Martin Luther King: Wer unfähig ist, zu vergeben, der ist auch unfähig, zu lieben.
Achtung. Es folgt ein sehr langer und für mich sehr emotionaler Text, in dem ich einfach meine ganzen Gefühle rauslasse.
Ich habe erst gezögert, ob ich mich in diesem Thread beteiligen soll, oder nicht. Aber mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass ich es machen möchte, daher schreibe ich hier auch.
Natürlich hat Dein Thema mich getriggert. Sehr sogar.
Ich bin nämlich die von der anderen Seite.
Also die, die von ihrem Partner betrogen wurde.
Um es direkt vorweg zu nehmen wir sind inzwischen nicht mehr zusammen. Wir hatten vor noch nicht allzu langer Zeit, eine Phase in unserer Beziehung, wo viele schlimme Dinge geschehen sind. Mein Zwillingsbruder starb bei einem Autounfall er war seinerzeit der beste Freund meines Partners und ich habe eine Fehlgeburt erlitten. Das waren Situationen, die unser beider Leben und auch unsere Partnerschaft sehr belastet haben.
Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Beides ist sehr kurz hintereinander passiert und ich wollte mich für immer verkriechen. Habe mich in meine eigene Welt geflüchtet und nur getrauert. Konnte und wollte nicht sehen, dass es auch andere Menschen (meinen Partner) gab, der ebenfalls sehr mit diesen Schicksalsschlägen zu kämpfen hatte. Es war kein Herankommen an mich möglich.
Mein Freund hatte zudem noch ein finanzielles Problem, von dem er mich damals nicht selbst in Kenntnis setzte und er spürte Druck, ich spürte Druck und dennoch waren wir nicht fähig, gemeinsam die Dinge anzugehen. Jeder auf seine Weise.
Eines Tages kam dieser Tag, an dem seine Affäre mit seiner Arbeitskollegin auf den Tisch kam. Ich habe komplett dicht gemacht. Ich dachte die ganze Welt hätte sich gegen mich verschworen. Ich habe mich verraten gefühlt, im Stich gelassen gefühlt und als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt. Ich konnte mir selbst aber auch nicht trauen.
Ich habe die ganze Schuld bei mir selbst gesucht. Für alles.
Dass ich meinen Bruder nicht die richtige Schwester war, die er verdiente (wir hatten uns kurz vor seinem Unfall gestritten), dass ich unfähig war, ein Baby auf die Welt zu bringen, dass ich diese Partnerschaft nicht halten konnte usw. Ich habe mich selbst komplett fertig gemacht. Habe alle ausgeschlossen und mein Herz vor allen verschlossen.
Ich bin irgendwann komplett zusammengebrochen und habe mir dann Hilfe gesucht bzw.bin über meinen Schatten gesprungen und habe mir professionell helfen lassen.
Daher ja, ich bin nicht die, die betrogen hat, sondern betrogen wurde, aber ich weiß, obwohl ich auf der anderen Seite Deiner Story stehe, genau, wie es sich anfühlt, sich selbst etwas nicht verzeihen zu können.
Inzwischen kann ich mit genügend Abstand, Selbstreflektion, verdammt viel Arbeit, noch mehr Tränen, Ängsten, Selbstzweifel, aber auch durch Neugier, Entdeckungsarbeit, Selbstliebe und Selbstbewusstsein und letztlich durch Vergebung sagen, dass jede noch so schreckliche Seite auch etwas Gutes beinhaltet.
Ich habe gelernt, dass wir jeden Tag die Wahl haben. Die Wahl etwas zu verändern.
Und ich kann inzwischen mit voller Überzeugung sagen. Ich habe gelernt, dass Vergebung mit das Allerwichtigste im Leben ist.
Lieben und Vergeben sind die Schlüssel für ein glückliches und erfülltes Leben.
Ich finde es wirklich sehr groß und beeindruckend, wie reflektiert Du schreibst. Nicht verbittert, nicht jammernd, sondern sehr ehrlich und glaubwürdig.
Und das, was Du schilderst, das liest sich für mich auch so, dass ihr Beide auf einem guten Weg seid. Der sicherlich noch lange nicht zuende ist. Aber es braucht schon sehr viel Größe und Kraft und da habt ihr Euch gegenseitig nicht aufgegeben.
Wenn Du magst, schildere ich Dir in kleinen Exkurs, wie ich die letzten Jahre damit verbracht habe, mich dem Thema Vergebung und Selbstverzeihung anzunähern.
Ich habe gelernt, dass Vergebung ein Aspekt der Liebe ist. Auch der Selbstliebe.
Es ist das schönste Werkzeug, was wir haben um zu heilen und zu wachsen.
Zu erkennen, dass wir nur Menschen sind. Wir machen Fehler. Und wir machen diese Fehler nicht, weil wir mit Vorsatz einem geliebten Menschen Schaden zufügen wollen, sondern weil wir es (in dem Moment) nicht besser gewusst haben.
