2

Schlaflosigkeit und Erinnerungen

AD203
Hallo mein Schatz,

...wie merkwürdig, dass es sich in diesem Augenblick richtig anfühlt, dich wieder Schatz zu nennen. Ich idealisiere womöglich wieder. Ich stelle dich mir ganz zart und liebevoll vor, aber du wärest es ja nicht, stündest du gerade vor mir.

Es ist fast 3 Uhr. Ich habe die Erinnerungen an dich und meine Gefühle dazu den ganzen Tag verdrängt. Ich habe mir Blödsinn im Internet reingezogen, einen Film angeschaut, der mir im Grunde gar nichts bedeutet. Ich habe mir Dinge gekauft, die ich zwar brauche, die aber nicht so dringend gewesen sind. Hauptsache Ablenkung, Hauptsache Nichtdenken, Hauptsache raus. Jetzt zahle ich für diese Verdrängung. Mir kommt kein Schlaf, dafür aber eine lange Kette von Erinnerungen. Wie ironisch, dass ich mich mit vielen dieser Erinnerungen einst über jederlei Gräuel hinwegtröstete, als wir noch zusammenwaren. Wenn die Trennungsgedanken sich geiergleich um unsere weidwunde Ehe kreisten, dann kamen mir diese Erinnerungen, um den Schmerz zu lindern und die Aasfresser kurzzeitig zu vertreiben.

Jetzt tun mir diese Kopfbilder nur noch weh. Sie rauben mir den Atem, drehen mir den Magen um, verderben den Appetit und lösen manchmal sogar Würgreize aus.

Ich erinnere mich an den Sternenhimmel im schwedischen Fjäll. Ich spüre dich noch auf meinem Schoß, wie du eine heiße Tasse in den Händen hältst und meinem Zeigefinger mit dem Blick nach oben folgst. In dieser Nacht habe ich dir Sterne gezeigt, wie du sie noch nie gesehen hast. Ich hatte dir vor Jahren einen Urlaub im amerikanischen Westen ausgemalt, Nächte voller Sterne, aber ich war nie stark genug, nach Amerika zurückzukehren. In dieser Nacht, im schwedischen Polarkreis, unter diesem majestätischen bestirnten Himmelszelt hatte ich plötzlich das Gefühl, es dir wiedergutzumachen. Ich zeigte dir endlich die Sterne. Wir sahen sogar Satelliten in dieser schönen klaren Nacht. Erinnerst du dich? Ich höre noch dein Flüstern, dein ergriffenes, wiederholtes Guck mal!. Ich sehe noch, wie der Vollmond - nur wenige Stunden später - über das Gebirge steigt und alles in sein hellweißes Licht taucht. Wie lässt sich eine solch zauberhafte Nacht in eine lange Reihe von Erlebnissen fügen, die letztendlich so endet, wie unsere Ehe jetzt endet? Wie ist es möglich, dass die Frau, die ich früh morgens am Tisch in der Wanderhütte vorfand, diese Frau, die durch das Fenster einen schillernden Regenbogen über den gewaltigen blauen Weiten eines Gletschersees bewunderte...wie ist es möglich, dass du diese Frau bist?

Was für ein Urlaub das war! Ich wollte anfangs gar nicht mit. Ich hatte einfach keine Kraft dafür, etwas in mir spürte, dass ich damals schon leer war. Aber ich wollte dich nicht enttäuschen und in mir ist schließlich ein Naturkind, ein Tscherokesenanteil. Ich war nie im Herzen ein Städteliebhaber. Ich gab nach, kaufte mir Wanderstiefel, buchte den Flug. 250 km zu Fuß durch die Wildnis. Nur du, ich und ein Zelt. Wir träumten davon, gemeinsam dem Lärm zu entkommen, gemeinsam ein Leben in Ruhe, in der Natur zu verbringen, dort zu leben, wo die Adler noch von den Klippen schreien und Rentiere durch die Gegend ziehen. Wie gerne hätte ich mit dir ein solches Leben gelebt und auf eine solche Zukunft nach meinem Studium hingearbeitet!

Aber während dieses Urlaubs spürte ich auch allmählich, wie alleine ich innerlich war, wie sehr ich dich mittragen musste, wie bedürftig und häufig hilflos du warst. Wenn wir anderen Paaren begegneten oder abends in den Hütten bei anderen zusammensaßen, dann spürte ich etwas Unangenehmes, als müsste ich etwas über unsere Beziehung vor all diesen Menschen verbergen. Ich glaube, etwas in mir befürchtete, sie könnten womöglich herausbekommen, dass unsere Beziehung sich in eine Art Vater-Kind-Bindung verwandelt hatte. Die Menschen dieser anderen Paare schienen mir auf Augenhöhe miteinander zu stehen. Bei uns fehlte mir das...und das schon lange. Zudem ahnte ich immer mehr, dass - wenn wir denn solchen Zukunftsträumen nachgehen sollten - ich derjenige sein würde, der sich fast gänzlich für die dazu nötige Arbeit aufgäbe. Das war schon bei so vielem der Fall gewesen und jetzt auch beim Studium. Allmählich glaubte ich, es könnte niemals anders werden...

Diese Erinnerungen tun mir so weh! Es fährt mir durch die Brust wie ein heißes Messer. Es dringt mir oben in die Magengegend. Es schmerzt so sehr, an all die Augenblicke zu denken, in denen wir lachten und Spaß hatten, in denen wir ein Ende gar nicht ahnten. So viele aufregende Abenteuer...so viele Polarlichter gesehen...so viele Träume ausgeträumt. Am Ende dieses Urlaubs glaubten wir, du könntest sogar schwanger sein. Deine Tage setzten plötzlich aus. Aber du hattest dich lediglich mit dem Wandern übernommen...so wie du dich sehr häufig übernommen hast. Wie oft eigentlich? Es war jedenfalls nicht selten...schließlich war ich ja immer da, um dich aufzufangen, wenn du wider besseres Wissen deinen Teller mit Terminen, Zusatzarbeiten, Besuchen, Zusagen etc. überladen hattest. Ich würde zu viel essen, hast du mir häufig vorgehalten. Dafür hast du dich ständig am Leben übergessen und ich sollte immer die Kotze wegzuwischen...

