DIE NARZISSTEN MÜSSEN FREIWILLIG IN THERAPIE;WIR KÖNNEN IHNEN NICHT HELFEN!
Der Mythos von Narziss erzählt von einem schönen Jüngling, der an einer Quelle sein Spiegelbild betrachtet. Es existieren verschiedene Versionen davon, was dabei passiert. In der wohl bekanntesten Fassung – von Ovid – gerät er dabei in eine Art Wahn: Er verliebt sich in sein Spiegelbild und versucht am Ende verzweifelt, es zu greifen und festzuhalten. Am Ende stirbt der schöne Jüngling an der Quelle (Wieseler, S. 5f.): „Den Sturz ins Wasser kennen schon Kallistratos, wie es scheint, und Plotinos. Doch scheint es, als sei diese Weise des Todes in der Literatur erst später aufgekommen als das Sterben an der Quelle. Je später der Schriftsteller, desto häufiger ist vom Tod im Wasser die Rede. Trotz der Abweichungen im Einzelnen stimmen jedoch alle bisher erwähnten Schriftsteller, welche die Art und Weise des Leidens und Sterbens des Narkissos berühren, darin überein, dass sie jenes mit dem Schauen in das Wasser in Zusammenhang bringen.“
Die Quelle als der Ort, an dem Narziss stirbt, ist sicherlich mit Bedacht gewählt: Narziss gilt als das Kind zweier Wasserwesen, als Sohn des Flussgottes Kephissos und der Quellnymphe Leiriope. Er ist also bei seinem Tod zu seinem Ursprung, seinen Quellen, zurückgekehrt. In dieser Symbolik könnte sich die Einsicht spiegeln, dass Geburt und Tod – von der Natur der Sache her – nun einmal eng miteinander verknüpft sind.
Gerade, wenn man – wie ich – die Interpretation des Mythos durch die Psychoanalyse nachvollziehen will, ist es interessant, Friedrich Wieseler (1856) heranzuziehen: Auf ihn hat sich auch der Freud-Schüler Otto Rank (1911) bezogen, als er in einem ersten Artikel über den „Narzissismus“ die Gestalt des Narziss für die Psychoanalyse zu vereinnahmen suchte.
Narzisstische Persönlichkeiten -
Otto F. Kernberg und Kathrin Asper
Otto F. Kernberg (ihm ist auf dieser Seite ein ausführliches Kapitel gewidmet) definiert: „Narzißtische Persönlichkeiten fallen auf durch ein ungewöhnliches Maß an Selbstbezogenheit im Umgang mit anderen Menschen, durch ihr starkes Bedürfnis, von anderen geliebt und bewundert zu werden, und durch den eigenartigen (wenn auch nur scheinbaren) Widerspruch zwischen einem aufgeblähten Selbstkonzept und gleichzeitig einem maßlosen Bedürfnis nach Bestätigung durch andere. Ihr Gefühlsleben ist seicht; sie empfinden wenig Empathie für die Gefühle anderer und haben - mit Ausnahme von Selbstbestätigungen durch andere Menschen oder eigene Größenphantasien - im Grunde sehr wenig Freude am Leben; sie werden rastlos und leiden unter Langeweile, sobald die äußere Fassade ihren Glanz verliert und momentan keine neuen Quellen der Selbstbestätigung mehr zur Verfügung stehen.“ (1990, S. 261).
Kathrin Asper sieht als „Wesenszüge des narzißtischen Menschen“: „Angst vor Verlassenheit ... Gefühlsdefizienz ... Grandiosität und Depression ... Gestörte S. ... Mangelndes Symbolverständnis ... Unzureichende Wahrnehmung ... Mangelndes biografisches Bewußtsein ... Übermäßige Angst ... Unproportionierte Wut ... Unausgewogene Nähe und Ferne ... Konzentrationsmangel ... Übermäßige Scham ... Unklare Bedürfnisse“ (Asper, 1994, S. 69-72).
Die Autorin verwendet ihre Begriffe widersprüchlich: „Narzißmus bedeutet Selbstliebe im Sinne des Bibelwortes ‘Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst’ (Mt. 19,19). Kurz gefaßt kann die narzißtische Störung als eine Beeinträchtigung der Selbstliebe verstanden werden, bedingt durch emotionale Verlassenheit des Kindes“ (a.a.O., S.63). Dann, zwei Seiten weiter: „Das Selbstwertgefühl des Narzißten ist demnach nicht stabil, arglos und selbstverständlich, sondern schwankt. Es schwankt zwischen Grandiosität und Depressivität“ (a.a.O., S.65). „Narzißmus“ wird als eindeutig positive Eigenschaft gesehen, aber der „Narzißt“ soll durch seine emotionale Störung gekennzeichnet sein? Das passt nicht zusammen.
Kernberg und Asper attestieren der „narzißtischen Persönlichkeit“ bzw. dem „narzißtischen Menschen“ unzählige problematische Eigenschaften, deren innere Zusammenhänge unklar bleiben, und die - wie ich zeigen werde - eher den genauen Gegentyp zu der Figur des Narkissos bilden.
