Hallo,
melde mich hier mal wieder und freue mich darauf, eventuell auch ein paar bekannte Gesichter zu sehen.
Habe momentan eine Beziehungskrise, bei der ich gerne einfach mal wissen wollte, was andere davon halten.
Bin seit knapp über einem halben Jahr in einer neuen Beziehung. Fernbeziehung mal wieder, nicht optimal, klar - aber wo die Liebe hinfällt.
Wir hatten über diese Zeit bis vor 1 1/2 Wochen keinen Streit. Wir sind uns absolut in vielen grundlegen Dingen (ethische Ansichten, politische Grundüberzeugungen, Lebensvorstellungen) einig und deswegen kam es da auch bisher nicht zu großen Reibungen.
Nun zu dem Problem: Sie ist Pfarrerstochter (Vater, also der Pfarrer war evangelisch - Mutter katholisch), kommt aus einer hochreligiösen Gegend und hat dementsprechend viel daraus für ihr Leben mitgenommen und ist grundsätzlich gläubig. Dazu muss man sagen, dass der Vater vor 6 Jahren verstorben ist und es deshalb für sie noch mal an Bedeutung gewonnen hat, da ihr Glaube ihr sehr viel Halt gegeben hat.
Ich selbst bin überzeugter Atheist (vielleicht auch Agnostiker, da bin ich mir nicht sicher ), in einer Großsstadt groß geworden, Religion hatte nie einen großen Stellenwert (weder im Freundes- noch im Familienkreis, mit ein paar Ausnahmen) und vertete einen säkularen, evolutionären Humanismus - auch nach außen hin. Das heißt ich übe harsche Religions- und Kirchenkritik, bin davon überzeugt, dass es keine jahrtausendealten Gedankengebäude braucht, die unabänderlich sind. Die Werte, für die ich stehe wurden gegen die Religion, gegen die Kirche und ihre Führer erkämpft. Für mich stellt sich die Gottesfrage einfach nicht, weil mir die Wissenschaft und die humanistische Philosophie genug mitgegeben hat. Ich folge ethischen, von Menschen selbst geschaffenen Regeln und keinen moralischen, dogmatischen Überzeugungen. Ich will das hier möglichst deutlich machen, damit man auch sieht worin das Problem liegt: Ich persönlich kann mit Religion nichts, wirklich gar nichts anfangen und ich finde, dass Religions- und Kirchenkritik absolut unabdingbar sind. Ich stehe für eine klare Trennung von Kirche und Staat und setze mich dafür ein, dass wir auch in unserem Land diesen Zustand einmal erreichen können. Aus diesem Grunde sehe ich (persönlich) Religion und Kirchen negativ, da es in ihrem innersten Wesen verankert ist andere auszuschließen, auszugrenzen, wenn nicht sogar zu verfolgen. In dem Sinne glaube ich an den Menschen, der sich selbst ethische Regeln geben kann und muss und alle anderen Menschen gleichberechtigt als Teil eben dieser Spezies sieht (egal ob gelb, grün, groß, klein, dick, gleichgeschlechtlich, etc.). Ich würde es vielleicht Glauben an die Menschheit nennen - und optimistisch, fortschrittsgewandt.
Tja, da sind wir schon bei dem Problem. Mir hätte es natürlich von Anfang an klar sein müssen, dass wir da zwei nicht ganz kohärente Meinungen vertreten. Aber da es nie konkret zum Thema wurde und sie wie gesagt sehr liberal ist (sie geht nur an Weihnachten in die Kirche, ich habe sie nie beten sehen, usw.), S. offen und sie auch mit meiner Kirchenkritik zu einem sehr großen Teil übereinstimmt, kam dieses Thema einfach gar nicht wirklich auf.
Nun waren wir vorletztes Wochenende bei Freunden von ihr eingeladen und haben (reichlich Alk.) ein Spiel gespielt, bei dem man sich besser kennen lernen soll. Das lief super, bis kurz bevor wir gehen mussten und es um Religion ging. Ich habe meine Meinung vertreten und sie hat sich persönlich davon angegriffen gefühlt, weil sie bisher nicht wusste, dass ich so radikale Ansichten vertete. Und mir war es bis dahin wirklich noch nicht klar, dass Religion doch diese große Bedeutung in ihrem Leben hat. Jedenfalls haben wir an diesen zwei Tagen nur gestritten, geweint, kaum geschlafen. Am nächsten Wochenende bin ich zu ihr gefahren, um nochmal darüber zu reden. Mir war es auch besonders wichtig, zu erfahren, was es ihr konkret bedeutet und was ihr wichtig ist. Sie meinte beispielsweise eine kirchliche Heirat war ihr zwar immer wichtig, aber wenn es mit uns weiterhin gut laufen würde, wäre es für sie auch ohne ok. Dann das Thema Kinder. Ihr wäre es wichtig, das Kind zu taufen und christlich zu erziehen.
Beim Thema Taufe gingen dann schon alle Alarmglocken bei mir an, weil sie sich beispielsweise nicht vorstellen konnte, das Kind selbst entscheiden zu lassen. Und christliche Erziehung ist etwas, was ich mir nie hätte vorstellen können, auch wenn ich diese zunächst (aber in einer äußerst säkularen Version, meine Eltern sind später dann mit mir ausgetreten) selbst genossen habe.
