Hi,
ich les hier schon ne Zeit im Forum und ich hab für mich selbst beschlossen auch mal was zu schreiben und zwar wird das jetzt ein bisschen so in die Richtung Outing. Ich befürchte ich bin Psychologe und zwar seit Jahren schon und auch wenn‘s hier mehr um Beziehungen geht, auch nicht nur hier sondern eigentlich in meinem gesamten Leben.
Vielleicht kurz was zu mir: ich bin 27 Jahre, m, wohne in Österreich. Ich bin nicht übergewichtig (nicht das das ein Problem wäre, wollt‘s nur anführen), hole gerade meinen Universitätsabschluss nach, habe meine eigene Eigentumswohnung und habe einen relativ angesehenen Finanzjob in einem internationalen Unternehmen, in dem ich für mein Alter und meinen Ausbildungsstandard fürstlich entlohnt werde.
Und ich belüge alle Menschen bei jeder Gelegenheit. Zufällig auf der Straße getroffene Freunde beim Weggehen, die Kassiererin beim Einkaufen, meinen Chef, meine Eltern, meine Freundin, Kommilitonen, Großeltern, ALLE. Das reicht von einfachen, ungezwungenen aber auch nutzlosen Lügen wie was hast du heute gegessen: „Fisch“ obwohl ich ein nur einen Döner hatte, über Stories, die bisschen heftiger waren.
Die Krasseste möchte ich hier anführen. Sie beschreibt eigentlich so gar nicht mich, weil‘s eigentlich die einzige wirklich undurchdachte, nicht kalkulierte in meinem Leben war. Über das Internet habe ich vor 4 Jahren meine mittlerweile Exfreundin kennengelernt. Mit Hilfe der Anonymität des www war eine Ergaunerung einer gefälschten Identität leicht. Verstorbene Eltern, italienische Abstammung, abgeschlossenes Jurastudium, das oder besser mein volles Programm. Jeder der heute ein Smartphone hat kann mit Photoshop und facebook eine Tarnung aufbauen, die ihres Gleichen sucht. Egal, auf jeden Fall war ich tatsächlich verliebt, ungelogen und habe von heute auf morgen meine Heimat, mein Studium, Freunde, Eltern, Bekannte verlassen und bin nach Deutschland ge-zogen. Und obwohl sie wohl den Verdacht schon damals hatte und ich den Verdacht, dass sie den Verdacht hatte, dass etwas nicht stimmt haben wir beide erstmal so weitergemacht. Auf Grund meiner immer größer werdenden Sucht nach Anerkennung konnte das Konstrukt nicht mehr aufrechterhalten werden. Es flogen die Fetzen, sie war psychisch labil und ich musste auf Druck von ihr, meiner Eltern und ihrer Eltern von dort abhauen.
So. Warum schreibe ich das hier alles. Erstens musste es weg. Zweitens wollte ich zeigen, dass es auch „Täter“ gibt, wenn auch zeitverzögert, denen das nahe geht. Ich weiß nicht warum gerade jetzt. Keine meiner derzeitigen „Lügenkonstrukte“ ist zusammengefallen, auch sonst keine wirklich einschneidenen persönlichen Erlebnisse. Irgendwie wird’s einfach nur von Tag zu Tag unerträglicher. Eigentlich könnte man meinen ich hab mich ganz gut erholt, ich leb wieder erfolgreich.
Aber ich konnte mich nie entschuldigen. Ich weiß nicht mal wie sehr ich sie verletzt habe. Ich weiß es auch nicht bei meinen Eltern. Meine Lügeneskapaden kannten sie ja schon vor meinem Abenteuer. Aber Blut ist halt dicker als Wasser.
Irgendwie habe ich bemerkt, dass etwas nicht passt, deshalb habe ich die letzten Wochen angefangen mich selbst zu beobachten. Mein erste Erkenntnis:
1.Lügen kann ich nur mit Schweigen unterbinden. Das damit resultierende „Leben“ ist unbeschreiblich. Unbeschreiblich langweilig, inhaltslos, aussagelos.
2.Meine eigenen Lügen haben mich in eine Lebensrichtung gezogen und mir eine Realität vorgegaukelt, die ich jetzt tatsächlich für mein Leben halte. Langsam bröckelt aber die Fasade, und was da darunter hervorkommt erschreckt mich zutiefst. Ich hasse mein Leben. Jetzt nicht im Sinne von ich will mich umbringen. Aber einfach alles. Ich hasse den Job den ich mache, weil ich ihn eigentlich total langweilig und bedeutungslos finde, aber in der Pseudologie-Realität war er das perfekte Mittel, um gute Geschichten darum aufzubauen (lange Meetings, wichtige Dienstreisen ins Ausland, der Mittelpunkt als Supermanager, etc.). Die Leute die ich meine Freunde nenne, kenne ich nicht und selbst wenn möchte ich sie nicht kennen. Viel das ich erreicht habe, habe ich für ein Leben erreicht, dass ich weder brauche noch führen möchte.
In diesem Sinne, wollte zeigen: es gibt auch die andere Seite.
15.07.2014 22:16 •
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