Als wir glaubten, du wärest schwanger, ging es los mit der Streiterei. Es verdarb mir das Ende des Urlaubs, es raubte mir fast eine ganze Woche lang die Ruhe. Ich hatte gerade endlich - nach Jahren der Knochenarbeit - mit einem Studium anfangen können und wollte kein Vater werden. Und jetzt merke ich auch, dass ich gegen Kinder grundsätzlich gar nichts habe...etwas in mir merkte nur, dass ich eine solche Verantwortung mit dir nicht teilen wollte und hätte es auch gar nicht können, weil du nicht mal in der Lage warst, dich selbst ins Bett zu legen und allein einzuschlafen! Ich habe so gut wie jeden Tag gekocht (auch wenn du daheim warst und ich an der Uni), den Tisch gedeckt, die Wohnung gesaugt, Kaffee gemacht, fast täglich studiert, dir abends manchmal bis zu zwei Stunden Geschichten vorgelesen, dir den Rücken gekrault, dich zum Einschlafen gebracht, dann zwischen 0 und 4 Uhr MEINE Zeit für die Nachbereitung meines Studiums gehabt. Ich verlor ständig Boden und merkte es nicht mal! Irgendwann stand ich auf einem Quadratmeter und fragte mich, wie es dazu gekommen war. Man sagt, ein Frosch könnte bei lebendigem Leib zu Tode gekocht werden, wenn die Wassertemperatur nur langsam genug zunähme. Jetzt weiß ich immerhin, dass bei Menschen ähnliches stimmt!

O ja, ich solle mir doch einfach mehr Raum nehmen! Aber wenn ich es tat, dann konntest du x oder y nicht, dann kamst du heulend zu mir, manchmal fast panisch vor Angst. Manchmal wolltest du direkt, dass ich dich rette, dich nochmal ins Bett bringe. Manchmal schwiegst du mich nur eine halbe Stunde an, mal vorwurfsvoll mal nicht. Du hattest nicht mehr den Mut, mich um das Übliche anzuflehen. Wenn ich dir sagte, ich könnte so nicht weiterleben, du müsstest bitte etwas ändern, hieß es Geh doch! Gehst eh nicht. Und du hattest oft recht. Ich nahm mich selbst nicht ernst. Ganz gleich, was ich tat und was du für klassische Spießdrehkünste ausgeübt hast...ich habe FAKTISCH immer die Stille und die Zeit für mich verloren.

Ich habe das Leben schließlich in dieser Wohnung mit dir verabscheut, ich hatte irgendwann ANGST davor, die Tür aufzuschließen und abends hineinzutreten. Ich war NIRGENDS mehr zu Hause. Unter der Oberfläche einer jungen 7-jährigen Ehe tobte für mich ein Dauerkrieg, für dich ein Schachspiel der Ausbeutung und Manipulation. Ich sage nicht mal, dass es bewusst war...Ich sage es ohne Vorwurf. Die Mücke versenkt ihren Rüssel ins Fleisch, der Säugling sucht mit den Lippen nach der Mutterbrust, die Spinne wickelt die Fliege ins Netz...alle unbewusst und nur um zu überleben. Du hast geglaubt, selbst nicht leben zu können, also hast du meine Lebenskraft zu erlangen versucht. Etwas in dir glaubte, du könntest sie auch bekommen. Etwas in dir glaubte, den Hunger mit ihr stillen zu können. Etwas in dir glaubte, das würde helfen.

Als ich nichts mehr zu geben hatte und gehen musste, hast du mir ins Gesicht geworfen, dass du mich nicht brauchst, dass du auf dem besten Wege bist. Das wirkte so, als hätte ich mir deiner Ansicht nach alles eingebildet. Woran bin ich denn zugrunde gegangen? Und warum bist du nun so verbittert, warum verweigerst du mir den Kontakt? Weil du mich eben doch gebraucht hast, wie eine Dro.. Und jetzt bist du wütend, weil ich dir den Stoff entzogen habe.

Es ist Viertel nach Vier. Jetzt werde ich wieder versuchen zu schlafen. Ich hoffe, dass du es wenigstens kannst.

07.05.2015 03:17 • #1


Disappointed_m
Eine sehr interessante Geschichte. Ich kann dies in großen Teilen nachvollziehen. Da auch in in meiner letzten Beziehung mehr und mehr zum Helfer, statt zum Partner wurde.

Um es kurz zu machen, man liebt tut viel dafür und hofft, das man doch irgendwann mal eine gewisse Wertschätzung erfährt. Doch es wird nie passieren. Auch wenn es alle meinen, ich sage, Menschen ändern sich nicht.
Man wird irgendwann selbstverständlich und tut immer mehr, damit man eben nicht mehr selbstverständlich wirkt.

Du hast es gut gemacht, gut gemeint und dich dabei total verloren. Ich hatte auch mal so eine, ich nenne es, vergiftete Beziehung. Das sie dir nun den Kontakt verweigert schmerzt doppelt, zeigt aber auch wie wenig Kritik solche Menschen vertragen und darauf daher immer extrem reagieren. In deinem Fall mit Kontaktabbruch.

