Hallo Belladonna,
ich könnte mir vorstellen, dass das Problem wahrscheinlich das ist, dass er auf einer ganz anderen Gefühlsebene ist als du. Ihm bedeutet es nicht dasselbe wie dir, wenn ihr jetzt noch ein paar Tage quasi zusammen verbringt.
Aus seiner Sicht müsst ihr diese Tage zusammen verbringen, notgedrungen, weil er noch keine eigene Wohnung hat. Er versucht auf seine Art das Beste daraus zu machen... ist wahrscheinlich froh, wenn es einigermaßen normal zwischen euch verläuft... aber mehr so in Richtung WG vielleicht... oder großer Bruder, kleine Schwester?
Für dich aber bedeuten diese Tage soviel mehr. Du hast ein Stück deiner kleinen Welt zurück, in der es für dich emotional nur euch beide gab. ER ist wieder da. Und mit ihm eine Kraft, eine Energie, die du ohne ihn einfach nicht spürst.
Auch du tust das, was dir möglich ist, um diese Tage gut sein zu lassen. Für dich, für ihn. Nur aus anderen Gründen als er - bei dir ist noch soviel Hoffnung, dass er ganz zurückkehrt zu dir.
Aber vieles ist eben nicht möglich. Denn du spürst auch immer wieder, dass da diese Distanz von ihm ausgeht. Dass er einfach nicht mehr das empfindet, was er mal für dich empfunden hast. Und das tut dann unglaublich weh. Lässt die Tränen brennen... und laufen. Und es ist zu stark, als dass du die Möglichkeit hast, es weiter gut sein zu lassen wie es ist.
Es ist ja auch nicht wirklich gut. Überhaupt nicht gut. Für dich.
Er aber fühlt sich unwohl, wenn du plötzlich weinst. Für ihn sah es so aus, als kämst du gut damit klar, dass ihr noch ein paar Tage zusammen verbringt - wenn auch nicht mehr als Liebespaar. Er erlebt dich ruhig. Du benimmst dich meistens normal, als würde dir das alles nicht mehr soviel ausmachen, als hättest du alles im Griff...
Du bist nicht aufdringlich (obwohl ja alles in dir danach schreit, dass er dich in die Arme nimmt, dich streichelt, dich küsst, du dich so nach seiner Liebe sehnst), du stellst keine unangenehmen Fragen (obwohl diese andere Frau vielleicht schon eine große Rolle in seinem Leben spielt, und dir der Gedanke daran sehr weh tut)... du schweigst über deine nun ungeheure Angst vor der Zukunft (obwohl diese Angst dich immer wieder lähmt).
Was er wahrscheinlich sieht, ist eine Frau, die die Situation mittlerweile akzeptiert hat. Und die damit soweit ganz gut zurecht kommt. Du verhältst dich ja auch entsprechend (aus Angst, er könnte etwas tun, wovon du glaubst, du könntest es nicht verkraften - sofort wieder gehen z. B.).
Was er nicht sieht, ist die hilflose Qual in dir. Und wenn du dann mal weinst, glaubt er vielleicht, das ist nur ein Moment, in dem es dir mal nicht so gut geht. Du einfach kurz traurig bist.
Dass das eigentlich DEIN normaler Zustand ist zur Zeit, und du nur manchmal nicht die Kraft hast, das tief in dir verborgen zu lassen - woher soll er das wissen? Woher soll er wissen, dass du immer noch so sehr hoffst? Woher soll er wissen, wie klein und weggeschubst du dich fühlst? Woher soll er wissen, dass du eigentlich gerne wissen möchtest, ob und wieviel er für diese andere Frau empfindet? Woher soll er wissen, dass du gar nicht weißt, wie du diesen (gefühlten) riesigen dunklen Berg Zukunft, den du vor dir siehst, bewältigen sollst?
Woher soll er wissen, wie unglaublich schwer es für dich ist, vernünftig zu sein und zu handeln?
Ich vermute, du schämst dich, dass du bist wie du bist. Und dass du fühlst wie du fühlst. Und du gerne anders wärest... und du dich deshalb bemühst, möglichst so zu sein, dass du ihm nicht lästig bist... damit er sich gut fühlt.
