Absolut! Ich habe es erlebt, aber es hat mich viel stärker beschäftigt und belastet als Dich. Ich bin von derselben Sorte.
Darf ich mich vorstellen? Sternzeichen Chamäleon. Eine Meisterin darin, sich in Jungs oder später Männer zu verlieben, die erkennbar wenig bis gar kein Interesse an mir hatten. Das konnte ich nicht akzeptieren und wurde zur Jägerin. Wollen wir doch mal sehen, ob ich den nicht doch bekomme? Meistens hatte ich damit keinen Erfolg und zog mich irgendwann zurück.
Kam aber einer des Wegs, der mich wollte, war ich weg. Die Jägerin wurde zur Gejagten und ich wurde zum Erdmännchen, das in seinem Loch verschwand, sich nicht mehr meldete, am Telefon kurz angebunden war, Treffen negierte. Ich konnte es einfach nicht aushalten! Und ich konnte nichts dafür, wusste zwar, wie unfair ich vorging, aber ich wusste nicht, warum.
Das ging über Jahre. Eine Beziehung aber blieb, überdauerte auch unstete Zeiten und wich nicht von meiner Seite. Die heiratete ich dann sogar. Ja, auch Bindungsvermeider heiraten. Sie bleiben aber tief im Inneren doch bei sich und sind mit dem Herzen nicht ganz dabei. Geht schon, kann man schon machen, mit gutem Willen und Freiraum war es zu bewältigen.
Tja, aber nach einigen Jahren dann kamen die großen Sehnsüchte nach dem Einen, der jetzt alles richten sollte. Ich will doch auch mal die Liebe erfahren. Die Ehe war schon ein wenig eingefahren und langweilig geworden und ich emotional unterversorgt mit eklatanten Mangelerscheinungen. Das sind der Nährboden für eine Affäre. Nicht dass ich das gezielt im Visier hatte, aber meine Antennen waren auf Empfang, ohne dass ich es merkte. Und dann kam er, dieser Besondere und ich war hin und weg.
Ich lernte ihn dienstlich kennen, aber wir hatten danach keine Überschneidungen mehr. Er lebte in einer anderen Stadt, aber was sind schon 150 km?
Er ging mir nicht aus dem Kopf und ich wurde wieder zur Jägerin. Fragte nach einem gemeinsamen Kaffee auf dem nächsten Kongress, aus dem ein Abendessen wurde. Ich war verliebt in ihn, noch mehr als vorher. Das meiste, was ich in ihm erkannte, waren meine eigenen Defizite. Kleines Ego, wenig Selbstbewusstsein und mangelndes Selbstwertgefühl, seelische Instabilität, aber große innere Sehnsüchte. Er war wie ich, aber wir lebten es unterschiedlich aus.
Ich überredete ihn fast zu einer Beziehung, die er nach einigem Nachdenken einging. Eine Beziehung mit einer verheirateten Frau konnte er gefahrloser eingehen, denn die würde ihn weniger einengen können.
Es war wunderbar, magisch, eine tolle Übereinstimmung, endlich hatte ich meinen Prinzen gefunden! Der würde mich und mein Leben endlich retten. Alles passte. Beruf, Alter, gemeinsame Interessen, ähnliche Einstellungen, Sx bis zum Abwinken. Ich war selig, aber irgendwann meldete sich mein Gewissen. Da war doch mein Mann, der immer zu mir hielt, das hatte er doch nicht verdient. Diese Lügen, diese erfundenen Dienstreisen, die nicht stattfanden, diese Ausreden! Oh Mann, was tat ich da?
Ich beichtete es und er? Mein EM wunderte sich nicht, denn auch ihm war der Zustand unserer Ehe bewusst, aber wie ich fand ich keinen Schalter. Auch er war unvermögend. Er akzeptierte, dass ich immer wieder zum Anderen fuhr und lebte mit der Ungewissheit. Stärke oder Schwäche? Das ist eine Frage der Sichtweise.
