Liebe @Dharma1967, wie versprochen habe ich dein Thema gelesen und möchte nun aus meiner Erfahrung gerne darauf antworten, wobei ich zugeben muss, dass ich nicht alle Antworten der lieben Menschen hier gelesen habe. Wie gesagt, dies ist nur meine eigene Sicht.
Zu allererst kann ich dir sagen, dass ich diese Erfahrung mit einem Alk. Menschen selbst gemacht habe. Es geht hier um meinen Papa. Auch er war Quartalstrinker. Als Kind habe ich davon überhaupt nichts mitbekommen. Er war mein Heiliger, mein Superpapa. Später, als sich meine Mutter von ihm auch deswegen trennte (ich war 16 Jahre), blieb ich bei ihm. Ich konnte ihn nicht alleine lassen. Meine Mutter war weg, meine Schwester (damals 21) war mit ihrem Freund zusammengezogen und nun sollte ich auch noch weg, mit meiner Mutter leben und ihn alleine lassen? Ich habe es versucht. Einige Monate. Jedes zweite Wochenende war ich bei ihm. Er tat mir so leid. Ich fühlte mich für ihn verantwortlich. Er hatte doch nur noch mich. Also zog ich wieder zu ihm. Ab da bekam ich alles voll mit und wurde co-abhängig. Auch er war jemand, der nüchtern keiner Fliege etwas zu leide tun konnte. Betrunken jedoch war er ein anderer Mensch. Ich hatte ihn so manchens Mal nicht wiedererkannt. Auch meine Mutter berichtete später, dass er betrunken richtig fies war. Er hat sie niedergemacht und ihr wohl Dinge an den Kopf geworfen, die sie mir bis heute nicht sagen möchte.
Diese Situation habe ich drei Jahre lang ausgehalten. Ich hatte immer Entschuldigungen dafür. Zeitweise gab ich mir sogar selbst die Schuld daran. Und wehe, jemand hat schlecht über ihn geredet! Ich erinnere mich, dass ihn einmal mein Cousin (er ist Polizist und war zufällig gerade im Dienst) volltrunken nach Hause gebracht hatte. Sein Gesicht war blutig. Ich hatte nicht weiter nachgefragt was passiert war. Aber ich war unendlich wütend. Dennoch tat er mir leid. So klein und hilflos wollte ich meinen Superpapa einfach nicht sehen.
Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass ich nie selbst gegangen wäre. Mein Papa ist gegangen. Er ist verstorben als sich 19 war.
Ich weiß, dass es nicht einfach ist zu gehen und einen Schlussstrich zu ziehen. Man nimmt die Beschwörungen und Versprechen des Süchtigen ernst und glaubt fest daran, dass alles anders wird. Man hält also an diesem Menschen fest. Man liebt ihn ja und irgendwie ist man ja auch für diesen Menschen verantwortlich. Was soll er denn auch ohne einen tun? So ganz allein. Und dann sind da ja auch die tollen, nüchternen Momente. Man vergisst, dass es diesen Schatten gibt und alles ist vergeben. Bis es dann von Neuem beginnt....
Liebe Dharma, du hast mir in meinem damaligen Trennungsthema geschrieben, dass es wie ein Trauma für dich ist. Und das ist es auch. Die Frage nach dem Warum, Wieso, Weshalb hat auch mich aufgefressen. Ich konnte nicht aufhören mir diese Fragen zu stellen. Ich wusste, dass es darauf keine für mich (zu)friedenstellenden Antworten geben wird. Trotzdem kam ich aus dem Fragenstrudel nicht heraus. Ich habe so lange gelitten und kam mit dem Ende der Ehe überhaupt nicht zurecht. Ich hatte richtig schlimme Gedanken. Ich brauchte einen Ausweg aus diesem Gefühlschaos und dem Gedankenkarussell. Ich sah keinen.
Und doch bin ich nun raus. Ich habe losgelassen. Zumindest die Partnerschaft. Die Familie noch nicht ganz. Das wird wahrscheinlich auch immer so bleiben.
Ich kann dir eigentlich gar nicht wirklich etwas mit auf den Weg geben, dass dir jetzt gerade in diesem Moment hilft. Ich kann dir nur dazu raten, dir professionelle Hilfe zu holen. Ich bin zwar kein Fachmann, aber aus eigener Erfahren lese ich aus deinen Beiträgen eine starke Co-Abhängigkeit heraus. Die musst du unbedingt angehen! Du durch deine Erkrankung auch noch eine andere, viele größere Baustelle. Und hier ist es wichtig, dass du besonders auf dich Acht gibst und dich gut um dich kümmerst. Körper und Geist gehören ganz eng zusammen und wenn es dem einen nicht gut geht, dann dem anderen auch nicht.
Ich weiß, dass es schwierig ist, die Gedanken an den Menschen, den man liebt loszulassen. Es fühlt sich gar unmöglich an, dreht sich doch alles nur um ihn. Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Ich kann nur versuchen dir die Hoffnung darauf zu geben, dass es besser wird. Ich kann es dir sogar versprechen. Es wird allerdings seine Zeit brauchen (ich mag diesen Spruch nicht, aber es ist tatsächlich so). Bis dahin brauchst du viel Geduld, liebe Menschen um dich herum, die dich auffangen können. Und zögere nicht, diese Menschen auch in Anspruch zu nehmen. Die richtigen werden da sein. Auch das Forum ist für dich da. Hier gibt es viele tolle Menschen, die dir zuhören, die gute Ansätze haben und die einen auch mal dazu bringen, den Blickwinkel zu wechseln.
Ich drücke dich ganz fest
18.05.2022 09:52 •
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