Mein Fazit heute, ca. 8 Monate nach der Trennung von einer ähnlichen Person ist, dass ich immer noch an sie denke, da ich sie wirklich sehr liebte. Ich weiß aber auch dass sie noch heute so ist, ihre folgenden Beziehungen zum Teil schon anfangs gescheitert sind und sie nach wie vor ihr Umfeld ausnutzt wo es nur geht.
Ich habe nun eine neue Partnerin und mit ihr auch offen darüber gesprochen, sie ist das totale Gegenteil. Ich hoffe dass ich ihr gegenüber auch so eine Liebe entwickle wie ich es zu meiner Ex damals tat und wir uns dies dann bewahren.

Mein Umfeld meinte, dass ich mich nach der Trennung von meiner Ex wieder anders gab, entspannter, lebendiger.

Ich kann erahnen wie es dir geht. Solche Wunden heilt die Zeit, auch wenn es dauert!

Ich darf dir nur raten, auch wenn die Liebe noch da ist, werde nicht rückfällig! Meine Ex hat nachdem sie ein paar andere Typen hatte, die dann doch nicht sooo toll waren, wieder geschrieben, angerufen etc... wir müssen es wieder versuchen etc etc.

Ich habe abgelehnt und es viel mir sehr schwer das zu tun, doch manchmal muss der Verstand siegen.

Alles Gute für Dich!

07.05.2015 03:53 • #2


A


Schlaflosigkeit und Erinnerungen

x 3


S
Lieber AD203,

Deine poesie in den worten, die art, wie du fakten wunderschön beschreibst, erinnert mich an die sprachweise meines ex.
Wirklich sehr schön beschrieben, wie das geben und nehmen aus dem gleichgewicht geriet. Wie du zur selbstverständlichkeit wurdest.

Mein ex hat so selbstverständlich genommen und genommen und nicht mal im entferntesten daran gedacht, auch zu geben. Ich sollte seine mutti sein und nach-be-eltern. Auf dauer ist das jedoch zu schwer.
Einzig die poesie hatte er mir geschenkt.

Danke für deinen beitrag!

Lg saxana

07.05.2015 06:14 • #3


S
Diese Beziehung klingt wirklich nach Vater- Kind- Beziehung. Wobei man oft als Allmächtiger über den Dingen schwebt. Schön, wennn man eine Machtposition verspürt und seine Komplexe überspielen kann.
Doch haben solche Beziehungen wenig Bestand. Der Allmächtige verlässt seine Position ungern und profitiert von der bunten, kreativen, inspirierenden Seite seines Gegenübers.
Er selbst lebt in Zwängen, an langen, weißen Familientafeln. Dort, wo in dieser Welt,die Frau seinem Mann täglich das Süppchen kocht. Erdrückt von all dieser Vernunft, süchtig nach all der Inspiration. Besitzergreifend, körperlich aggressiv und geifernd. Zudem mit dem Wunsch die Schablonen überzubrezeln.
In so einer Beziehung lebte ich. Städnig mit dem Wusch auszubrechen. Die körperliche Aggressivität resultierte auch aus körperlichen Störungen des Intimlebens. Schauder! Das hatte man zu schlucken! So froh, dem entkommen zu sein. Man war nicht glücklich aber konnte auch nicht weg. Man sah sich in dieser Rolle gefangen.
Nach der Beziehung, das Gefühl von Freiheit und die Ketten gesprengt zu haben!
Und immer wieder steht er da und liest aus dem Buch, in dem steht, was er alles für sie tat. Er möchte Schuldgefühle entfachen, um sie dort zurück zu bringen. Doch sie möchte nie mehr zurück. Sie ist so froh, dort nicht mehr zu verweilen! Dem Allen entkommen zu sein. Wer möchte mit seinem Vater eine Beziehung?

07.05.2015 07:21 • #4


AD203
@Disappointed_m: Danke für deine Geschichte und deine Ratschläge. Ich habe auch inzwischen einiges zum Thema vergiftete bzw. toxische Beziehungen gelesen und es passt leider vieles davon zu meiner Ehe...die ständigen Aufs und Abs, die Dauerkrisensituation. Ich habe aber auch selbst ein Problem mit Co-Abhängigkeit...ich definiere mich darüber, dass ich für die Menschen, die ich liebe, bedingungslos da bin. Das ist halt schlecht, wenn der andere Partner gewisse Süchte entwickelt hat. Man stillt sie dann und meint zu helfen...dabei macht man's nur schlimmer. Ich merke an mir selbst - wie du es in deinem Fall beschreibst - dass ich zwar sehr traurig bin, aber irgendwie doch mehr Energie und Lebenslust habe als davor. Ich fürchte den Tag nicht mehr...ich begrüße ihn.

@saxana: Die Beschreibung deines Ex, dass er stets nur genommen hat, erinnert mich an den Spruch eines guten Freundes: Wer in den Ar. getreten wird, muss ihn auch hinhalten. Analog dazu habe ich gelernt, dass wem ständig genommen wird, der muss irgendwo auch ständig geben. Es ist - wie die Beziehung selbst - eine Sache der Zweisamkeit...es gehören zwei dazu: ein Geber und ein Nehmer. Jetzt arbeite ich nur noch an mir, dass ich lerne, meine Identität nicht mehr in der Rolle des bedingungslosen Gebers und Helfers zu sehen, der Ausgebeutet-Werden mit Geliebt-Werden und Sich-selbst-aufgeben mit Lieben verwechselt...Meine Frau kann wie dein Ex auch wunderbar schreiben. Sie schrieb Geschichten, die ich sehr gern gelesen habe.