Letztenendes waren wir uns bei diesem hypotetischen Gedankenkonstrukt nicht einig und haben wieder nur gestritten, geweint. kurzzeitig sah es so aussichtslos aus, dass wir uns eigentlich trennen müssten. Weil es eben in 5-10 Jahren wieder Thema werden könnte und wir beide der Ansicht sind, dass es nur sinnvoll ist eine Beziehung zu führen, die nicht auf Zeit ist.
Letztenendes haben wir dann aber doch gesagt, dass wir uns beide lieben (und ja das tue ich wirklich sehr) und irgendwie einen Weg finden. Mich hat das heute nochmal derart mitgenommen, dass ich mich kaum auf der Arbeit konzentrieren konnte. weil es für mich eben nicht okay ist, ein Kind zu indoktrinieren und keine anderen Wege aufzuzeigen, wie bestimmte Phänomene (Tod, die Erde mit all ihren Lebewesen, etc.) zu erklären sind. Sie meinte, ein Kind würde das nur verunsichern und es braucht Sicherheit. Das kann ich sogar zu einem gewissen Grad nachvollziehen - obwohl ich mich frage, ob das nicht in vielen Beziehungen so ist, dass sich Mutter und Vater nicht einig sind (immerhin sind wir alle Individuen) - und das natürlich nicht nur in religiösen Fragen.
Jedenfalls haben wir vorhin nochmal telefoniert, auch weil ich ihr hier entgegen kommen wollte. Zunächst einmal meinte sie, dass sie vielleicht damit leben könnte, ihre Kinder nicht zu taufen. Sie kann es nicht versprechen, aber überlegt sich das. Also erstmal ein weiteres Entgegenkommen ihrerseits. Ich habe gesagt, dass es für mich okay wäre, wenn beide Elternteile bis zu einem gewissen Alter des Kindes ähnliche Ansichten vermitteln. Also im Prinzip fände ich es okay zu sagen, es gibt den Himmel, es gibt das Christkind, usw. Nur eben nicht über ein bestimmtes Alter hinaus. Das ist wie mit Drachen, Trollen und den Mainzelmännchen. Außerdem frage ich mich, ob es nicht eigentlich möglich wäre, dass hier zumindest zu einem gewissen Grad auch beide Elternteile etwas anderes vermitteln können. Also mit der Aussage Das Haustier ist jetzt im Himmel könnte ich leben, da es ja quasi wirklich wieder Teil der Welt wird. Mit der Aussage Das Haustier is jetzt im Himmel auf der Wolke neben Gott könnte ich jedoch nicht leben, jedenfalls nicht, wenn sie von mir käme. Wenn sie das so sagt, denke ich könnte ich damit leben, solange ich das nicht selbst so drastisch formulieren muss. Und sie meinte, da könnte sie absolut keine Abstriche mehr machen. Ich müsste dann auch den letztgenannten Satz vertreten. Das wäre das Vermächtnis ihres Vaters, wie sie erzogen wurde und wie sie es gerne weitergeben will, da ihr das sehr gut getan hat und wenn ich etwas anderes sagen würde, ginge das nicht.
Ähnlich bei Fragen zu den Naturwissenschaften, also beispielsweise Photosynthese. Wo sie zwar sagt, dass das natürlich ok ist, was die Wissenschaft lehrt und auch richtig - aber es wäre ebenfalls elementar zu sagen, das wäre göttlich - also der Sinn für Ästhetik, Geschmack und ähnlichem. Wie gesagt, käme ich damit klar, wenn ich auch sagen könnte, dass das eine Ansichtsweise ist, die man vertreten kann, aber es auch andere gibt - zum Beispiel - aber nicht nur, die an die ich glaube. Das ginge für sie auch wieder nicht.
Also an dem Punkt hängen wir momentan, ich bin aber gerade wieder optimistisch, es ist ja wirklich eine Religion Light, die ihr vorschwebt und die ab einem gewissen Alter auch nicht mehr die Antwort auf alles sein kann. Sie hätte auch kein Problem damit ,wenn sich das Kind gegen ihre Ansichten entscheiden würde, wenn es so weit ist. Das sind denke ich aus ihrer Sicht wirklich riesengroße Zugeständnisse, ich bin mir nur nicht klar, wie ich damit leben könnte und wie weit ich hier wirklich meine persönlichen Ansichten zurücknehmen und das Kind (aus meiner Sicht) belügen müsste.
Immerhin sind wir nun an einem Punkt, an dem wir beide aufeinander zugehen und haben uns auch geeinigt, dass das - vor allem nicht so kleinteilig - nicht das zentrale Thema bleiben kann - immerhin kennen wir uns ja noch nicht so lange und sollten uns auch anderweitig besser kennenleren, möglichst ohne Streit oder diesem andauernden Damoklesschwert über uns, bei dem wir überhaupt nicht mehr eine normale Zeit miteinander verbringen können. Ich kann und will eine Beziehung, die sonst in jeglicher Hinsicht bisher harmonisch war, nicht deswegen beenden.
Aber natürlich beschäftigt mich das noch und ich würde gerne mal eure Ansichten dazu hören, vielleicht steckt ja jemand in einer ähnlichen Situation oder hat diese schon gemeistert. Seht ihr das wie ich (irgendwie optimistisch) oder gibt es hier wirklich zuviel grundlegende Unterschiede - obwohl es ja wie gesagt, nicht unseren eigentlichen Wertekanon betrifft. Das was sie als christliche Werte bezeichnet, sind für mich humanistisch. Wir leiten diese eben nur von etwas anderem ab.
27.05.2019 22:52 •
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