Hallo fetzenfisch,
Polyamory ist zwar ein (zunehmend) bekannter Begriff, anders als Monogamie aber nicht so klar definiert. Eigentlich könnte man sagen, es ist eher ein Sammelbegriff für verschiedene Nichtmonogame Lebensweisen. Der Begriff amory beinhaltet allerdings, dass es dabei um Beziehungen und nicht nur um rein se.uelle Freizügigkeit geht, wie es z. B. bei Partnerwechsler oder Menschen mit offenen Beziehungsmodellen der Fall ist. Äußerst anstrengend finde ich die immer wiederkehrenden Vermutungen und Unterstellungen, wer nicht monogam lebe, könne nicht richtig lieben, sich nicht richtig festlegen usw.. Ich bin ein sehr beziehungsorientierter Mensch und wenn meine Beziehungskompetenz und meine emotionale Intensität komplex genug sind für zwei Liebesbeziehungen zur gleichen Zeit (anstatt aufeinander folgend, wie bei Monogamen üblich), ist das eine Stärke und keine Schwäche.
Mein aktuelles Zwischenergebnis aus meiner jahrelangen praktischen und theoretischen Beschäftigung mit diesem Thema: es gibt keine allgemein für alle passende Lebensform. Es gibt keine funktionierenden Beziehungsmodelle - es gibt nur funktionierende Beziehungen. Das Geheimnis ist nicht das Etikett, das man drauf klebt, sondern wie man untereinander die gemeinsamen Spielregeln definiert. DIE müssen stimmen - und die müssen verhandelbar bleiben, um sie im Bedarf anpassen zu können. Und man muss darauf vertrauen können, dass der oder die andere sich an das hält, was man gemeinsam für- und miteinander besprochen hat. Ob diese Absprachen dann für zwei, drei, vier oder sonstwieviele Leute gelten, ist zweitrangig, man kann sogar innerhalb des Systems unterschiedliche Vereinbarungen treffen. Monogame wie nichtmonogame Beziehungen stehen und fallen eben mit den Kompetenzen der beteiligten Personen.
Entscheidend für nichtmonogame Lebensweisen ist es, der se.uellen Exklusivität ihren Stellenwert zu nehmen. In unserer Gesellschaft ist diese künstlich überhöht - tatsächlich stellen Menschen ihre jahrelange gemeinsame Beziehung, Wirtschaftsgemeinschaft, Kindererziehung etc. in Frage bzw. sind bereit, dies alles wegzuwerfen, nur weil der Mensch, mit dem sie all das teilen, auch mal mit jemand anderem Verstecken spielen wollte. Das ist selbstschädigend, wenn man mal nüchtern darauf guckt. Nichtmonogam zu leben bedeutet daher eben auch, den anderen Säulen der Beziehung mehr Gewicht und Bedeutung beizumessen als dem oftmals flüchtigen Begehren, das Monogame gern zur lebenslangen Hauptsäule ihrer Beziehung deklarieren (mit den bekannten problematischen Folgeerscheinungen). Der Vorteil dabei ist, dass ich meinem Partner nicht nur ermögliche, mit mir wirklich offen über seine Bedürfnisse zu kommunizieren, sondern ihm auch ermögliche, seine Lebenszeit dazu zu nutzen, möglichst viele seiner Bedürfnisse erfüllen zu können und nicht mir zuliebe auf wichtige Erlebnisse und Erfahrungen verzichten zu müssen - und umgekehrt natürlich auch.
Bisweilen werden polyamore Menschen als unmoralische, promiske Gefühlsegoisten wahrgenommen, die nur ein Deckmäntelchen für ihre Umtriebigkeit benötigen. Sicher gibt es solche Leute. Die gibt es überall. Sie als Anlass für moralische Skepsis an einer Vielfalt alternativer Lebensformen zu nehmen zeugt von Unkenntnis, aber auch von dem Unwillen, sich ernsthaft mit den von dir gestellten Fragen auseinanderzusetzen. Frei nach dem Motto: Ich hab mal im Fernsehen eine Doku über schlechte Handwerker gesehen, jetzt weiß ich, dass die alle nur Mist bauen.
Eifersucht ist und bleibt in allen Beziehungsformen ein Thema. Allerdings möchte ich sagen, dass monogame Menschen mehr dazu neigen, dem Partner aufgrund des Treueversprechens die Verantwortung für ihre eigenen Eifersuchtsgefühle aufzuzwingen. Sie sehen oft nicht, dass es in erster Linie ihre eigene Aufgabe ist, sich mit den Ursachen ihres geringen Selbstwertes und ihrer Verlustängste auseinanderzusetzen, weil sie sich einbilden, dass sie ihren Partner nur dann verlieren können, wenn dieser sich unmoralisch verhält. Dies ist ein sehr komplexes Thema mit immer neuen Herausforderungen. Aber es ist wichtig, sich diesen zu stellen, denn wie wir alle wissen, gibt es keine Garantie dafür, dass wir niemals in Konkurrenz mit anderen potentiellen Partner/innen unseres geliebten Menschen geraten - auch nicht in monogamen Beziehungen. Ich ersetze den Begriff der Treue für mich gern mit dem der Loyalität.
Ach ja, und wieso man monogam sein muss, um Kinder großzuziehen, ist mir ein Rätsel. Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, so ähnlich lautet ein afrikanisches Sprichwort. Mehr Miteinander, mehr Ressourcen finanzieller, zeitlicher und emotionaler Art, mehr Bezugspersonen, ich sehe da in erster Linie Vorteile für alle Beteiligten. Das gilt für jedes Lebensalter, denn auch einen gebrechlich gewordenen Partner kann man besser pflegen, wenn man mit dieser Aufgabe nicht allein ist.
11.02.2014 12:18 •
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