Ich habe gelernt, dass es nur zwei Systeme gibt. Das der Liebe und das der Angst. Alles was nicht aus der Liebe heraus passiert, geschieht aus Angst. Aus Mangel. Ich habe dabei gelernt, mich zu fragen, woher dieser Mangel/diese Angst kommt. Was ist die geschwächte Wurzel?
Ich habe in vielen Gesprächen mit einem Coach und Therapeuten in Drei Schritten (ohne Zeitangaben) Folgendes versucht:
Um die Schwere eines schlimmen Ereignisses bildlich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, habe ich mir immer eine schwere Kette mit einer Eisenkugel daran vorgestellt. Eine Fussfessel aus Trauer und Scham, die betonschwer jeden meiner Schritte begleitet. Ich habe nicht gern über meine schambehafteten Probleme gesprochen. Über all die Fehler, die ich mir einbildete gemacht zu haben, keine Beziehung führen zu können, meinen Mann nicht glücklich zu machen, kein Kind zu bekommen und meinen besten Freund und Bruder nicht mehr an meiner Seite zu haben.
Das Thema Vergebung ist ein Prozess, den ich erst lernen musste und auch immer noch weiter lerne.
Jeder Prozess braucht Zeit.
Der erste Schritt, den ich gelernt habe, war, mir die ganze Geschichte anzuschauen. Eine Person zu haben, der ich das alles anvertrauen kann, was sich in mir aufgestaut hat. Ich habe auch viel geschrieben, alles aufgeschrieben zu der Zeit, wenn ich mal nicht darüber sprechen konnte. Einfach nur, damit es aus meinem Kopf raus ist.
Solange es sich in Deinem Kopf immer und immer wiederholt, gibst Du dem Ganzen immer wieder auch neue Macht. Macht, die Vergangenheit und in Eurem Fall, Deinen Betrug, immer wieder in die Gegenwart und somit auch in Eure Zukunft zu holen.
Wie fühlt sich die Schuldzuweisung an?
Wie ein Rucksack voller Steine, der einen (Dich und Euch als Paar) immer wieder unten am traurigen Boden hält und Dich/Euch nicht wachsen lässt.
Wenn Du Dich selbst immer wieder negativ bewertest, dann gibst Du diesem Ereignis immer wieder neue Macht zu bleiben.
Der zweite Schritt ist akzeptieren.
Akzeptieren, dass es so war, wie es war. Du hast es nicht getan, um Deinem Partner zu schaden oder um Dir selbst zu schaden.
Vielleicht hast Du es getan, weil Du Angst hattest? Weil Du im Ego warst und geglaubt hast, Du müsstest Dich schützen. Weil Du Dich vielleicht hilflos fühltest (u.U. auch aus einer alten Sache aus Deiner Vergangenheit heraus)
Du weißt es heute besser, weil Du/weil ihr diese Erfahrung gemacht habt.
Wieder ein bildliches Beispiel: Ein Graben.
Es ist ein Graben da. Zwischen Euch. Als Paar. Man kann sich immer wieder über die Existenz dieses Grabens aufregen, oder aber man kommt irgendwann an den Punkt, zu akzeptieren, dass er einfach da ist. Erst wenn man akzeptiert hat, kann man loslassen. Dass die Gedanken sich doch lieber dahingehend beschäftigen sollen, eine Brücke zu bauen, um über diesen Graben zu kommen. Anzunehmen, dass alles da sein darf. Ohne Verurteilung.
Dass Du bereit bist, Dir selbst einzugestehen, dass das was Du getan hast, nicht gut war, die Handlung nicht gut war und dass Du/ihr bereit seid, daraus zu lernen.
Vielleicht war es eine Erfahrung, die Deine Seele auf dieser Welt hier machen wollte. Dazu gehört, dass man erst etwas tun muss, was danach Vergebung bedarf.
Die Akzeptanz der Situation dient dazu, das Ganze in einem neuen Licht von Außen zu sehen. Die Emotionen herauszunehmen.
Die Angst, der Hass, die Wut, die Trauer, die Scham, die Selbstzerstörung. In dem Moment, wo Du diese Brücke besteigst, Dich umdrehst und das verursachte Chaos siehst und Du es dann akzeptierst und Dir sagst, wie gut, dass ich über diese Brücke gehen kann.. Es war schlimm, was passiert ist. Aber es gibt diese Brücke und es gibt auch diese andere Seite der Brücke. Wo ich/wo wir wachsen können.
Der dritte Schritt ist Mitgefühl. Mitgefühl Dir selbst gegenüber.
Zu schauen, was hat dazu geführt, dass Du damals so gehandelt hast? Welche Verletzung gab es vorher schon, dass es dazu führte, mich selbst und andere zu verletzen?
