Hallo ihr :)
Hinrich
Zitat:Ich habe mir in den letzten Jahren angewöhnt, mir eine gewisse Art der Medienhygiene zukommen zu lassen, um positiv denken und fühlen zu können. Lasse ganz bewusst nur gewisse Dosen an Leid der Welt an mich heran, indem ich zum Beispiel nicht dauernd Nachrichten schaue oder mir das Krimi-Einerlei mit Mord und Totschlag antue. Und es hilft tatsächlich! Ich denke nämlich, dass der Mensch unterbewusst all das absorbiert, was er so den Tag über aufnimmt. Und das ist heute sehr viel und es bleibt immer weniger Zeit für die Verarbeitung dieser Eindrücke. Es wundert mich nicht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen so in die Höhe geschnellt ist. Unsere emotionalen Filter können viel, aber eben nicht alles.
Diese Gedanken haben es mir angetan :) Und auch ich versuche mich weitesgehend vor dem Medienstrom zu schützen. Wenn man bedenkt, wie viele Informationen, wie viele Bilder heutzutage täglich auf uns einrieseln...Das ist doch Wahnsinn! Was wir heute alles aufnehmen: der Star hat einen Skandal verursacht, jener ist dick geworden, Tipps zum x, Tipps zum y, Krieg hier, Krieg dort, neuste Erkenntnisse aus der Forschung! Neueste Ernährungstipps usw. Ich empfinde das als reinste Zumutung!
Und ich habe es mir immer so vorgestellt, dass jede kleine Information tatsächlich in meinem Unterbewusstsein gespeichert wird- auch wenn ich sie nicht unmittelbar erinnere...Wenn man sich vorstellt, dass alle Bilder, Eindrücke irgendwo in uns bleiben und ihre Wirkung tun...Dann sollte man soch ein wenig vorsichtiger sein. Und bin bemüht, meine Seele ein wenig zu schonen :) Dazu gehört für mich auch das Lesen im Forum. Es ist eine Verführung, sich mit hier erzählten Geschichten auseinander zu setzen, zu identifizieren...und ich habe hier wirklich schon sehr interessante Dinge gelernt...Trotzdem...ich halte es für viel gesünder, in besinnlicher Stimmung, mit sich alleine ein Buch zu lesen, einen Spaziergang zu machen...Telefon aus, Handy aus...Mal nur mit sich allein sein...und ähnliches. Immer in Kommunikation zu sein, halte ich für ungesund.
Auch ich habe früher mehrmals Erich Fromms Kunst des Liebens gelesen :) Ein wirklich schönes Buch, sowie übrigens auch Fritz Riemanns Die Fähigkeit zu lieben Ein kleines Büchlein, das einen wieder auf den Boden zurückbringen kann, wenn die Gedanken in 1000 Richtungen zertreuen :) Mir scheint es manchmal so, als ob man- auch durch den Einfluss der Medien- die Liebesbeziehungen quasi otimieren will. Man ist Mutter/Vater, versucht seiner Elternrolle so gut als möglich nachzukommen, man will beruflich vorankommen, man will jung und dynamisch bleiben, man will die Liebes,- und ero. Beziehung zum Ehepartner wieder entflammen, man will sich selbst finden, man will jung bleiben usw. usf.
Aber Beziehung ist doch auch irgendwo eigentlich etwas ganz einfaches. Wann spürt man das noch bei diesem Leistungsgedanken? Wann verbringt eine Familie einen besinlichen Sonntag im Grünen und nimmt sich gegenseitig einfach nur wahr? Wann gibt es ein ruhiges Abendbrot ohne tausende von Gedanken, ohne Iphone? Ohne Informationsberieselung? Ich glaube manch einmal, dass das, was Beziehung, Nähe ausmacht, unter diesem Optimierungsgedanken völlig verloren geht. Man jagt diesen ganzen Ideen nach und das Wesentliche verliert man aus dem Blick. Der Konsumgedanke ist in die Beziehungen eingezogen. Ich habe davon auch nicht selten im Forum gelesen: ein Partner erfüllt nicht alle Bedürfnisse und nicht sofort und schnell wird sich die Befriedigung, von der man annimmt das sie einem zusteht und das sie Glück verspricht, andreswo geholt oder die Beziehung beendet. Dabei wird oft vergessen, das eine Beziehung aus innen heraus wächst, das eine Beziehung kein Abenteuerspielplatz ist...Es ist wie beim Shoppen: ständig Ersatzbefriedigungen, statt wirkliche Zufriedenheit.
Und zum positiven Denken ist mir auch etwas eingefallen. Ich habe zwar auch einige Bücher darüber gelesen und finde den Ansatz sehr gut...Aber ich sehe es eher so, dass zwei Dinge nebeneinander laufen sollten, sich zwar auch gegenseitig beeinflussen, aber sie nicht durcheinander ersetzbar sind. Damit meine ich, dass positives Denken (und wie Alena richtig sagt- positives Fühlen :) ) die tiefen inneren Konflikte, wie ich sie hatte und oft noch habe, nicht durch positives Denken gelöst werden können.