@Staubmensch: Da beschreibst du sehr treffend die jeweiligen Rollen in einer solchen Beziehung. Ich nahm komischerweise als Mann jene Rolle ein, die man normalerweise bei Frauen findet: Ich war der Emotionale, ich weinte bei traurigen Filmen, kochte fast jeden Abend, war der Tröster, der Haushälter. Meine Frau war am Ende eher so am Verstand orientiert, dass es krankhaft wurde. Alles wurde zwanghafter. Sie trieb Sport, obwohl sie keine Energie mehr hatte und sich hinterher darüber beschwerte. Sie zwang sich, Yoga zu machen und hatte buchstäblich Wutanfälle, wenn es mal zeitlich vorm Schlafengehen nicht klappte. Dann lief der Verstand wie ein Uhrwerk ab: Ich habe Yoga nicht machen können, also müssen jetzt schlimme Gedanken kommen, also kann ich nicht schlafen. Eine richtige Kausalitätskette...gegen die sie aber nicht ankämpfen wollte oder konnte. Und wenn man sie trösten wollte, biss sie nach einem. Sie wollte lieber da bleiben, wo sie innerlich war, gefangen von diesen Wenn-Dann-Bedingungen und Zwängen. Sie schuf indessen ihre eigene Zukunft und sorgte selbst dafür, dass die Schlaflosigkeit z.B. Wahrheit wurde.
Ich kenne auch die Schuldspiele, die du ansprichst. Jetzt bin ich der Böse, der einfach grundlos gegangen ist. Sie hat ihrer Familie auf einer Geburtstagsfeier - als sie nur allein erschienen ist - gesagt, ich wäre einfach so ins Ausland geflogen. Als wäre eine Sicherung durchgebrannt. Und eine sehr gute Freundin - die eher die Freundin meiner Frau war und ist - schreibt mir, sie möchte mir irgendwann sagen, wie sauer sie auf mich ist und was alles ihrer Meinung nach blöd gelaufen ist. Ich merke also, dass ich bei meiner Frau und in ihrem Umfeld eine Täterrolle angenommen habe. Sie hielt sogar die Türen geschlossen, als ich da war, um ein paar Sachen zu packen. Als wäre ich gefährlich oder unberechenbar. Weil ich sie im Zorn vor 4 Monaten einen Vampir und schwarzes Loch nannte, als wir uns das letzte Mal stritten. Das habe sie dermaßen verletzt, dass sie mir nie wieder vertrauen könne und nun bleibe ihr nichts anderes übrig, als mich nicht mehr zu sehen und anzusprechen. Ich bin aber mit solchen Spielchen fertig. Ich werde nicht um Vertrauen betteln und ich werde mich nicht schuldig fühlen. Zumindest werde ich daran arbeiten, es nicht mehr zu tun! Ich teile deine Freude schon etwas. Ich spüre, wie die Ketten sich langsam auflösen, dass ich meinen Lebensweg auf einmal selbst bestimmen kann. Dass die Zeit, in der ich mir manchmal wie ein Gefängnisinsasse vorkam, vorbei ist...

Alles Liebe euch. Danke für eure tollen Beiträge und Rückmeldungen.

10.05.2015 03:01 • #5


AD203
Hallo mein Schatz,

ich schreibe hier wieder etwas rein, weil ich nur weine und dich vermisse. Ich frage mich, wie viel von unsrer Beziehung ungesund war. Ich frage mich, wie viel ich zu Recht vermisse und wie viel davon mit meiner Co-Abhängigkeit zusammenhängt. In jedem Falle spüre ich nur noch Schmerz in meiner Brust und im Bauch liegt mir ein Amboss. Ich leide so sehr gerade, mein Schatz. Ich hoffe nicht, dass es dir so geht. Ich bin ein halber Mensch. Ich kann den ganzen Tag nichts mehr essen. Es ist drei Monate her, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Vor allem beim Alltagsstress überkommt es mich umso mehr. Dann hat der Liebeskummer umso mehr Gewalt über mich. Ich kann sehr oft Musik nicht hören. Sie erinnert mich an unsere Abendstunden, in denen ich Violine gespielt und du gesungen hast. Ich kann gewisse Filme nicht sehen. Es sind viele Filme darunter, die du mir mal vorgestellt hast. Es zerreißt mir sogar das Herz, die Augsburger Puppenkiste zu schauen oder mir die kitschige Aschenbrödel-Verfilmung aus den 70ern anzusehen.

Was ist langfristig mit uns? Ich möchte nicht sagen, dass es langfristig vorbei ist. Aber dass du dich gar nicht mehr meldest, dass du mich nicht sehen wolltest, dass du nur per Email mit mir kommunizieren konntest...nach fast 7 Jahren Ehe...das alles scheint mir eher ein sehr schlechtes Signal zu sein. Es scheint mir, als wolltest du dich schnellstmöglich entwöhnen.

Brauchst du mich...oder liebst du mich? Das frage ich mich immer wieder. Du scheinst mich in jedem Falle nicht mehr zu brauchen, denn die Kontaktknappung ging von deiner Seite aus recht schnell. Ich war immer derjenige, der eine nähere Form der Kommunikation anbot (Gespräch führen, telefonieren, videochatten etc.). Aber das alles wolltest du nicht. Du wolltest nicht mal, dass ich in die Wohnung wiederkomme, als ich damals noch gar nicht so weit war, zu meiner Mutter zu fliegen. Jetzt frage ich mich, ob du mich überhaupt noch liebst. Ich denke, du bist wütend, weil ich dir irgendwann gestand, dass ich glaubte, keine Liebe mehr für dich als Ehefrau zu empfinden. Stattdessen stellte ich zu meinem eigenen Schrecken fest, dass ich dich eher liebte und behandelte wie ein Vater seine Tochter. Ich spürte keine Gleichheit mehr, keine Augenhöhe in unsrer Liebe zueinander. Du hast dies wahrscheinlich als grundsätzliche Lieblosigkeit aufgefasst...Ich würde dir das alles so gern erklären. Aber jetzt möchte ich dir nicht zu nahe treten. Ich möchte so etwas nicht besprechen, wenn du dich so kalt und abweisend zeigst. Es würde die Dinge nur schlimmer machen und ich würde dich nur noch weiter von mir fortstoßen, fürchte ich.

