Ich sehne mich so sehr nach unserm alten Garten, nach dem Johannisbeerstrauch bei der Haustür, den Erdbeeren und den Trauben an der Südwand, von denen Giselle morgens vor dem Kindergarten naschte, nach den Schlüsselblumen im allernördlichsten, fast versumpften Teil hinten, in dem wir den armen Vogel beerdigt haben, der vom Katerchen verletzt worden war. Nach den Narzissen, den Tulpen und dem duftenden blauen und weißen Flieder im Frühling, den Kirschblüten, der Rosenhecke, dem Apfelbaum vor dem Fenster, Ringelblumen und Lilien in der heißen Sonne, den schweren schwarzen Holunderbeeren, Hagebutten und roten Lampionblumen im Herbst, und nach den goldenen Quitten, aus denen unser guter Hausgeist feinstes Gelee macht, den alten Rhodedendren, der rosa blühenden Clematis am Zaun, die betäubend nach Kakao riecht, der großen Schaukel und sogar nach dem ollen Giersch, der sich über Rasen und Beete ausbreitet…
Ich sehne mich so sehr nach unserm alten Haus, verwinkelt und verwunschen, mit all den Erkern und versteckten Ecken, den kleinen Balkonen und engen, gewundenen Treppen, den Winkeln unterm Dach, den deckenhohen Regalen mit Büchern aus der Vergangenheit, der kleinen Küche mit den bemalten Tellern an der Wand, dem Geruch nach Apfelstrudel, nach gut gemachtem Fisch, nach Weihnachten! – nur nach jenem Zimmer im Souterrain, in dem mich das „Ding“ aus seinem Käfig anglotzte und in das du dich später mehr und mehr zurückgezogen hast, mit endlosem „Prison Run“ und „Doctor House“ und Sachen, von denen ich nichts weiß, in dem ich zufällig das Geschenk deiner ersten Liebschaft fand… nach dem sehne ich mich nicht.
Ich sehne mich so sehr nach den Menschen, die in diesem Haus lebten, Alteingesessene und Fremde aus aller Welt, nach ihren Erfahrungen und ihrer Zuversicht, ihrer Liebe, ihrem Widerstandsgeist und ihrem Beharren auf dem Schönen, Guten und Wahren, ihrem Glauben an die Musik und an uns, diese verschworene Gemeinschaft, von weit her gekommen wir alle mit unserm Ranzen auf den Schultern. Ich sehne mich so sehr nach den alten Freunden, deren Emails und Nachrichten auf AB ich immer seltener beantworte, weil mir einfach die Kraft dazu fehlt. Ich sehne mich nach den Gartenpartys, den vertrauten Gesprächen, nach der Freude, einfach durch Zufall oder auch mit Absicht jemandem zu begegnen.
Ich sehne mich so sehr nach unserm alten Städtchen, dem Rathaus, dem Roland, dem Marktplatz, dem Dom, nach jenen nördlichen Landstrichen, wo die horizontale Ebene direkt in den Himmel übergeht. Und du sitzt auf deinem Rad und fährst direkt hinein in diese andere Sphäre. Und ich liebe die Deiche und die Kanäle, das Moor und jene Schleuse und die weiten Felder und Wiesen, im Rückblick sogar den Regen und …
… ich sehne mich so sehr nach dir, nach deinen blitzenden fröhlichen Augen, den verdrehten Geschichten und Anekdoten aus deiner Kindheit, deinem Witz und Charme, deiner Leidenschaft für Jazz, Plattdeutsch und Esperanto, deiner Gleichgültigkeit gegenüber Konventionen, der Leichtigkeit, mit der du sie vom Tisch fegst, deinen verschrobenen Bildern… Nach deinem Körper und deinem Geruch, dem nachlässig zum Zopf gebundenen Haar, nach dem alten Bett, das ich dir überlassen habe, weil es mich nur traurig macht…
05.09.2013 07:56 •
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