissen.
13 Jahre hast du gebraucht, um mich einmal ganz zu durchqueren – die Wucht des Aufpralls erzeugte übrigens den kleinen Mond, der sich gravitätisch um mich herum bewegt (nein, weiterhin um UNS, so wenig ich das hinsichtlich der physikalischen Gesetze begreifen kann, denn wir bewegen uns doch schließlich voneinander weg!). Um dann auf meiner andern Seite wieder auszutreten und weiter deiner Bahn zu folgen, befreit von meiner hinderlichen Masse.
Aber was ist da eigentlich passiert, während du durch mich durch gewandert bist? Wie haben sich die Elemente verbunden und: wie konnten wir dabei zwei getrennte Wesen bleiben? Klar waren wir miteinander verwoben und beide krass vom Kurs abgekommen. Aber unsere innersten Kerne haben sich wohl doch verfehlt, nein?
Und wieder seh ich mich da stehen, vermummt in die geerbte Dubljonka, denn es ist kalt und der erste Schnee ist schon gefallen, mit dem Freund, der mir den Ort zeigt, an dem das Neueste des Landes entsteht, das Feinste des dortigen Underground.
Und da seh ich dich zum ersten Mal, aufrecht und herrje, so schön!, so frei, so ruhig, so unabhängig und stolz!, in dem Keller zwischen Bücherkisten und Staub. Deine datiert etwas später, vielleicht hast du mich nicht richtig sehen können vor dem Fenster gegen das gedämpfte Licht des Spätnachmittags?
Also später: der lange Winter ist schon weiter, es ist mein erster Arbeitstag allein in dem Laden nebenan, ein Sonntag. Da gibt es eine Havarie und ich rufe dich an, du bist ja wohl zuständig... Damals noch kaum deiner Sprache mächtig, sage ich, ‘irr-Wasserr-vill-Wasserrr!, Du: klar, kein Problem, bin gleich da.
Aber das hat gedauert (ich glaub, du bist nochmal eingeschlafen, und dann der lange Weg mit der Metro, oder hast du erst ausgeschlafen und dann schnell ein Taxi genommen, wie immer?). Während ich rette was zu retten ist in den Fluten zwischen Kakerlaken und Mäusekot?
Und dann bist du da, und später kommen mehr Leute, mehr und mehr, wir waten alle knietief im Wasser, und es ist der Geburtstag meiner Freundin und während wir alle retten was zu retten ist beginnt schon die Party, uns allen unvergesslich.
Später siedeln alle um in deine Wohnung, eigentlich die deiner guten Freundin, bei der du wohnst und in der wir später zusammen gewohnt haben.
Ich seh uns in der kleinen Küche sitzen, ich hundemüde aber elektrisiert von dir und den alten Chet Baker-Aufnahmen (wie kann einer, der Chet Baker liebt, so kalt sein?). Jedenfalls hast du mich dann ins Bett gebracht, in den Schlaf gewiegt und … aber da war ich schon eingeschlafen.
Unsere erste Nacht kam jedenfalls später. Was dazwischen geschah, davon will ich schweigen.
Ich glaube, inzwischen liebe ich unsere Geschichte mehr als ihn.
Ist gut, weiter so!
Tshe
25.08.2013 10:13 •
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