Ich fasse an manchen Tagen nicht, was aus meinen großen Träumen geworden ist. Oder was aus unseren gemeinsamen Träumen geworden ist...ein Leben in der Natur, mit Literatur, Wissenschaft, Musik. Ein Leben, das ganz anders war, als das unsrer Eltern. All meine Hoffnung, all mein Glück scheint mir in Scherben zu liegen. Und jetzt ist auch die Ausländerbehörde da, um das ganze zu krönen. Sie gibt mir gerade nur ein Jahr Aufenthalt, bevor sie meine Finanzen prüft und mir mit Ausweisung droht, wenn ihr etwas nicht passt. Der Sachbearbeiter dort fragte, ob es Aussicht auf Versöhnung gäbe. Ich sagte ihm, das sei kaum vorauszusehen, denn du meldest dich ja nicht und willst auch nicht reden. Ich werde um mein Recht kämpfen, sollten sie in einem Jahr etwas zu meinen Ungunsten entscheiden wollen...aber wer braucht diesen Stress? Und die Gefahr besteht immer, dass man den Kampf verliert...Was ist aus meinem Leben geworden?

Die Bürokratie hält mir gefühltermaßen eine Pistole an den Kopf. Mach, dass deine Ehe funktioniert! zischt sie. Aber so sind Menschen ja nicht gestrickt, nicht wahr? Sie brauchen vielleicht mehr Zeit als irgendeine realitätsferne Papierfrist bereit ist, ihnen zu geben. Ich versuche jetzt, die Staatsbürgerschaft zu bekommen, damit ich den Stress mit der Ausländerbehörde nicht mehr habe. Man sagt mir, ich habe gute Chancen dafür. Ich gebe den Antrag bald ab, dann muss ich weitersehen. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben für die nächsten 365 Tage auf des Messers Schneide steht. Ich weiß nicht, wo ich langfristig sein darf, ich weiß langfristig nicht, was mit dir und unserem gemeinsamen Leben ist. Ich sehne mich so sehr nach einer gesunden, kraftgebenden Liebesbeziehung zu dir. Aber ich bin ja auch gegangen, weil diese eben nicht vorhanden war...stattdessen versuchte ich, dein Vater zu sein. Ich war so erschöpft und überfordert...ich wollte nicht wahrhaben, dass das passiert...mein Körper ZEIGTE mir aber irgendwann schwarz auf weiß, dass es passiert. Man kann einen Pfeiler immer weiter beladen, aber irgendwann kracht er dann doch zusammen.

Wenn ich es schaffe, endlich ein Deutscher zu werden, dann werde ich alle Zeit der Welt haben, mein Schatz. Ich entschied mich für ein Leben hier, für ein Leben mit dir, vor langer Zeit. Ich fühle mich hier trotz allem zu Hause und völlig integriert. In den USA gelte ich inzwischen als Ausländer. Wenn ich Englisch rede, gucken die Menschen dort zweimal. Ich denke und träume auf Deutsch. Ich bin so nahe dran eine neue Basis zu errichten...und jetzt habe ich Angst, dass unsere Eheprobleme der Bürokratie die Waffen liefern werden, die mich von dir noch mehr trennen. Warum muss die Bürokratie dazwischen fuchteln? Warum muss sie Gülle auf eine Wunde streuen, die noch heilungsfähig wäre? Sie verunreinigt alles, macht alles 20-mal schlimmer, denn sie erzeugt so viel Druck und Angst. Ich beziehe überhaupt keine öffentlichen Gelder, habe mich immer benommen, ich spreche die Sprache so gut, dass alle mich für einen Deutschen halten, ich kann mir eine Wohnung, Versicherungen, Lebensmittel, eben alles leisten mit dem Geld meiner Mutter...warum werde ich so behandelt? Warum wird aus einer schlimmen Situation eine noch schlimmere gezaubert?

Ich schreibe sehr viel mit meiner Mutter in den Staaten. Ich fühle mich wie in einer Blase. Ich komme nirgends ganz an und hänge in der Schwebe. Es fühlt sich furchtbar an, nicht in einer Umgebung längerfristig bleiben zu dürfen, sich nicht darauf verlassen zu können, dass man sein Leben in einem Tempo führen kann, wie es auch nötig ist. Ich werde so bodenlos traurig, wenn ich mit meiner Mutter schreibe und daran denke, wie wir alle zusammen waren, als sie uns besuchte. Du sagtest mir, dass sie dir wie eine Mutter gewesen ist, hast dich gefreut, endlich im Gegensatz zu deiner eigenen schrecklichen Mutter eine Ansprechpartnerin für schwere Zeiten zu haben. Ich habe solche Schuldgefühle, als ob ich dir das nun weggenommen habe. Meine Mutter war verletzt, als du so kalt und sarkastisch auf ihre Email geantwortet hast. Ich weiß, dass das immer so eine Sache mit der Religion und den Amerikanern ist...aber sie meinte es nur gut, als sie dir sagte, dass sie für uns betet und dich in ihren Gedanken behält. Sie sah dich als ihre Tochter an. Sie sagte mir, dass sie das auch gerne weiterhin tun möchte.

Ich fühle mich so schuldig, dass es mir früher nicht möglich war, mit meiner Mutter umzugehen. Ich hatte das Gefühl, dir dadurch den Kontakt zu ihr ein Stück weit selbst zu vermiesen. Und jetzt, wo es mir gelingt, wieder zu ihr zu finden, jetzt, wo sie mich mehr respektiert und versteht, verliere ich dich...Es ist, als ob mir beides nicht gleichzeitig vergönnt sein darf. Ich wäre so gerne mit dir in die Staaten gefahren...es war so überraschend leicht für mich, meine Ängste zu überwinden und den Ort wieder zu besuchen, an dem ich aufgewachsen bin. Wahrscheinlich weil ich mich eher als Tourist fühlte. Ich hätte so gerne gehabt, dass wir dort mal Urlaub gemacht hätten. Meine Mutter hätte sich so gern um dich gekümmert und dir etwas gekocht. Ich bin so traurig...

