Sieh es mal so. Ihr seid über Jahre einen gemeinsamen Weg gegangen soweit das mit einem Autisten eben möglich ist. Vier Kinder sind entstanden und Ihr habt Euch irgendwie arrangiert, vor allem mit seinen Eigenheiten.
Nun seid Ihr aber in eine neue Phase eingetreten, denn jeder von Euch hat angefangen, die Beziehung zu hinterfragen. Er mag seine Familie, Dich, die Kinder, das gemeinsame Heim. Aber ich denkle, es wächst ihm mit dem ganzen Trubel bei den vielen Menschen zetiweise über den Kopf. Und dann kamen vielleicht so Gedanken und Gefühle auf, dass er frei sein möchte. Sein Leben leben ohne Störfaktioren die sich bei 6 Menschen zwangsläufig ergeben.
Du hast Dich von Anfang an ihm angepasst, zwar setlsame und befremdliche Verhaltensweisen bemerkt, aber nicht groß hinterfragt. Außerdem warst Du mit Eurer Kinderschar auch gut beschäftigt. Irgendwie habe ich bei Euch das Gefühl, es hat sich zu einer Konstellation entwickelt, in der ein Wir zunehmend abgenommen hat. Und das führt dann dazu, dass praktisch fünf zusammen glucken und Nummer 6, also er, irgendwie isoliert dasteht.
Das ist nur eine Vermutung von mir, denn es erinnert mich an die frühere Familie meiner Freundin. Drei Kinder, sie das Muttertier, dass das Schiff steuerte, einkaufte, Wäsche wusch, daneben noch als Lehrerein zumindest in Teilzeit arbeitete und sämtliche Stundenpläne der Kinder im Kopf hatte. Sie wohnten auf dem Dorf, der nächste Supermarkt einige Kilometer entfernt. Dazu kamen verschiedene Schulen, an denen die Kinder waren.
Und er? Er ist selbstständig und arbeitet als Betreuer für Menschen, die niemanden haben und ihre Dinge nicht mehr selbst regeln können.
Er wurde im Lauf der Jahre bequem und stellte sich auch öfters dumm an. Kein Wunder, denn meine Freundin ist die patenten Alltagsfrau, die alles schafft, was dazu führte, dass er sich mehr und mehr zurückzog in seine Welt und aus seinem Büro kam er nur zum Essen.
Merkwürdig, wie mir das auffiel.4, die zusammen glucken und er, der einsame Wolf ohne Rudel. An der Entfremdung hatten beide ihren Anteil. Er entfloh der familiären Einsamkeit, indem er sich eine Freundin suchte und wo er sich ins gemachte Nest setzen konnte. Als die Sache in trockenen Tüchern war, zog er aus und informierte seine Frau mit ungefähr zwei Sätzen darüber.
Das erinnert mich an Euch.Wenn einer in der Gruppe dennoch irgendwie allein und isoliert dasteht, sucht er Abhilfe. Der eine sucht sich eine neue Frau (mit der es übrigens nach einigen Jahren auch schon wieder vorbei ist), der andere sucht sein Heil im Alleinsein, zumal das zu einem Autisten ja auch ganz gut passt, da er eh keine enge Bezeihung zu anderen Menschen aufbaut. Er kümmert sich, er achtet auf die Kinder, das schon, aber er scheint eigenartig unterkühlt zu sein.
Jedenfalls ist jedem von Euch bewusst geworden, dass ihr die Dinge mehr hinterfragt, durchleuchtet und dass es nun Erklärungen für seine Wesenszüge gibt. Und er sucht sein Heil darin, dass er sozusagen aus der Familie austritt. Daher sein Ansinnen nach einer WG, die Dich aber auf Dauer noch weniger zufrieden stellen wird als Eure derzeitige Beziehung.
Insofern ist ein neues Zeitalter angebrochen und eine Trennung steht an. Verständlicherweise führt das zu Sorgen (Wohnung etc.) und Ängsten, weil eine neue Lebenssituation einen auch immer verunsichert. Was kommt jetzt, wie wird das alles gehen. Mit den Kindern, mit ihm als WE-Papa, mit dem Geld?
Atme einfach weiter in Deinem Rhythmus. Die Dinge werden sich fügen wenn Du ruhig weiter machst, Dich nach einer Wohnung umsiehst was nicht einfach werden dürfte. Vielleicht kann aber auch er für Dich mit schauen.
Und wenn Du eines Tages einen Umzug gemeistert hast, wirst Du Dich auch in diese neue Situation hineinfinden, weil Du einfach so bist, dass Du die Dinge anpackst. Und vielleicht stellt es sich für Dich, vielleicht sogar für die Kinder als eine Art Erholung dar, wenn er nicht mehr unmittelbar da ist.
Irgendwie drehte sich alles um ihn und seine Verhaltensweisen, die Du einfach so hingenommen hast. Jetzt hat sich etwas in Dir geändert. Du bist nicht mehr das duldsame Lamm von früher, Du hinterfragst, analysierst und siehst nun klarer, was los ist. Du weißt, er hat diese Krankheit und die würde auch Euer aller Leben weiterhin dominieren.
Die Situation auf dem Stadtfest - ich verstehe das. Es hat ihn überfrachet, diese vielen Menschen, die Gerüche, der Krach, eine gewisse Hektik - das kann er fast nicht aushalten weil es eine komplette Reizüberflutung ist, die er aber nicht artikulierte. Weil er es auch nicht gelernt hat über seine Befindlichkeiten zu sprechen. Vielleicht wollte er Euch auch die Stimmung nicht verderben und wollte sich fügen bis es ihn überforderte.
Vielleicht wirst Du erst merken, wenn Du von ihm weg bist, wie sehr Du Dich angepasst hast, Dich mit dem Maß an Zuneigung und Liebe zufrieden gegeben hast, zu dem er fähig ist. Und veileicht wird Dir dann auch bewusst, dass Dinge nicht umsonst im Leben geschehen, sondern dass es einfach auch an der Zeit für eine Veränderung war.
Das Leben schickt Veränderungen wenn das Alte verbraucht ist und keine Perspektiven mehr eröffnet. Vielleicht ist es sogar gut wie es kam.
Er wird weiterhin mit seinen Wesenszügen klar kommen müssen, sich manchmal überfrachet fühlen und vielleicht sogar manchmal ein wenig Sehnsucht nach seiner Familie verspüren die ihn solange begletiet hat. Man darf gespannt sein ob neue Lebensumstände ihm wirklich zusagen oder ob sie nur eine Illusion sind die er sich als schön und angenehm vorstellte, sich aber im Alltagsleben doch ganz anders darstellt.
Du kannst ihm weder helfen und Du bist auch nicht mehr in der Verantwortung ihm gegenüber auch wenn Du das noch nicht so fühlst. Aber er bekommt was er wolltte, der Rest liegt bei ihm. Und Du und die Kinder, ihr müsst auf Euch schauen.
Die Situattion bleibt: Fünf und einer, der isoliert ist. Nur dieses Mal mit einer räumlichen Trennung.
17.05.2023 14:08 •
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