Diese Widersprüchlichkeit, dass es dir einerseits gut geht, wenn er einfach da ist, du andererseits aber sehr darunter leidest, weil du die Liebe nicht spürst von ihm, die du eigentlich brauchst, hat den Kern ganz woanders, glaube ich. Und dieser Kern liegt jetzt offen und wund vor dir...
Ein Bild, was ich von dir habe:
Da stehst du nun wie auf einem Drahtseil. Das hin- und herschwankt. Es schneidet sich in deine Füße. Aber das macht nichts. Denn du siehst ihn am Ende stehen - und dort willst du hin. Links und rechts siehst du nur den Abgrund - tief und dunkel. Es kostet dich unglaublich Kraft, nicht runterzufallen. Und es macht dir furchtbare Angst.
Aber vorwärts -zu ihm- kommst du gar nicht. Er hält ja auch gar nicht die Arme offen und dir entgegengestreckt, macht dir gar nicht den Mut, weiterzugehen (du hoffst es nur, achtest auf jede seiner noch so kleinen Handlungen, die vllt. ein gutes Zeichen für dich sein könnten..). Denn er schaut in eine andere Richtung. Doch du wünscht dir so sehr, dass er sich umdreht - zu dir. Dass er dir Mut macht. Dass er dich liebevoll ansieht. Es nicht umsonst ist, dass du dich so bemühst...
Aber du könntest auch diese Kraft benutzen, um umzudrehen, Belladonna. Runter von dem Seil, dass so schmerzhaft einschneidet. Zurück zu dir. Auf deinen Platz im Leben, der nicht nur geduldet ist und auf dem du nur zu funktionieren hast. Denn du bist nicht verkehrt. Du hast nur etwas zu bewältigen, was dir bisher das Leben nicht so leicht gemacht hat, wie du es manchmal gebraucht hättest.
Manchmal weiß man gar nicht, wieviel Kraft und Stärke man besitzt... weil man sie unbewusst immer falsch eingesetzt hat. Und dann gescheitert ist. Das nimmt den Glauben an sich selbst. Lässt einen zweifeln, dass man überhaupt etwas richtig macht.
Es schwächt so sehr, um Zuneigung zu kämpfen. Gefühle zu unterdrücken, die einen quälen, kostet Kraft. Stolz zu zeigen, den man nicht wirklich fühlt, kostet Kraft. Stärke zu demonstrieren, die man in dem Augenblick gar nicht fühlt, kostet Kraft. Vernünftig zu sein, wenn man eigentlich in dem Moment gar keinen vernünftigen Gedanken fassen kann, kostet Kraft.
Soviel Kraftaufwand - nur um geliebt zu werden.
Sei ehrlich zu ihm. Es ist nicht schlimm, dass du fühlst wie du fühlst. Er hat nur eine alte Wunde schmerzhaft aufgerissen, als er sich weggedreht hat von dir. Und damit musst du jetzt zurechtkommen. Musst sie heilen lassen. Nicht mit dem, was er dir noch geben kann... diesem durchlässigem Pflaster. Er ist jetzt nur der Auslöser, nicht der Verantwortliche für die alte Wunde.
Er ist auch nur ein Mensch, mit Stärken und Schwächen. Kein Heiliger, kein Schuldiger. Nur ein Mensch von vielen - so wie du auch.
Nur weil ein Mensch von vielen einem nicht mehr die Gefühle entgegenbringen kann, die man so sehr braucht, auf die man sich so angewiesen fühlt, weil man sie immer so vermisst hat, heißt das nicht, dass man nicht liebenswert ist. Es ist wichtig, dass du dir das immer wieder sagst, Belladonna. Denn es wird dich unabhängiger von den Menschen machen, nach deren Zuneigung du dich so verzweifelt sehnst.
Du bist nicht so hilflos wie du dich gerade fühlst. Dreh dich um. Und geh. Aufrichtig und ehrlich, und ohne dich zu schämen vor ihm, dass du gerade einen sehr tiefen Schmerz verspürst. Es wird dir guttun, nicht mehr darum zu betteln, geliebt zu werden. Daran glaube ich.
Lieben Gruß
clematis
11.06.2015 09:52 •
x 3 #690