War es aus Angst, Hilflosigkeit, Wut, weil ich beschützt werden wollte, oder habe ich mich selbst so verletzt gefühlt, dass ich in dem Moment meinte, zurückschlagen zu müssen mich zu verteidigen?
Wir haben alle diese Schatten aus der Vergangenheit. Ich lerne, sie zu umarmen und zu integrieren, sonst können sie nicht geheilt werden und sie werden immer wieder auf die unterschiedlichste Art in mein Leben treten.
Es gibt vielleicht noch Anteile des Inneren Kindes, die geheilt werden wollen. Statt sich also selbst zu verurteilen sollte man beginnen, viel liebevoller zu sich selbst zu sein und das verwundete innere Kind an die Hand zu nehmen und gemeinsam vorsichtig den nächsten Schritt zu machen?
Ich erlaube mir voller Mitgefühl mir selbst gegenüber zu sein.
In dem Moment des Mitgefühls transformierst Du die Schuld nämlich in Verantwortung. Und in dem Moment, wo Du Verantwortung für eine Handlung übernimmst, gibt sie Dir wieder Stärke.
Du kannst ab hier neu wählen. Nie wieder werde ich wieder so handeln und ich übernehme dafür die Verantwortung. Es gibt Dir/Euch neue Möglichkeiten
Der Ursache des Schmerzes zu folgen, der die Situation ausgelöst hat, dass Du Dich so verhalten hast.
Vergebung.
Ich vergebe mir.
Ich erlaube mir, dass die Gefühle von Leichtigkeit und Loslassen wieder in mir aufkommen dürfen. Ich bin ein Mensch. Mit Ecken und Kanten und ich liebe mich.
Ich möchte mir die allerliebste Person auf der Welt sein.
Einer guten Freundin oder seinen Geschwistern würde man doch auch die Hand reichen. Diese nahestehende Person würde man umarmen, sie trösten und ihr gut zusprechen, statt sie noch weiter fertig zu machen. Warum tun wir es denn dann bitte bei uns selbst und streuen immer wieder neu Salz in die Wunde, so dass sie einfach nie verheilen kann?
Abschließend zu meiner Geschichte ist noch etwas Schönes passiert.
Ich habe nicht nur mir selbst, sondern auch meinem Exfreund vergeben. Ich liebe mich selbst und ich liebe ihn. Ich habe diese furchtbaren Gefühle von Hass, Wut, Trauer, Scham in Liebe umgewandelt.
Ich habe ihm vor Kurzem einen Brief geschrieben und mich bei ihm bedankt. Bedankt, dass er mir dabei geholfen hat, zu erkennen, dass es bei mir noch etwas gibt, was geheilt werden möchte. Ich habe ihm gedankt, dass er mir geholfen hat, wieder ein Stück mehr zu mir selbst zu finden und mich weiter Ganz werden zu lassen. Danke für die Erfahrung Liebe und Vergebung zu lernen. Mir selbst und anderen gegenüber zu vergeben. Dass ich ihm vergebe und dass ich mir selbst vergebe.
Ich habe im Zuge dieser Aufarbeitung folgenden schönen Spruch gelesen:
Nicht zu vergeben, ist, wie die ganze Zeit einen glühenden Stein in der Hand zu halten.
Wenn Du Schuldvorwürfe machst (Dir und Anderen), bist immer Du derjenige, der das Gewicht trägt, bzw. der sich verbrennt.
Ich habe eine neue Tiefe gefunden. In der Beziehung zu mir selbst und vielleicht später in einer Beziehung zu einem Mann. Nämlich, weil Raum für Fehler da ist. Bei mir und meinem Gegenüber. Weil wir Menschen sind.
Ich danke Dir von Herzen für Deinen Thread. Und ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, dass ich hier sehr viel über mich, mein Thema und meine Verarbeitung geschrieben habe.
Deine Geschichte die Tatsache, dass der eine Partner den anderen betrogen hat die teilen wir. Und ich kann mich natürlich sehr auf der Seite Deines Partners wiederfinden. Aber ich kann mich auch sehr auf Deiner Seite wiederfinden und das Schöne ist, dass ich somit auch meinen Exfreund auch viel besser jetzt verstehen kann und mir zeigt, dass der Weg, den ich gehe, der richtige ist. Zumindest für mich.
Ohne, dass Du es wolltest und wusstest, hast Du mir unendlich geholfen, allein damit, dass Du dieses Thema hier eingestellt hast. Ich konnte noch weiter aufarbeiten und wünsche Dir nein Euch beiden von ganzem Herzen, dass ihr wieder richtig zueinander findet und dass ihr für Euch einen Weg findet, das Potential Eurer Partnerschaft zu erkennen und Euch unterstützt. Ein Leben lang.
In Liebe, Lydia
24.01.2019 12:41 •
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