Ich finde morgens kaum die Kraft, aus dem Bett zu steigen. Manchmal würde ich am liebsten daliegen und wegtreiben von dieser Welt, die uns so unfrei macht und uns so viele künstliche Steine in den Weg legt. Es birgt sich so viel Potential in den Menschen, aber es wird missachtet und unterdrückt.

19.05.2015 19:44 • x 1 #6


N
Lieber AD, hab dich gelesen, auch deine für mich hilfreichen Beiträge. Du hattest mal so schön geschrieben: Lass ihn tun, was er für sich tun muss. Und dass das ja nicht heißen muss, dass ihr nie wieder zusammen kommt. Diese Sichtweise hat mir sehr geholfen. Ich gebe sie nun an dich zurück.
Mittlerweile lehne ich mich entspannt zurück, hab ihn - metaphorisch gesehen - abgeleint, lass ihn laufen und alles auskosten und seine Freiheit geniessen. Hab ihm den Rücken zugewandt und mich von der Wiese wegbegeben, auf der er freudig rumtollt und alles Neue beschnuppert und hinter anderen Freilaufenden hochinteressiert herläuft, bis er sie eingeholt hat und beschnüffelt, dann aber feststellt, dass das alles gar nicht so interessant ist, wie es aus der Ferne schien. Er hat viel gesehen, erlebt aber auch gelernt, über sich! Ich habe in der Zeit mich viel mit mir auseinandergesetzt, viel reflektiert, weiß nun auch genau, wer ich bin, was ich will. Bin stark wie nie zuvor. Vllt finden ja nach vielen Monaten, vllt auch nach einem oder mehreren Jahren beide wieder zueinander, wer weiß, es ist nicht auszuschließen.
Also, mein Hund, wenn der mich mal aus seinen Augen verlor, weil es im Moment mal was spannenderes gab und weglief, ist bisher immer reumütig zu mir zurück gekommen.

Lieber AD, ich lese, dass es dir im Grunde genommen noch schlechter geht, als vor ein paar Monaten!? Ich hab mich auch sehr lange gegen eine Behandlung in einer Klinik gewehrt. Wollte es allein schaffen. Aber irgendwann kam ich an dem Punkt, an dem ich Angst vor mir selber hatte. Hab keinen Sinn mehr gesehen. War beim Arzt und hab von meinem hoffnungslosen Zustand und meinen Gedanken berichtet. Innerhalb einer Woche war ich in einer KLINIK und das war meine RETTUNG. 6 Wochen und ich seh die Welt wieder mit ganz anderen Augen sehen, ich freue mich, dass ich noch da bin, freue mich, was die Natur alles so unfassbar Schönes bietet, ich freue mich, dass ich mich freue. Wusste gar nicht mehr, wie es sich anfühlt.. die Freude..
Glaub mir, alles wird gut! Aber lass dir helfen. Du brauchst Hilfe, hochsensible Menschen brauchen sie ganz besonders! Weil man dazu neigt, sich gedanklich zu verlaufen und irgendwann nicht mehr den Weg zurück findet...

03.07.2015 08:34 • x 1 #7


N
PS: Ich liebe ihn noch immer, aber der Schmerz nach 1,5 Jahren Odyssee ist weg.

03.07.2015 08:45 • #8


AD203
Hallo NewDay,

danke für deine lieben Worte. Es freut mich zu lesen, dass du inzwischen loslassen kannst. Mir gelingt das in immer längeren Zeitintervallen. Wenn ich inzwischen leide, dann ist es eher nur noch wegen meiner eigenen Situation. Ich schaffe es sogar, Wut zu empfinden. Ich bin wütend, weil meine Frau über eine gewisse Freiheit verfügt, über die ich nicht verfüge. Sie trägt nur emotionale Konsequenzen davon. Ich trage aber auch existenzielle davon: Meine aufenthaltsrechtlichen Probleme nach der Trennung haben wir zwei Wahlen hinterlassen: 1) Ich gehe arbeiten und verdiene genug, sodass mein Lebensunterhalt nach den Berechnungen der Ausländerbehörde bis März 2016 als selbstständig gesichert gilt und ich somit meinen Aufenthaltstitel verlängert kriege ODER 2) Ich lebe als Student weiterhin vom Unterhalt meiner Mutter und werde März 2016 in den Studentenstatus mit einem Studentenvisum versetzt.

Letzteres wäre sehr ungünstig. Als Student kann ich nicht eingebürgert werden, ich bekomme auch keine andere Art Aufenthaltserlaubnis mehr. Man bleibt bis zum Studienabschluss Gast und muss dann in 18 Monaten einen Job finden, wenn man bleiben will. Ich müsste mein Studium schnell nach den Zeitvorgaben der Ausländerbehörde durchziehen (bei Physik nicht so einfach) und dann einen Job finden, um hier bleiben zu dürfen. Das alles haben mir inzwischen 5 Anwälte bestätigt. Dieses Studentenvisum-Szenario wäre für mich scheußlich. Ich bin hier schon so lange und fühle mich wie zu Hause. Ich habe keine Lust mehr, auf einen Platz hier warten zu müssen und ich habe keine Lust mehr, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Wenn Staatsbürger hier eine Trennung mitmachen, dann bleibt es auch bei Trennungsproblemen. Dinge wie Ausweisung sind kein Thema für sie. Diese Einfachheit und Sicherheit will ich auch. Ich habe mich also für die Nummer 1) entschieden und werde arbeiten bis ich eingebürgert werde. (Das kann laut Standesamt jetzt schon in den nächsten Monaten passieren, weil ich so gute Voraussetzungen dafür habe).