Nie hörte ich einen Vorwurf, eine Klage, nie wurde mir ein Ultimatum gestellt. Da wäre ich weg gewesen, das wusste er.
Tja,ich hatte eine Art Freifahrschein, war aber immerhin ehrlich gewesen. Wohin das führen sollte, wusste ich nicht. Da war der EM mit seinen Qualitäten, da der Andere, der mich triggerte, Ich war zerrissen und orientierungslos.
Wäre ich schlauer gewesen, wäre mir klar geworden, dass ich mich in eine Schutzhaltung begab. Die Ehe einfach so aufgeben, da hingen Jahre dran, die ja auch schön gewesen waren! Aber ich war wie ein Pendel und konnte weder Ja noch Nein sagen. Das Jein ist typisch für Bindungsvermeider.
Und der AM? Ha, der entpuppte sich als ein Bndungsvermeider hard core! Denn er behielt die Oberhand, immer und er bestimmte über Nähe und Distanz. Ich war wie auf Dro. und er war mein Dealer und bestimmte, ob ich den Stoff (seine Zuneigung und Zuwendung) bekam und wieviel davon.
Ich rannte und rannte gefühlt Bahn um Bahn und ein Ziel war nicht in Sicht, denn kaum war es erreicht, entfernte es sich wieder!
Ich war in der unterlegenen Rolle und wurde zunehmend passiver, re-agierte nur noch und wurde von meinen Verlustängsten dominiert. Ich war nicht so abgeklärt wie Du.
Ich wusste, dass es mir schadete, aber alles nur keine Trennung! Denn irgend wann, da würde er vielleicht doch ... und ich würde endlich glücklich sein.
Das alles wurde auf beiden Seiten optimiert. Er tat was er wollte, entschied über seine Planungen und hielt mich außen vor. Ich wurde allenfalls informiert, oft nicht mal das.
Und ich litt unter Zurückweisung, Distanzverhalten und bindungsvermeidenden Manövern, die er wie ein Kaninchen aus dem Hut zauberte. Ich war die Blöde, die alles akzeptierte, alles hin nahm. Alles, nur keine Trennung war meine Devise.
Ich war unglücklich und ängstlich, traute mir immer weniger zu, denn mein ohnehin nicht stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl wurde allmählich immer mehr demontiert von einem, der mit mir machen konnte was er wollte. Ich ging nicht. Punkt.
Ich würde niemals aufgeben, ihn nicht, aber meine Ehe auch nicht. Eine Entscheidung, die längst auf der Hand lag, wurde verdrängt, verschoben. Ich machte die Augen zu und wollte nicht sehen, was ich sah.
Die Lösung kam dann doch, denn die kommt immer. Der AM verlor die Lust an seinen Machtspielchen und hatte das Interesse an der anhänglichen, bereitwilligen Partnerin verloren. Wer sich alles bieten lässt, wird langweilig und reizlos und da gab es ja auch andere Frauen, die womöglich für ihn in Frage kommen könnten.
Er verabschiedete sich. Per Mail und ich heulte wie ein Hund. Zu einem persönlichen Treffen hat es nicht gereicht, nein, er schickte die Mail nachts um halb eins, weil es JETZT sein musste. Es täte ihm ja so unsagbar leid, dass er ausgerechnet mir, die er so schätzte (Blablabla!) weh tun musste, aber alles in ihm schreit nein, nein, ich will nicht!
Ich verstand ihn sogar, ich konnte es nachvollziehen, aber weh tat es doch.
Dann noch ein paar Monate Freundschaftsschiene per Mail und ab und zu per Telefon, die mir auch nur weh tat, ehe er ein halbes Jahr später eine Neue hatte. Er schrieb so eine verschwurbelte Mail, die ich sofort richtig interpretierte. Bindungsvermeider verstehen einander. Ab da war ich dann abgemeldet.
