Meine Lieben,
ich möchte heute mal die Crowdsource anzapfen, weil ich heute noch ziemlich von gestern geplättet bin und euch bzgl einer Freundin um Rat fragen möchte. Ich kenne sie seit ca. einem Jahr, sie ist ein lieber Mensch - aber eine furchtbare Quasselstrippe. Und wenn ich sage furchtbar, dann meine ich furchtbar. Gestern hat sie mich heimgesucht, auf einen kurzen Nachmittagsplausch. 6 Stunden später hat sie mich noch immer angejammert ohne Luft zu holen. Ich habe mich darauf eingelassen, weil ich weiß, dass es ihr nicht gutgeht, aber das artete dann schon in Leiden aus.
Ich rekapituliere mal in Kürze ihren 6stündigen Monolog, damit ihr euch ein Bild machen könnt - ihr könnt aber auch gerne diesen Absatz überspringen, dafür habt ihr mein vollstes Verständnis! Ich kenne übrigens keine der erwähnten Personen.
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Sie ist so müde, alles ist shice, sie hätte in einer anderen Zeit geboren werden sollen, früher war alles leichter, sie sei im Leben falsch abgebogen und hadert mit dem Schicksal, sie ist einsam, da ohne Freund, sie will X und Y (Lebensgeschichte von Y) retten, sie hat Angst, dass der Hund einmal stirbt, sie hat Angst, dass die Eltern mal sterben, hadert, warum ihre Eltern nicht reich sind, es tut ihr weh, dass Q (Lebensgeschichte von Q) nicht reich ist, sie hat gröbere Geldprobleme, kann nicht bei Chanel einkaufen, sie hat eine Kundin, die ist soo lieb und der steht Chanel, R hat sich Chanel gekauft (Lebensgeschichte von R), S hat einen schönen Kronleuchter (Lebensgeschichte von S), die Kronleuchter im Lokal T sind hässlich (Lebensgeschichte einer Freundin, mit der sie mal im Lokal T war), wo man am besten Chanel kaufen sollte, Z hat sich gerade ein Grundstück gekauft, sie hat kein Grundstück, warum hat sie kein Grundstück, das Leben ist anstrengend, alles ist schwierig, ihre außergewöhnlichen Begabungen werden nicht wertgeschätzt (Stylistin), sie will nicht mehr, sie kann nicht mehr, sie ist so müde, sie hat sich eine Handtasche von Chloe erschnorrt, der Ex hat eine Räumungsklage, sie muss den Ex retten, sie hasst den Ex, sie liebt den Hund vom Ex, der Ex ist ein Narzisst, der Ex ist am Telefon lieb, der Ex ist zum Kotzen, Typ A ist süß aber blöd, Typ B ist blöd aber süß (Lebensgeschichte von H, bei dem sich dann rausstellt, dass H ein Freund von B ist. Es folgt Lebensgeschichte von B). Die Jeans von Typ E sind hässlich, Typ F ist dumm, Typ G ist zu jung. Typ G erinnert sie an J (Lebensgeschichte von J). Sie ist ein Schöngeist. A ist auch ein Schöngeist. Sie glaubt an Geister und kosmische Energien. Mit A kann sie so gut darüber reden (Lebensgeschichte von A). Sie hasst A, sie liebt A. C hat sich wieder gemeldet. D meldet sich nicht, hat jetzt aber ein neues Auto, (Lebensgeschichte von einem Autoverkäufer, den sie mal kannte), die Sitze vom Auto sind hässlich, wie man nur so hässliche Sitze kaufen kann, sie will neue Küchenstühle, kann sie sich aber nicht leisten, die Eltern sind nicht reich genug, vielleicht, wenn sie erbt, sie will aber nicht erben, denn dann würden die Eltern sterben. (Es folgt die Beschreibung der Auslage, wo sie die Stühle gesehen hat und die Lebensgeschichte von K, warum auch immer). D und T sind Erbschleicher (Lebensgeschichte von I, es stellt sich raus, I ist die Nachbarin der Mutter von T), sie aber nicht, sie braucht die Eltern. Sie liebt ihre Eltern, sie hasst ihre Eltern, sie hat einen neuen Pulli (Lebensgeschichte der Pulli-Verkäuferin), kann sich aber jene Tasche dazu nicht leisten (Lebensgeschichte einer Bekannten, die diese Tasche besitzt und zusammenhanglos Lebensgeschichte von L und M, die wohl auch einen Pulli oder eine Tasche besitzen), das Leben ist shice, sie mag nicht mehr etc.pp.