Ich habe also vor einigen Tagen - wie ein Geschenk vom Himmel - eine Stelle bekommen, scheinbar mit ausreichendem Gehalt (ich bin laut Hartz-IV-Rechner nicht ALGII-bedürftig) und guten Konditionen wie einer unbefristeten Laufzeit. Die Ausländerbehörde dürfte sich über diesen Arbeitsvertrag freuen. Obwohl es für die Ausländerbehörde eigentlich nicht zählt, weil sie nicht in DE und somit nicht haftbar ist, zahlt mir meine Mutter trotzdem noch Unterhalt aus den Staaten dazu. Ein Anwalt meinte neulich, er sehe jetzt nichts, was mich daran hindern sollte, meine jetzige Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen, sollte die Einbürgerung bis März 2016 noch nicht abgeschlossen worden sein. Ich arbeite also jetzt Vollzeit und warte ab. Ich brauche noch zwei Dokumente, um den Einbürgerungsantrag endlich zu stellen. Die kommen aber nicht wegen dem Poststreik. Sobald mein Einbürgerungsantrag genehmigt worden ist und ich Deutscher bin, werde ich das Studium wieder aufnehmen und zu MEINEN Konditionen studieren. Das heißt auch, mir etwas mehr Zeit zu lassen, wenns nötig ist. Ich will nämlich was lernen und mein Fach auskosten.

Ich schreibe all das, weil es ein wenig erklärt, warum ich noch nicht in einer Klinik gewesen bin. Ich war vor meinem ersten Arbeitstag in der psychosomatischen Aufnahme des örtlichen Krankenhauses. Der Arzt sagte mir, ich hätte eine schwere Depression. Genau wie du, schlug er mir vor, ich solle in einer Klinik stationär behandelt werden. Behandlungszeit 4 bis 6 Wochen. Ich bin aber noch bis Januar in der Probezeit bei der Arbeit. Es geht nicht, dass ich gleich nach Vertragsunterzeichnung für über einen Monat verschwinde. Ich brauche diese Arbeit, um einen aufenthaltsrechtlich stabilen Boden unter den Füßen zu bekommen. Ein Klinikaufenthalt wäre in der Probezeit ein Kündigungsgrund. Ich suche zur Zeit einen Psychiater, der mir nach der Arbeit Termine anbieten könnte. Ich leide - wenn auch mit immer längeren Pausen dazwischen - unter der Trennung. Ich fühle mich nicht selten einem gewissen Elend ausgesetzt und kann mir vorstellen, dass meine Frau nun das Gefühl hat, mich bestrafen zu können. Nach allem, was wir durchgemacht und zusammen erlebt haben, merke ich, dass es ihr wirklich egal ist, was nun mit mir passiert. Und das tut unheimlich weh. Sie machte nach zwei Wochen schon mit einem Neuen herum, verweigerte jeglichen Kontakt, sie genießt nun den Luxus der Selbstfindung. Ich hingegen kämpfe um die Erlaubnis, mich auf einem Stück Erde aufhalten zu dürfen. Für meine Frau sind ganz grundlegende Fragen beantwortet, für mich sind sie noch offen. Meine Träume hängen nun an diesem Job wie an einem seidenen Faden.

Ich begebe mich hin und wieder bei der Arbeit aufs Lager oder in einen Putzschrank und weine mich aus. Die Angst ist häufig am stärksten. Ich würde unheimlich gerne in eine Klinik gehen, aber es geht gerade nicht. Ich suche stattdessen nach einem Psychiater, mit dem ich womöglich abends nach der Arbeit reden könnte. Sobald ich jedoch einen dauerhaften Aufenthalt habe, werde ich mir einen Klinikbesuch endlich mal gönnen.

03.07.2015 22:34 • #9


N
Hallo AD,

Ich bins wieder. Mittlerweile ist ja nun schon wieder ein Monat vergangen. Wie geht es dir? Schaffst du alles, was du dir unter den erschwerenden Bedingungen vorgenommen hast? Im Grunde genommen, kann man die Gesundheit nicht hinten anstellen. Sie ist das Wichtigste! Hoffentlich geht dein Plan auf.
Alles Liebe und Gute!

03.08.2015 20:21 • #10


AD203
Hallo NewDay1,

Ja, ich kann dir einiges berichten, was in letzter Zeit passiert ist, wenn du es wissen möchtest. Ich habe nun einen Job und wohne zum Glück recht günstig. Der Job bringt mir so viel, dass ich zwar nicht so weit über der Sozialhilfegrenze bin, wie ich das gerne sein möchte, aber es dürfte erstmal ausreichen, um nicht ausgewiesen zu werden. Zusätzlich zu meinem Job unterrichte ich freiberuflich Deutsch für Ausländer und verdiene dadurch auch etwas. Mein Anwalt für Ausländerrecht meinte, die Ausländerbehörde müsste auch dieses zusätzliche Einkommen berücksichtigen.