Narzisstische Beziehungen -
Otto F. Kernberg und Kathrin Asper
In punkto mitmenschlicher Beziehung ist Kernberg bei der narzisstischen Persönlichkeit aufgefallen: „Man beobachtet auch starken Neid auf andere ... Die mitmenschlichen Beziehungen solcher Patienten haben im allgemeinen einen eindeutig ausbeuterischen und zuweilen sogar parasitären Charakter; narzißtische Persönlichkeiten nehmen gewissermaßen für sich das Recht in Anspruch, über andere Menschen ohne Schuldgefühle zu verfügen, sie zu beherrschen und auszunutzen; hinter einer oft recht charmanten und gewinnenden Fassade spürt man etwas Kaltes, Unerbittliches.“ (1990, S. 261f)
Kathrin Asper ergänzt: „Daneben läßt sich bei narzißtisch beeinträchtigten Persönlichkeiten eine stete Suche nach idealen Menschen und Verhältnissen beobachten. Sie ist verbunden mit einer ausgeprägten Idealisierungstendenz und einem Kontrollverhalten, wonach der Gegenüber die Erwartungen des narzißtisch verwundeten Menschen vollständig erfüllen muß“ (Asper, 1994, S.64).
Es ist interessant, dass auch hier das Ausbeuterische, Parasitäre, das Idealisierende oder Kontrollierende, das Kernberg und Asper der „narzißtischen Persönlichkeit“ zuschreiben, mit dem Mythos von Narkissos nur insoweit etwas zu tun hat, als es die Beziehungen kennzeichnet, denen der junge Mann ausgeliefert ist. Ihn selbst einer solchen Beziehungsgestaltung zu bezichtigen, stellt eine glatte Verkehrung ins Gegenteil dar.
Bei Kathrin Asper wird an manchen Stellen das Unverständnis des Mythos geradezu lächerlich. Sie sei hier noch einmal stellvertretend zitiert als Beispiel für das bizarre Missverständnis, das psychologische „Fachleute“ Mythen und Geschichten, also auch Lebensgeschichten von KlientInnen, entgegenbringen können. Sie schreibt:
„Tatsächlich erscheint der narzißtisch gestörte Mensch als in sich selbst verliebt, egozentrisch und egoistisch. ... Die Gier nach Echo ist als Versuch eines Menschen zu werten, der sich in der Tiefe nicht annehmen kann und bestrebt ist, durch Kompensation diesen Mangel auszugleichen“ (Asper, 1994, S.85, ähnlich S. 64).
Wie in den Ausführungen zum Mythos von Narziss ausführlich dargelegt, stellt es eine völlige Verdrehung der Tatsachen dar, Narkissos eine „Gier nach Echo“ zu unterstellen. Er möchte mit Echo nichts - aber auch gar nichts - zu tun haben! Weiter missversteht Asper:
„Die mangelnde Beziehungsfähigkeit zu einem Du zeigt sich ebenfalls im Narzissus-Mythus. Der schöne Jüngling ist von ‘sprödester Härte’ (354). Obgleich er Sehnsucht und Liebe bei anderen erweckt, kann er nicht lieben, kennt er kein Du. Selbst mit der Nymphe Echo kommt es zu keiner Beziehung, wie Echo sich nähert, ruft er: ‘(...)Fort! mit den Händen und Armen! Eher würde ich sterben’ (390/1). Echo, Bewunderung ersehnt sich der narzißtische Mensch und ist bereit, dafür manchen Kompromiß einzugehen. Im Gedicht Ovids jedoch kann Narzissus nicht einmal Echo lieben. Dies weist auf die tiefliegende Unfähigkeit (nicht im moralischen Sinne gemeint!) narzißtisch beeinträchtigter Menschen hin, echtes Echo, wahre Anerkennung wirklich auch auf emotionaler Ebene anzunehmen“ (a.a.O., S. 99).
Dass Narkissos von ‚sprödester Härte‘ sei, das ist lediglich das, was die anderen, der aufdringliche Ameinios und die geistlose Echo, über ihn fälschlich behaupten. Und: Von „Liebe“ kann doch bei der Nymphe gar keine Rede sein. Sie ist auf der Suche nach jemandem, dem sie nachplappern kann. Wenn sie den jungen Mann wirklich „geliebt“ hätte, dann hätte sie ihn mit ihrem hohlen Geplapper verschont. Narkissos dagegen ist keineswegs unfähig zu lieben, sondern er will und möchte zu Echo keine „Liebesbeziehung“ aufbauen. Es gibt da nichts, auf das Narkissos sich beziehen wollte und könnte. Sie ist kein richtiges Gegenüber, kein „Du“, sie ist halt nur Echo. Es fiele Narziss nicht im Traume ein, „Echo“ zu „ersehnen“ oder „auf emotionaler Ebene annehmen“ zu wollen.
Und dann: „echtes Echo“ – das ist zwar eine schöne Alliteration, aber ansonsten genauso unsinnig, als würde man von einer „echten Kopie“ reden.
20.09.2012 11:42 •
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