Lieber Steinfall,
ich hoffe, dass ich heute noch meine Gedanken in meinem Kopfschmerzhirn zusammen bekomme.
Mir fällt viel zu dem ein, was Du schreibst.
Ersteinmal tut es mir einfach leid, dass Du so viel menschliche Ablehnung erfahren hast und ich würde Dich Gummibärchen einfach mal gerne drücken
Beim Stichwort Gummibär fällt mir ein junger Mann ein, den ich mal auf einer Reise kennenlernte. Der sah ganz normal aus, war aber wirklich sehr dick. Naja wir freundeten uns etwas an und wenn wir uns zum Abschied umarmten, dachte ich halt immer, so umarmen große Gummibären Er konnte drüber lachen, nahm es mir nicht übel.
Übrigens hatte er natürlich keine top Karten bei Frauen, aber ein sehr lebendiges soziales Leben und als Musiker sogar ständig auf der Bühne.
Also bezüglich der Klinik will ich Dich echt zu nichts überreden, doch als ich las, mit welchen Problemen die Menschen dort hinkommen- Isolation, große Angst vor Kontakten, Selbstablehnung, Suizidgedanken, da dachte ich halt, dass Du Dich dort wenigsten unter Menschen befinden würdest, Dich verstehen, wie Du Dich fühlst. Und der Mann auf dem Homepagebild ist ja nun auch kein Model. Da gehen ja nicht Topmodels hin, die sich einbilden hässlich zu sein, sondern auch Menschen, die unvollkommen sind, kleine und große Makel haben und aus vielen Gründen nicht gelernt haben, sich selbst dennoch anzunehmen. So habe ich es jedenfalls verstanden.
Ich dachte einfach an Deine Einsamkeit und Dein Gedankenkreisen, das jeder von uns kennt. Man entwickelt bezüglich eines Problems ein festes Bild in seinem Kopf und sieht keinen Ausweg, hat tausend tatsächlich ersteinmal plausibel erscheinende Argumente dafür, warum es keinen Ausweg gibt. Ja und die denkt man wieder und wieder, kann aber so ganz allein unmöglich neue Anregungen bekommen, die möglicherweise einen Ausweg aufzeigen.
Du musst ja bedenken, dass wir alle, ganz gleich, worum es geht, immer nur einen sehr begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit wahrnehmen. Wenn Du weiterhin nur in Deiner ganz eigebnen Gedankenwelt rotierst und keinem neuen Gedanken die Tür öffnest, kann sich nichts ändern.
Und es geht nicht darum, die Vergangenheit zu ändern. Du hast diese schrecklichen Erfahrungen nun einmal gemacht. Aber das heißt noch lange nicht, dass es nicht Menschen gibt, die Dir heute liebevoll und aufgeschlossen begegnen würden. Daran noch zu glauben, ist für Dich natürlich extrem schwer und Du hast mein absolutes Verständnis. Dennoch wäre es sehr traurig, wenn Du Dir selbst nicht die Chance gibst, neue Erfahrungen zu machen.
Deine Optik wird im groben die gleiche bleiben, aber was sich durch Erfahrungen ändern kann, ist Dein inneres Empfinden, Den Selbstbild usw. Und sobald sich das ändert, verändern sich auch Deine Erfahrungen mit Menschen.
Egal, worum es im Leben geht, ganz gleich, welche Problematik, und kaum ein Mensch ist vor wirklich schrecklichen Schicksalsschlägen gefeit- Tod, Unfälle usw., bedenke, dass es immer etwas gibt, was du noch nicht weißt, noch nicht erfahren, gefühlt, gedacht hast.
Das ist auch mein persönliches Lebensrezept in Kummerphasen.
Weißt Du, wie oft ich bei Menschen die völlige Hoffnungslosigkeit erlebt habe? Da werden dann Dinge gesagt wie: es gibt definitiv keine Lösung!, Ich werde mich nie wieder von diesem Schmerz erholen!, Ich kann so nicht weiter leben! usw.
Und ich selbst dachte auch mal so. In meiner privat-Logik gab es einfach keinen Ausweg. Ich meinte, alles schon durchdacht zu haben- chancenlos.
Mit der Zeit und eben durch neue Erfahrungen ändert sich dann meistens doch die Sichtweise. Das heißt aber natürlich nicht, dass das Leben mit einem Mal nur noch ein einziger Spaß ist. Gewiss nicht. Aber es geht auch nicht um Spaß, sondern darum, Sinn zu empfinden und Nähe zu erleben.
Ach so, fast vergessen: ich hatte die Idee, dass Du einfach mal eine Mail an die Klinik schreibst. Dadurch verlierst Du ja nichts und kannst ja auch anonym schreiben. Schreibe diesen Leuten doch einfach, dass Du meinst, wirklich hässlich zu sein und ob Du dennoch trotzdem am richtigen Ort bist. Warum nicht? Das sind ja Menschen, die sich immerhin intensiv mit dieser Thematik befasst haben. Und selbst wenn Du dort nicht am richtigen Ort bist, werden sie Dir vielleicht Tipps geben können, wo man Dir helfen kann.
Was hältst Du davon?
Und noch eine Kleinigkeit, etwas ganz pragmatisches. Du schreibst, dass Deine Psychologin sich nach eurem Händegeben danach heimlich die Hände von Deinem Schweiß abwischt und interpretierst das als Abneigung.
Hier würde ich mal ganz praktisch denken: wenn mir jemand seine feuchte Tatze reicht, ganz gleich, wie schön er auch sein mag, dann wische ich mein Pfötchen danach ab weil es sich einfach nicht gut anfühlt ne feuchte Tazte zu haben. Ginge Dir umgekehrt sicherlich genau so, oder?
Damit will ich Dir nicht Deine Psychologin schön reden. Wenn die Chemie zwischen euch nicht passt, dann ist es so. Das kommt ja häufiger vor. Auch ich suchte lange, bevor ich eine fand, die ich wirklich sofort bejahen konnte.
Aber bedenke vielleicht auch, dass Du ihre Reaktionen nicht unbbedingt immer richtig interpretierst.
Stell Dir einfach mal vor, sie mag Dich, merkt aber, dass Du alles, was sie tut, gegen Dich auslegst. Das wird auch für sie richtig schwer sein und sie hilflos fühlen lassen.
Ich will Dich einfach daran erinnern, dass alle Menschen auch unsicher, ängstlich, hilflos sind. Auch Psychologen.
Übrigens glaube ich grundsätzlich nicht so ganz an diese angeblich genetische Disposition zu allem möglichen- hier bezüglich Deiner Akne. Du bist übergwichtig, Du quälst Dich, erlebst keine Nähe usw. und das drückt sich immer auch körperlich aus. Was meinst Du, was sich doch noch körperlich verändern lässt, wenn Du ein wenig Zufriedenheit erleben würdest.
Ich wage mal zu behaupten, dass auch Dein starkes Schwitzen psychosomatisch ist.
*reich die feuchte Tatze* Nicht die Hand abwischen!
Gute Nacht****
10.10.2017 23:21 •
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