Zitat von Ema:Woran macht ihr die Diagnose ADHS fest?
Ich habe hier ziemlich viel mitgelesen und sehr vieles, von dem, was ihr beschreibt, lässt mich stark an Borderline denken.
Jetzt ist es so, dass ich eine Menge Literatur über Borderline gelesen habe und so gut wie gar nichts über ADHS. Mich wundern einfach die Parallelen.
Mir fällt überhaupt oft die genaue Abgrenzung schwer. Viele hier von euch haben über gleichzeitigen A lko holmissbrauch des Partners geschrieben. Auch da gibt es meines Erachtens viele Symptome, die die Zuordnung erschweren: Was genau ist auf den Substanzmissbrauch zurückzuführen (aggressives Verhalten, mangelnde Impulskontrolle z.B.) und was auf das ADHS?
Kennt sich da jemand etwas näher mit aus?
Du hast Recht - es ist sehr schwierig eine Diagnose zu stellen. Und eigentlich sollten wir das auch nicht. Wir sind keine Fachleute, sondern nur durch eine toxische Beziehung Geschädigte auf der Suche nach Antworten.
Ich behaupte nicht, dass ich mich auskenne. Ich wollte nur - wie so viele hier - nach einer furchtbaren Beziehung mit noch schrecklicherem Ende - wissen, warum das alles passiert ist. Warum der Schmerz so furchtbar ist. Warum die Beziehung trotz all meiner Bemühungen schlussendlich gescheitert ist. Und hier also meine Erklärungen aus meiner ganz persönlichen Erfahrung:
Die Psyche ist ein weites Land. Leider gibt es keinen Bluttest auf irgendwelche Störungen oder Krankheiten. Und zumeist auch keine klare Diagnose oder Abgrenzung. Es gibt nur Symptome, nach denen sich mehr oder weniger gut Störungen erkennen lassen.
Gerade ADHS bei Erwachsenen bleibt oft unerkannt. Wie viele davon betroffen sind, ist auch nicht genau bekannt. Die Dunkelziffer ist sicher hoch. Diese Menschen fallen nur durch ihr für uns schwieriges Verhalten sowohl im Job als auch privat auf. ADHS geht oft einher mit weiteren Problemen, etwa einer Sucht oder einer psychischen Störung oder Erkrankung, wie Depressionen, Borderline oder narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Diese sind oft Anpassungsmechanismen bzw. Folgen der ADHS, da diese die Erkrankten sehr belasten kann. Im Laufe des Erwachsenenlebens versuchen sich Menschen mit ADHS anzupassen bzw. Strategien zu entwickeln, damit umzugehen. Vor allem ältere Erwachsene wissen ja zumeist gar nicht, dass sie ADHS haben, weil es diese Diagnose in ihrer Kindheit nicht gab. Sie hatten nur Schwierigkeiten schon in der Kindheit und der Jugend und haben Mechanismen entwickelt, damit zu leben.
ADHS bei Erwachsenen zeigt sich oft anders als bei Kindern. Die typische Hyperaktivität (Zappelphilipp) muss nicht mehr vorhanden sind. Von der äußeren Unruhe wird oft zu einer inneren Unruhe gewechselt. Merkmale, die sich mit meinen Erfahrungen decken, sind vor allem:
[b]Fehlende Aufmerksamkeit und Konzentration, leichte Ablenkbarkeit[/b], vor allem bei Aufgaben, die einen ADHSler nicht interessieren.
Mein Ex konnte zwar stundenlang Egoshooter am Computer spielen, aber mir keine fünf Minuten konzentriert zuhören. Das macht eine konstruktive Kommunikation sehr schwer bis unmöglich. Häufig vergessen ADHSler auch sofort wieder alles, was man ihnen gesagt hat. Sie wirken schusselig. Ständiges Fragen (Wo sind meine Autoschlüssel?, Wo habe ich meine Tasche hingestellt?, Wo haben wir eigentlich XY?, etc.) selbst nach banalsten, täglichen Dingen. Mein Ex merkte sich auch nach Jahren nicht, wo welche Sachen in der Wohnung sind. Sie vergessen, etwas zu besorgen oder zu erledigen, obwohl abgesprochen. Man hat den Eindruck, sie sind mit dem Kopf ständig woanders.
Schnelle Langeweile, Bedürfnis nach starken (immer stärkeren) Reizen.
ADHSler können sich intensiv mit etwas beschäftigen, das sie interessiert. Sie verlieren aber schnell auch wieder das Interesse und beginnen sich zu langweilen. Mein Ex hielt Ruhe oder Stille überhaupt nicht aus. Ständig musste ihn etwas berieseln - Radio, TV, Computer, Handy, Tablet. Oft alles zugleich. Er textete dauernd mit irgendwem am Handy. Er war ständig auf der Suche nach Unterhaltung und Ablenkung. In Beziehungen wirkt sich das oft so aus, dass ADHSler zu Beginn unsterblich in einen verliebt sind, einen mit Aufmerksamkeit und Liebesbekundungen überschütten und man das Gefühl hat, man ist der Mittelpunkt im Universum. Und dann plötzlich wird man ihnen langweilig. Dann beginnen sie oft Streit, erzeugen Drama und Chaos, nur damit diese starke Dynamik wieder beginnt. Das sind oft diese grauenhaften On/Off-Beziehungen, wo man sich nicht auskennt. Dieser Wechsel von Nähe und Distanz. ADHSler sind schnell verliebt und auch wieder entliebt. Auch beim Essen ist mir aufgefallen, dass mein Ex starke Reize brauchte - extrem scharfes Essen. Auf alles wurde eine dichte Schicht Chilli draufgestreut. Viele ADHSler kennzeichnet auch stark risikobehaftetes Verhalten, etwa zu schnelles Autofahren oder riskante Sportarten.