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Sie hat also die Unart, nicht nur ununterbrochen von Menschen zu reden, zu schwärmen, sie gleichzeitig zu kritisieren, von denen man noch nie gehört hat und nicht zuordnen kann (keine netten Anekdoten, sondern irgendwas), sondern 5 Handlungsstränge gleichzeitig zu erzählen und vom 100sten ins 1000e zu kommen. Oben Geschriebenes ist bereits sehr strukturiert im Vergleich zu ihrem Geplapper.
Ich kann euch sagen, ein anstrengender Abend. Ich musste, als sie ging, die Fenster aufmachen, um die ganze Negativität wieder rauszulassen - diese hing tatsächlich wie eine Smogwolke in der Wohnung. Mir klingeln bis jetzt die Ohren. Ich bin durchaus nicht auf den Mund gefallen, aber ich hatte fast keine Chance, einen vollständigen Satz zu sagen, ohne, dass ich unterbrochen wurde. Es war fast Mitternacht, als ich sie endlich vor die Tür bugsieren konnte. Und auch nur, weil ich dann meinen Freund zu Hilfe rief, bei mir vorbeizukommen (so blöd sich das jetzt anhört), weil sie schon Anstalten machte, bei mir auch noch zu übernachten. Neben dem permanenten Quasseln (sie verfällt mit ihren 43 Jahren dann auch noch oft in eine dieser unguten piepsigen Mädchenstimmen), war da auch noch soo viel Stumpfsinn dabei, wie zB die tolle Musik der 80er Jahre, besonders von Elvis. Sehr vieles davon habe ich bereits aktiv verdrängt. So den Sonntag-Vormittag auch noch zu beginnen (hab selbst recht viel um die Ohren gerade), hätte mich urlaubsreif gemacht.
Warum ich euch jetzt bitten möchte, sind eure verschiedenen Blickwinkel darauf. Sie hat durch die Blume Selbstmordgedanken geäußert, das macht es nicht leichter. Sie ist allerdings in Therapie, zumindest unregelmäßig. Gleichzeitig ist sie eine Dramaqueen, bei der alles - oft im selben Kommunikationsgang - rosarot und tiefschwarz zugleich ist. Ich habe ihr schon öfters freundschaftlich gesagt, dass ihre Art zu kommunizieren nicht das Gelbe vom Ei ist. Mein Freund sagte gestern, wenn er ihr Kunde wäre und sie hier auch so viel Stuss und ohne Punkt und Komma quasselt, würde er sie feuern. Sie hat bereits einige Kunden verloren (natürlich nur durch die Hinterlist anderer, die neidisch auf ihr großes Talent sind). Und sie hat mich vor allem gebeten, ob wir nicht alle nach einem Mann für sie Ausschau halten können (der sie mehr oder weniger retten soll). Das Problem ist nur, auch wenn sie eine sehr Hübsche ist, ich kenne keinen Mann, keinen Menschen, der das auf Dauer ertragen könnte.
Sie ist keine besonders enge Freundin, aber sie tut mir leid. Und sie hat nicht so viele Freunde, eher Bekannte, was nicht verwundern mag. Viele weichen ihr nach einiger Zeit eher aus - sie quasselt sich also selbst in die Einsamkeit. Selten sowas erlebt. Dass da psychisch einiges nicht ganz so rund läuft, ist mir klar. Aber das Hauptproblem scheint eine Art Kommunikations-ADHS zu sein. Sich nicht fokussieren zu können und empathielos in jener Hinsicht, dass sie überhaupt nicht merkt, dass ihre zusammenhanglosen Monologe für andere extrem anstrengend sind. Sie schwärmt von einem Freund von mir, der aber recht schnell das Weite sucht, weil er sie kaum erträgt. Sie meint, sie müsste nur länger mit ihm reden. Und sagte gestern beim Verabschieden, ich hätte unser Gespräch genau wie sie offenbar richtig genossen, weil ich so intelligent sei und dadurch ihre Intelligenz und die daraus erfolgenden guten Gespräche erst richtig wertschätzen kann.
Ich möchte sie nicht unbedingt hängen lassen, weil sie offenbar knapp an einer Depression herumschrammt. Aber so packt sie wohl kaum jemand länger, außer, er entwickelt eine Präferenz zu Valium. Kurz und gut: Wie würdet ihr euch verhalten? Was würdet ihr mir oder ihr raten? Tacheles reden auf die Gefahr hin, sie noch mehr runterzuziehen und zu verletzen? Aber vielleicht hilft es ihr ja bei der Selbstreflexion? Dezent Treffen eher ausweichen? Oder andere Verhaltensweisen, die ihr an den Tag legen würdet? Sie meinte, sie hätte sich schon die ganze Woche auf mich gefreut. Arrrgh.
Ich bitte euch also um euren Senf dazu, wie man sich in so einer Situation richtig verhalten kann!
THX Arnika
11.11.2018 12:11 •
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