Zitat von whynot60:@Kaetzchen
Das denke ich mir eben: Wenn man ein Wertesystem hat und man verstößt dann selber dagegen, dann muß einen das ziemlich in Not bringen und auch an sich selber zweifeln lassen (oder zweifelt man an den Werten?).
Zudem muß das Leben unter diesen Bedingung ja auch ziemlich statisch sein. Also man kann von vornherein keine Erfahrungen machen (im Normalfall), die außerhalb dieses Wertesystems liegen, meint aber offenbar dennoch, man kann solche Erfahrungen beurteilen (bei Dir trifft das allerdings nicht zu, da Du diese Erfahrung ja gemacht hast).
Ich frage mich nur, ob sich das nicht anfühlt, wie zeitlebens im Gefängnis zu sitzen.
Und ebenso frage ich mich, wovon man letztlich mehr hat: Vom Leben oder von Werten. Ein lediglich vorgestelltes Leben wird nämlich niemals ein gelebtes Leben ersetzen können.
Das stimmt, Du hast die Frau Deines AM nicht belogen. Aber Du hast ihr die Affäre verheimlicht.
Und soweit ich es verstanden habe, macht die TE ja auch nichts anderes, als ihrem Mann die Affäre zu verheimlichen. Zumindest habe ich noch nichts davon gelesen, daß er Lunte gerochen hätte.
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Ich habe ihr nicht mal etwas verheimlicht, denn ich kenne sie nicht. Ich kannte weder ihren Namen, noch ihr Gesicht. Wie soll ich jemandem etwas verheimlichen, zu dem ich null Kontakt habe, der für mich nur in Form eines Phantoms existiert? Das geht nach meinem Verständnis gar nicht. Hätte sie mich kontaktiert und mich gefragt, hätte ich ihr die Wahrheit erzählt. Da sie aber natürlich von meiner Existenz auch nicht wusste, konnte das nicht passieren. Anders funktionieren Affären wohl auch nicht (es sei denn in den Fällen, wo man sich mit dem Partner eines Freundes einlässt, aber das entzieht sich leider
meiner Vorstellungskraft).
Ohne Werte, behaupte ich, könnte niemand existieren. Und jeder Mensch hat sein eigenes Wertesystem, gebildet aus Erziehung, Gesellschaft, persönlicher Entwicklung. Natürlich sind Werte nicht starr, die meisten jedenfalls nicht. Manchmal verändern sich unsere Werte durch neue Erfahrungen, andere Blickweisen, sogar anderer Umgang kann unsere Werte verändern. Eine neue Bekanntschaft oder Freundschaft zum Beispiel. Freiheit ist auch für mich einer meiner höchsten Werte, ich habe ja nicht grundlos meinen sicheren, gut bezahlten Angestelltenjob gegen eine höchst unsichere Freiberuflertätigkeit eingetauscht. Mein Freiheitsbedürfnis ist jedenfalls deutlich größer als mein Sicherheitsbedürfnis, daher kann eine enge Beziehung mit jemandem, bei dem das umgekehrt ist, für mich nicht lange gutgehen.
Ebenso wenig kann eine Beziehung mit jemandem, der kein Problem mit Lügen hat, für mich lange gutgehen. Ich konnte meinen Ex-Mann nie belügen. Ich bin auch kein Verfechter von Monogamie, schon gar nicht lebenslang, und habe in meinem Leben bereits einige alternative Modelle gelebt. Aber insbesondere, wenn man Erfahrungen mit Polyamorie und offenen Beziehungen hat weiß man, dass diese NUR funktionieren, wenn beide ehrlich miteinander sind. Alles andere führt unweigerlich in die Katastrophe - so wie bei uns
Nun passiert es ja, dass sich Menschen in Beziehungen unterschiedlich entwickeln. Ihre Werte verändern sich, und so lebt man sich auseinander, das passiert ja nun mal eben ständig. Ein Beispiel: eine Bekannte führte eine sehr lange und glückliche Ehe. Ohne große Aufregung, beide hatten ein starkes Sicherheitsbedürfnis, bauten ein Haus, er war Beamter, der Alltag war extrem routiniert, jeder überschüssige Euro wurde fürs Alter gespart, man verkniff sich teure Urlaube, essen gehen, teure Hobbys, also Dinge, die überflüssiger Luxus waren.