Starke Ich-Bezogenheit, Egoismus, narzisstische Tendenzen.
Als Partnerin eines ADHSlers hatte ich das Gefühl, ich existiere gar nicht für ihn. Außer zur Unterhaltung. Alles drehte sich nur um ihn, um seine Bedürfnisse und Wünsche. Und die mussten alle erfüllt werden. Und zwar sofort. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich oberste Priorität hatte. Alles und alle anderen waren wichtiger. Auch das lässt sich mit der fehlenden Aufmerksamkeit erklären. ADHSler können sich nicht lange auf eine Sache konzentrieren. Und dazu zählen halt auch die Partner. Das muss nicht heißen, dass sie einen nicht lieben, aber man ist halt nicht mehr so interessant. Mein Ex konnte aber nicht wirklich lieben. Da blieb alles an der Oberfläche. Er ist nur ständig auf der Suche nach dem Gefühl des Verliebtseins. Wenn das verfliegt, dann wechselt er die Partnerin. In der Hoffnung, die Nächste ist die Richtige.
Schwarz-Weiß-Denken. Sprunghaftigkeit und Impulsivität.
ADHSler tun sich schwer damit, dass das Leben halt nicht nur schwarz oder weiß ist, sondern es viele Grauabstufungen gibt. Für meinen Ex gab es nur gut oder schlecht, interessant oder fad. In Beziehungen bedeutet das, dass ADHSler oft nicht mit Problemen umgehen können, die in jeder Beziehung einmal auftauchen. Heute wird man geliebt, morgen gehasst. Schnell wird die Beziehung infrage gestellt. Schnell wird Schluss gemacht, wenn was nicht passt. Meiner Meinung nach unmöglich für einen ADHSler ist das Arbeiten an einer Beziehung. Das Besprechen von Konflikten oder das Ausdiskutieren von Unstimmigkeiten (siehe auch fehlende Aufmerksamkeit und Konzentration). Für meinen Ex war jedes Problem sofort das Aus. In einer Phase, in der ich wenig Zeit für ihn hatte, hat er sich eine Neue gesucht. Nach einer jahrelangen Beziehung. Für ihn hat es halt nicht mehr gepasst. In einer gesunden Beziehung übersteht man auch solche Phasen gemeinsam. Für einen ADHSler gibt es nur passt oder passt nicht. Und das gilt nur für den Moment. Sie leben nur für den Moment. Für das Hier und Jetzt. Sprunghaftigkeit und Impulsivität sind kennzeichnend. ADHSler überlegen nicht, was ihr Handeln für Konsequenzen hat. Sie überlegen nicht, ob sie andere verletzen und ob ihre heutige Entscheidung morgen noch sinnvoll ist. Sie entscheiden impulsiv.
Suchterkrankungen.Menschen mit ADHS fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut. Diese Unruhe, diese Getriebenheit, die fehlende Fähigkeit mit Gefühlen umzugehen. Manche betäuben diese unangenehmen Zustände mit Substanzen, wie etwa Alk. Andere entwickeln andere Süchte, wie Spiel-, Kauf- oder 6-Sucht. Bei meinem Ex war es der Alk. Er trank ständig, aber besonders viel, wenn er unter Stress stand, Druck verspürte oder Langeweile.
Alles in allem lässt sich zusammenfassen - eine Beziehung mit einem ADHSler ist schwierig bis unmöglich. Vor allem wenn keine Krankheitseinsicht da ist, wenn keine Behandlung oder Therapie erfolgt. Nicht nur verlangt eine solche Beziehung vom Partner faktisch Menschenumögliches, sondern der ADHSler selbst bleibt wahrscheinlich nicht lange in einer Beziehung. Die Basis, auf der eine gesunde Beziehung aufbaut - Liebe, Vertrauen, Nähe, Beständigkeit, Treue, Loyalität, Kommunikation, Verständnis, Konfliktfähigkeit, Empathie - fehlt. Statt dessen: Chaos, Drama, Stimmungsschwankungen, Impulsivität, Egozentrik.
So, jetzt ist mein Text ohnehin schon sehr lange geworden. Ich hoffe, ich konnte - aus meiner persönlichen Erfahrung und Sicht - ein wenig Klarheit bringen. Ich entschuldige mich jetzt schon bei Betroffenen mit ADHS, die meinen Eintrag lesen, falls ich etwas aus ihrer Sicht nicht richtig dargestellt habe. Aber - wie gesagt - alles meine persönliche Ansicht.