An Herder
Mein Freund, mein lieber guter Freund,
weißt Du noch um die Tage unserer Jugend?
Weißt Du noch wie du sagtest „Vergiss dein Ich, Dich selbst verliere nie“?
Vergessen hab´ ich mich und verloren Dich.
Wie mir es fehlt das Zusammensein, Beisammensein, das Schweigen, das Träumen;
träumen.
Ich liebe diese Wehmut, die mich im Alter doch so sehr ergreift.
In den letzten Tagen habe ich mich oft gefragt – schaffe ich es den Erinnerungen Farbe zu geben, sie noch einmal zu fühlen, zu schmecken, zu riechen, sie zu leben.
Gesprochene Worte verflechten sich im Sturm meiner Gedanken, blitzen auf und Verwehen, verstummen – bis sie nicht mehr greifbar sind.
Mein Freund, ich laber´ so viel Mist, zeichne längst vergangene Tage in den Sand, nur dass sie von den Wellen weggewischt, mir genommen werden. Dabei wollt´ ich Dir, Dir nur sagen – ich bin hier, bin hier im Wir, am Meer, sitze auf einer Mauer, schaue hinab, hinab auf meine vom Leben gezeichneten Füße, schaue aufs Meer, das mir das liebste ist.
Einmal glaube ich, das ist es, das will ich, hier fühle ich mich wohl, hier will ich sein.
Geborgenheit, das Auf und Ab der Wellen, diese Ruhe, diese innerliche Ruhe, die ich so sehr versuche zu genießen, zu halten, zu bewahren, auf die ich mein, unser Leben lang gewartet habe. Es ist so wunderbar, so wunderbar herrlich, schrecklich, sie zu haben und im selben Moment von ihrer Vergänglichkeit zu wissen. Ich schaue aufs Meer, bin glücklich, glücklich und benommen von seiner Weite – unendlich sein – ewig sein.
Einmal die Augen schließen und sehen, die Laute der Möwen, der Aale, der Algen, das Leben.
Einmal mein Freund mag ich Dich bei mir, bei mir, neben mir, neben mir auf dieser Mauer haben, dich umarmen können und träumen, träumen wie jung wir sind, und all´ das tun, wie es uns gerade in den Sinn kommt.
Mein Freund, mein lieber guter Freund,
weißt Du noch wie Du sagtest, dass das gesamte Leben aus Warten bestünde?
Du hattest Recht –
ich warte hier auf Dich.
(2009)