Dann erkrankte sie an Brustkrebs, sprang nach einem Jahr voller OPs und Chemo dem Tod von der Schippe - und veränderte sich. Sehr. Plötzlich wollte sie leben - sie war Ende vierzig, die Kinder aus dem Gröbsten raus, und sie wollte nicht mehr tagein, tagaus in Haus und Garten sitzen und bei Aldi die billigsten Nudeln kaufen. Sie wollte reisen, die Welt erkunden, genießen, sie wollte mehr - Leben. Ihr Mann war fassungslos und erkannte seine Frau nicht wieder. Er war nach wie vor zufrieden mit dem, was war, hatte immer noch große Sorge, dass das Geld im Alter nicht mehr reichen könnte, wollte der asketische Sparfuchs bleiben. Nur seine Frau spielte nicht mehr mit. Die Trennung nach einiger Zeit war unausweichlich, denn mit einem so krassen Unterschied der Werte kann man dauerhaft keine Beziehung führen.
Für mich sind gleiche/ähnliche Werte das Maß, wenn es darum geht, ob ich mir mit diesem Menschen eine Zukunft vorstellen kann. Manche Werte ergänzen sich prima - andere widersprechen sich so sehr, dass eine Beziehung scheitern muss. Mit Gefängnis hat das für mich nichts zu tun, im Gegenteil. Im Gefängnis fühle ich mich, wenn ich nicht im Einklang mit meinen Werten leben kann. Dann fühle ich mich eingesperrt, denn dann bin ich nicht frei, und wenn ich im Nachhinein herausfinde, dass mein Partner mich jahrelang in einer wichtigen Angelegenheit belogen hat, dann fühle ich mich im Nachhinein meiner Freiheit beraubt.
Schließlich möchte ich auch die Freiheit, selbst entscheiden zu können, womit ich leben kann und womit nicht. Mit einer heimlichen Affäre über Jahre hinweg möchte ich nicht leben. Mit einem nicht gebeichteten ONS sehr wohl, da richtet die (in meinen Augen unnötige) Offenbarung mehr Schaden an als die Sache an sich. Aber solche Dinge kommuniziere ich zu Beginn einer Beziehung, und wenn sich mein Partner damit einverstanden erklärt erwarte ich auch, dass er sich an diese Grenzen innerhalb der Beziehung hält bzw. dass er mit mir darüber redet, sollte er sich nicht länger in der Lage dazu sehen und nicht hinter meinem Rücken die gemeinsam gesetzten Grenzen der Beziehung sprengt.
Eine Bekannte hat sich in einen Mann verliebt, der von Anfang an sagte, dass er nicht monogam sei und polyamourös leben möchte. Also so richtig, er braucht immer eine Zweitbeziehung. Für sie war das total neu, aber sie sagte, sie möchte es versuchen, kann aber nicht sagen, ob sie das hinkriegt oder nicht. Sie hat es probiert, und es funktioniert seit nunmehr einigen Jahren prima. Für sie und auch für ihn. Man kann seine Werte testen und auf den Prüfstand stellen, sollte man auch. Hab ich ja auch getan - und eben festgestellt, dass es gleich mehrere Werte gibt die mir zu wichtig sind, um permanent nicht im Einklang mit ihnen zu leben. Ich konnte es nicht, also habe ich es beendet, weil alles andere meinen Selbstwert beschädigt hätte. Ich bin kein Lügner, und lügen zu müssen (für mich war dabei die schlimmste Lüge, dass ich diese Beziehung / Affäre meinem Kind verheimlichen musste, und da war für mich schon klar, dass ich hier etwas mache, das gegen meine eigenen Werte geht, denn sonst hätte ich ja offen dazu stehen können) hat mich extrem belastet. Ich möchte authentisch leben, und das ist mir wichtiger als alles andere. Wichtiger als S., wichtiger als irgendein Mann ...
Kommt man am Anfang einer Beziehung dahingehend nicht auf einen Nenner, muss man die Beziehung eben lassen. Verändern sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit und kommt man dahingehend auch nicht mehr auf einen Nenner, muss man es eben auch lassen. Nur wenn ich jahrelang im Glauben gelassen werde, eine monogame Beziehung zu führen - weil mir das vielleicht aus welchen Gründen auch immer wichtig ist - und ich erfahre dann im Nachgang, dass dem gar nicht so war ... dann fühle ich mich meiner Freiheit beraubt. Der Freiheit nämlich, selbst entscheiden zu dürfen, wie ich leben möchte und wie nicht. Ich empfinde das als übergriffiges Verhalten. Und unweigerlich fällt mir da der Film Die Truman Show ein ... ich möchte nicht eines Tages erfahren, dass meine Beziehung, womöglich mein Leben, nur eine Lüge war. Oder eine gut inszenierte Show. Ein für mich grauenhafter Gedanke.