Nach der Trauer, Sehnsuchtsanfällen und nassen Taschentüchern kam die Wut. Auf ihn, aber auch auf mich! War ich blöd gewesen? Ja,, ich war verblendet von seinen angeblichen Qualitäten und hoffte auf das Unmögliche. Dann würde ich schon wissen, wie es weiter gehen würde oder könnte. Ich war fast immer die Unterlegene, die unklare Antworten auf brennende Fragen erhielt, die meine Ratlosigkeit noch verstärkten. Ganz beliebt, die Gegenfrage. Du fragst, kriegst aber keine Antwort und erntest eine Gegenfrage. Im Zweifelsfall war ich schuld, denn ich war nicht zufrieden mit dem, was er mir zuteilte und wertete dadurch unsere Beziehung ab. Dabei war es ein Hilferuf von mir, der nicht gehört wurde.
Er war physich da, aber mental absent. Ich war austauschbar, das fühlte ich. Ob da jetzt eine Sandra oder eine Franziska neben ihm he rtrotteten und sich nach Aufmerksamkeit und Akzeptanz sehnten, war ohne Belang. Denn er blieb innerlich kalt, nur in der Anfangsphase gab er Gas und zwar heftig. Love bombing nennt man das. Sie ziehen alle Register, stellen Gemeinsamkeiten her, sind die einfühlsamsten Gesprächspartner, die großen Versteher, die liebevollsten Menschen, solange alles im Unverbindlichen bleibt. Sie tun das alles, weil sie selbst hoffen und vielleicht sogar glauben, dieses Mal wird es halten, dieses Mal ist es anders! Es ist aber nicht anders, es ist nur eine Wiederholung altbekannter Muster und Verhaltensweisen.
Wenn es ernst wird, kommt der Selbstschutz. Ist der Partner nicht selbst souverän, sondern bedürftig, kommt das Leiden und die Beziehung wird zu einer Belastung, die man als solche nicht wahrnimmt und nicht erkennt.
Nach der Wut kam so was wie Akzeptanz. Vorher aber noch seine Abwertung, denn er war es doch nicht wert gewesen! Er war doch eh nie so toll und Beziehungen kann er sowieso nie halten. Ich wünschte ihm eine Querschnittlähmung oder noch besser den Tod. Exkurs: er ist nicht gelähmt und lebt immer noch!
So richtig los kam ich nicht, denn ich dachte immer noch zu viel an ihn und hinterfragte mich. Was hatte mich getrieben? Klare Antwort, ich war meinen inneren Sehnsüchten gefolgt. Warum ließ ich mich schlecht behandeln von einem, der kein Selbstbild hatte und auch nur wie ein Segel im Wind hin und her schwankte? Weil ich genauso war und auch nicht wusste, was ich wollte. Vor allem wollte ich keine Konsequenzen ziehen und hatte keinen Mut, für mich einzustehen. Das ist ein großer Unterschied zu Dir.
Ich ging zum Therapeuten, holte mir Rat und kam bei mir an. Irgendwann. Mit der Zeit klärte sich vieles. Warum ich mich so verhielt, waren aus der Kindheit übernommene Muster, die mich zwar quälten, aber die ich nicht ablegen konnte, weil ich sie nicht verstand. Jetzt sah ich klarer. Warum war mein Selbstwertgefühl so unterentwickelt, warum konnte ich keine klaren Entscheidungen für mich treffen, warum nicht mich in den Mittelpunkt meines Seins stellen? Ich sorgte schlecht für mich, weil ich es nicht gelernt hatte, das man das darf, ja sogar muss.
Ja, ich bin auch eine von der Sorte der Bindungsvermeider. Der AM der aktive Part und ich der passive.