Unfähig, wir hatten hier kürzlich z.B. die Frage danach, was will ich (ganz unabhängig von meinem Partner) von meinem Leben? Was sind meine Wünsche, Ziele, Bedürfnisse? Wenn man aus Gründen x,y nie gelernt hat, sich selbst zu spüren, sich und sein Leben ernst zu nehmen, dann kann das positive Denken m.E. allenfalls ein guter Ausgangspunkt sein. Das ersetzt aber nicht die Arbeit an sich selbst, die tiefen Glaubensmuster oder Ausrichtungen (wie z.B. die Fokussierung auf den Partner) wirken da stärker und gerade weil sie oft unbewusst sind, kommt man da nicht mit positivem Deken gegenan.
Liebe Unfähig, Du schreibst z.B., Du müsstest jetzt Deine Eifersucht in den Griff bekommen. Ich kenne diese Gedanken, habe es damals durch (positives) Umdenken dann auch geschafft, mich anders in der Beziehung zu verhalten. Aber langfristig stolperte ich immer wieder in alte Muster. Erst als ich began, mich zu spüren, zu erleben, wie es ist, bei mir Zuhause zu sein und neben der Beziehung eine Erfüllung durch mein eigenes Leben zu empfinden, hörte auch diese Art Eifersucht auf. Ich denke aber übrigens, dass ein wenig Eifersucht okay ist; darf halt nicht in Verlustängsten und ängstlicher Überwachung des Liebesobjekts ausarten. Das ist nur ein Beispiel, das erklären soll, warum ich annehme, dass das positive Denken nur ein Ausgangspunkt sein kann.
Ich hatte am Wochenende ein Gespräch mit einer Bekannten, die- so könnte man sagen- der Inbegriff des positiven Denkens ist :) Eine sehr lebensbejahende Frau, die voller Tatendrang steckt, die ihren Mitmenschen stets so offenherzig begegnet und viel erreicht hat im Leben. Ich sah sie immer nur strahlen...Nun knickte sie ein und leidet gerade sehr. Als Grund nannte sie, dass sie bei allem Aktivismus ganz vergessen hatte, sich selbst zu spüren. Nun könnte sie sich in positivem Denken üben...aber das tut sie schon...Sie selbst sagt, sie muss sich einfach mal wieder fühlen, auch die Trauer, die in ihr ist. Manchmal gehts also auch darum, einmal negative Gefühle zuzulassen.
Ich selbst war ja früher nach Außen hin der Strahlemann :) Alles paletti bei mir! war mein Lebensmotto. Und erst in der Therapie kam ich dahin, zu fühlen, wie wenig paletti ist und wie traurig, wütend etc. ich eigentlich bin. Ich habe gefühlte 100 Regentonnen voll geweint.
Schön übrigens dass es Dich motiviert, dass ich in Vergangenheitsform schreibe :) Und ich spüre es tatsächlich sogar in sehr schweren Situationen- es hat sich etwas bei mir verändert aber dennoch tauchen auch bei mir immer wieder Ängste, alte Muster auf...Dann muss ich mir Ruhe gönnen, ziehe mich zurück, und gehe wieder ins mich selbst Fühlen. Das ist sowieso das beste Rezept gegen viele menschliche Konflikte. Ist man wieder mit sich selbst im Reinen, dann begegnet man dem Menschen, mit dem man gerade im Konflikt ist, auf viel ruhigere, vernünftigere Art und Weise. So entsteht das Gefühl der Nachsicht und Güte- bei mir jedenfalls :)
Wie geht es euch denn gerade? Zukunft, wie ist der Stand der Herzensdinge? Was geht Hinrich? bzw. wie geht es Dir? :wink: Unfähig, hast Du inzwischen mal Bekanntschaft mit Fähig gemacht? :) Ach dabei fällt mir noch etwas ein, was mir fast bei jedem Deiner Beiträge auffällt: es ist schön, dass Du so selbstkritisch denkst aber es hat ein wenig den Tenor: wenn ich nur endlich ein liebes, braves Mädchen bin, dann wäre alles in Butter. Auch wenn Du Deine Schwachstellen erkennst und daran arbeiten möchtest, so klingt es so, als würdest Du zu viel Verantwortung übernehmen. Ich habe eine Zeitlang genauso gedacht. Habe meinen Exfreund maßlos idealisiert und habe mich allein für das Scheitern unserer Beziehung gemacht. Ich habe mir monatelang die Augen ausgeheult und gedacht oder auch gesagt Wenn ich nur gesünder gewesen wäre, dann hätten wir miteinander Alt werden können. Das ist aber aus heutiger Sicht nur ein Teil der Wahrheit und mein Exfreund sieht es genauso. Wir hatten neulich ein langes Gespräch und er erzählte mir, dass er mit seiner Partnerin sehr ähnliche Probleme hat, wie damals mit mir. Das fanden wir beide erstaunlich weil sie ein ganz anderer Mensch ist als ich. Als er sie damals kennenlernte, sagte er einmal, dass er sich bewusst eine Frau aussuchte, die völlig andere Lebensprioritäten hat als ich, die lebt und hat, was ich nicht habe (klingt vielleicht unsensibel aber er hat so etwas immer auf liebevolle Weise ausgedrückt). Nun, das zeigt doch ganz deutlich, dass auch er ein Thema wieder und wieder erschafft, das gelöst werden will. Ich war jedenfalls mehr als überrascht, als ich das erfuhr. Das entbindet mich selbstverständlich nicht von meiner Verantwortung :D Soll nur zeigen: jeder hat seine Baustelle und sollte sie für sich und weniger durch den Partner lösen wollen.
herzliche Grüße,
aufgewacht