Ich habe vor einigen Tagen meinen Antrag auf Einbürgerung erfolgreich abgegeben. Die Sachbearbeiterin sagte mir, dass ein Amerikaner im Schnitt 1 Jahr braucht, um endlich seinen deutschen Pass zu bekommen. Jetzt heißt es abwarten und hoffen. Die Einbürgerungsbehörde ist nicht so streng wie die Ausländerbehörde, aber es gibt eine gewisse Stetigkeit, die sie im Leben eines Bewerbers sehen möchte. Ich mache mir ein wenig Sorgen, weil ich meinen Job noch nicht so lange habe und auch nicht mit ihm reich werde. Aber was bleibt mir übrig? Versuchen will ich es ja. Mein Anwalt meinte, dass die Behörde auch meine individuelle Situation berücksichtigen müsste: Ich bin nur 25, habe noch ein Studium vor mir und habe in den 8 Jahren, in denen ich mich hier aufgehalten habe, nur 3 Monate Sozialhilfe in der Zeit zwischen meinem Schulabschluss und Studium bezogen. Ansonsten habe ich immer gearbeitet und war schon während der Abendschulzeit über zwei Jahre sozialversicherungspflichtig tätig, d.h. ich habe schon in die Rentenkasse eingezahlt. Das ist für die Behörde auch wichtig. Als ich meine Sachbearbeiterin bei der Einbürgerungsbehörde fragte, ob es um meinen Fall schlimm steht, meinte sie nicht wirklich. Ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll, aber ein wenig Hoffnung hat es mir angesichts ihrer unfreundlichen und sehr trockenen Persönlichkeit irgendwie schon gegeben.

Mein Job gibt nicht viel her und fordert mir viel ab. Ich vermute, ich sollte dankbar sein, dass ich etwas habe. Ohne den Job wäre alles viel schwieriger. Ich werde durchhalten, bis ich mein Ziel erreiche. Wenn es mit der Einbürgerung nicht klappt, dann beantrage ich sie eben nochmal oder arbeite noch zwei Jahre. Denn nach zwei Jahren habe ich die Rentenbeitragszeit von 60 Monaten voll. Ein Ausländer bekommt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, wenn er das geschafft hat und sein Lebensunterhalt zum Zeitpunkt der Antragsstellung durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert ist.

Ich merke, dass ich noch an Depression leide und oft sehr müde bin. Es kommen Augenblicke - vor allem morgens und nachts - in denen mich das Ergebnis der Trennung schier erstickt. Mir kommt es manchmal vor, wie eine Gefängnisstrafe, die ich nun absitze. Ich arbeite gerade an einer Petition, die ich an den Landtag schicken werde. Es kann meiner Meinung nach wirklich nicht sein, dass Menschen, die tatsächlich aus Liebe hergekommen sind und auch alles Erdenkliche getan haben, um hier eine Heimat zu finden, doppelt bestraft werden, weil die Liebe plötzlich und unerwartet auseinandergeht. Der Verlust des Partners reicht bei vielen normalen Menschen (also Deutschen) schon, um Selbstmordgedanken und andere fürchtliche psychische Folgen auszulösen. Ist man Ausländer, dann findet man sich zusätzlich dazu in einer bürokratischen Maschinerie gefangen, die schwerpunktmäßig darauf eingestimmt ist, Scheinehen zu verhindern und die Hürden so hoch wie möglich zu legen. Es macht mich traurig, dass das Gesetz stets einen gewissen Unterton aufweist, der ziemlich klar macht, dass die meisten Gesetzgeber davon ausgehen, dass Ausländer aus scheinehelichen Gründen in Deutschland heiraten. Auch wenn der Eindruck vom Sachbearbeiter abhängig ist, hat man doch nicht selten das Gefühl, schon ansatzweise kriminell zu sein. In letzter Zeit beschäftige ich mich auch mit ähnlichen Fällen, wie dem meinigen. So viele Menschen leiden darunter, dass sie ihre Geliebten nicht aus anderen Ländern nach Deutschland holen dürfen, bloß weil ihr Einkommen nicht hoch genug ist. Und das traurigste ist, dass ihr Einkommen nur nach fiktiven Berechnungen nicht ausreicht: Die Ausländerbehörde zieht alle möglichen Freibeträge davon ab plus Hartz-IV-Satz und Warmmiete. Während viele Menschen einfach sparsam sind und mit ihrem Einkommen wunderbar auskommen, werden sie somit arm gerechnet, wo sie doch gar nicht arm sind. Solche lebensfernen, menschenverachtenden Unsinnigkeiten halten viele Liebespaare qualvoll voneinander getrennt. Wie unfrei sind wir denn, dass wir im Falle der grenzübergreifenden Liebe nicht einmal darüber entscheiden können, mit wem wir unser Leben verbringen möchten?

Wie auch immer: Ich kämpfe mich so durch. Ich bin gespannt, wo ich in einem Jahr bin und was bis dahin aufenthaltsrechtlich alles passiert ist. Seit ihrer letzten sehr verletzenden Email vor drei Monaten habe ich nichts mehr von meiner Frau gehört. Meine Situation interessiert sie nicht. Ich habe ihr neulich einen Brief per Einschreiben-Rückschein geschrieben, weil es nun um Steuerklassen geht: Um vor der Ausländerbehörde gut dazustehen, muss mein Nettoeinkommen so hoch wie möglich sein. Gerade stecke ich aber noch in der Steuerklasse V und verdiene somit fast gar nichts. Wenn ich dem Finanzamt die Trennung mitteile, bin ich ab 2016 in der Klasse I und meine Frau ebenfalls. Sie wird dann aber für alle Monate nachzahlen müssen, in denen sie die Klasse III trotz Trennung genossen hat. Um ihr das ersparen, habe ich sie gebeten, mit mir gemeinsam auf IV/IV zu wechseln. So verdient sie ja auch weniger, aber die Nachzahlung entfällt, solange wir dem Finanzamt die dauerhafte Trennung verschweigen. Ich habe auf meinen Brief aber keine Antwort bekommen. Ich habe Angst, dass sie sich im neuen Jahr schon scheiden lassen will. Das wird mehr Anwälte und Bürokratie bedeuten. Gerade habe ich die Schnauze so voll von alledem, dass ich buchstäblich Würgreize kriege.

22.08.2015 12:25 • #11


A


x 4




Ähnliche Themen

Hits

Antworten

Letzter Beitrag