Wie geht es mir heute? Es ist jetzt Jahre her. Der AM ist ohne Belang, interessiert mich nicht mehr (er sich auch nicht für mich). Wenn wir uns ab und an über den Weg laufen, grüßen wir uns knapp und gehen weiter. Keiner wünscht sich einen näheren Austausch. Ich glaube, es hat mit Scham zu tun. Er lernte Seiten von mir kennen, die mir selbst verborgen waren und ich lernte seine defizitären Verhaltensweisen kennen, die auf Egoismus und Egozentrik beruhen. Wir haben uns trotz des Ungleichgewichts nichts geschenkt, auch ich habe ihn verbal abgewertet, was nicht fair war, aber letztlich aus Selbstschutz geschah.
Wer war Schuld? Keiner, denn es war ein Zweipersonenstück, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war und bei dem jeder zum Scheitern beitrug. Oder beide, zu gleichen Teilen.
Ich baute mein Selbstgefühl auf, lernte, dass mein Wohlergehen nicht von einem Mann allein abhing, lernte, dass ich auch gut genug war. Ich lernte für mich zu sorgen.
Ich übernahm eine neue Position im Beruf, die mir zwar nicht mehr Geld einbrachte, aber an der ich wuchs. Ich war doch gar nicht so schlecht, wie ich immer gedacht hatte! Ich war mir aber immer im Weg gestanden. Alle Anderen sind besser als ich! Das stimmte nicht. Ich erntete Anerkennung, die ich erst nicht annehmen konnte. Ich doch nicht! Aber ja, ich hatte mich tapfer geschlagen! Mein Selbstbewusstsein wuchs, ich hatte mehr Mut und traute mir mehr zu.
Und ich lernte Ja zu sagen. Zu mir selbst, was mir erst spät gelang. Und zu meinem Mann, dem tapferen Dulder, der wohl mehr von mir wusste als ich. Er wusste, ich würde meine Zeit brauchen aber letztendlich zurück kommen und auch zurück finden.
Es dauerte natürlich seine Zeit, aber heute ist es richtig gut. Wir verstehen einander, wir können miteinander und jeder kann sein wie er ist. Er ordentlich, ich ein Schlamper. Er gewissenhaft, ich oft unsorgfältig und flüchtig. Er trifft schlecht Entscheidungen, da er alles abwägt und ich entscheide mich schnell. In meiner Affäre nicht, da war ich entscheidungsunfähig, aber im Alltag weiß ich was ich will. War es verkehrt, na und? Egal, es geht weiter. Er ist freundlicher als ich , alle Nachbarn mögen ihn, vor allem Frauen jeglichen Alters, weil er so nett ist und zugewandt. Ich bin herber und viel weniger diplomatisch. Aber auch entschiedener.
Was ich nicht gut kann, kann er und was er nicht gut kann, das kann ich. Wir sind ein gutes Team und wir sind zusammen gewachsen. Und ich kann über ihn lachen, bis mir der Bauch weh tut. Er kann so gut andere Menschen nachmachen. Und er ist klug und weitsichtig, aber oft auch zaudernd und zweifelnd.
Wenn man ihn braucht, ist er zur Stelle. Was für ein Unterschied zum AM!
Es war eine lange Reise mit vielen Irrungen und Wirrungen, aber ich fühle es ganz deutlich. Ich bin endlich angekommen, bei mir selbst und in meinem Leben und in meiner Ehe. Dafür bin ich unendlich dankbar. Aber es war auch eine harte Schule.Für alle, für mich, für den AM und für meinen EM, aber es hat sich doch gelohnt.
Aufgrund meiner Erfahrungen und Rückblicke möchte ich Dir wirklich gratulieren. Du hast eine starken Auftritt hingelegt. Integer, sauber, klarsichtig.
Falls Dich das Thema Bindungsängste interessiert, hier noch ein Buchtitel: Jein. Bindungsängste erkennen und bewältigen von Stefanie Stahl. Die brachte mich auf den Trichter, dass ich auch eine von der Sorte bin und die zeigte endlich auf, welche Mechanismen und Wechselwirkungen in solchen Beziehungen stattfinden und abgespult werden.
Nichts im Leben ist umsonst und an Krisen kann man wachsen, auch wenn sie keiner mag.
18.02.2020 17:49 •
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