Guten Morgen lieber Leser,
mich interessieren eure Meinung und eure Gedanken zu folgender Geschichte:
Ich (männlich, 27) habe vor etwas anderthalb Monaten einen Jungen (25) im Internet kennengelernt. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und haben viel geschrieben. Ein Wechsel hin zu WhatsApp ließ auch nicht allzu lange auf sich warten; wir haben auch dort erst viel geschrieben und dann fast ausschließlich Sprachnachrichten ausgetauscht. Irgendwann haben wir uns dann auch live und in Farbe gesehen. Das Treffen war superschön und wir blieben danach weiterhin in regem Austausch. Es gab nach dem ersten Treffen keine Abflachung im Kontakt, er wurde im Gegenteil noch intensiver.
Auch während und nach einem zweiten Treffen etwa zwei Wochen später war alles wunderbar. Das Treffen haben wir relativ kurzfristig organisiert, weil wir beide zu diesem Zeitpunkt eher wenig Zeit hatten. Nach dem Treffen fuhr er aufs Deichbrand. Er sagte während der Planung des Treffens, dass es ihm wichtig ist, mich vorher noch einmal zu sehen. Da sowohl er als auch ich am nächsten Tag allerdings wichtige Termine hatten, konnte ich nicht bei ihm übernachten. Er hat mich dann mitten in der Nacht noch nach Hause gefahren, das war irgendwas um 2 Uhr morgens. Auch nach diesem Treffen veränderte sich der Kontakt nicht zum Negativen, wir blieben weiterhin in intensiven Austausch.
Dann fuhr er aufs Deichbrand. Sein Smartphone nahm er nicht mit aus Angst, es könnte auf dem Festival irgendwie Schaden nehmen. Allerdings nahm er für Notfälle ein altes Nokia mit und meinte, dass er sich von Zeit und Zeit bei mir melden würde. Aus einem „von Zeit zu Zeit“ wurde allerdings ein „mehrmals täglich“. Er schrieb mir, welche Bands er grade gesehen hatte, welche Bands noch folgen würden, was er und seine Freunde auf dem Festival so treiben. Und er meinte, dass er mich vermisst, fast jeder Nachricht war ein Kuss-Smiley angehangen. Letzten Montag war er dann wieder zu Hause. Ich befand mich während des Deichbrands in Berlin und den besagten Montag noch in Hannover zum Arbeiten. Abends bin ich dann allerdings zurückgefahren nach Wildeshausen (meine Heimat). Kaum war er wieder zu Hause, bekam ich auch schon wieder die erst 4-Minuten-Sprachnachricht und er fragte direkt, wann wir uns denn wiedersehen. Gingen die ersten beiden Treffen sowohl von ihm als auch mir aus, war beim dritten eindeutig er der Initiator, er wollte mich sehen. Ich habe mich darüber natürlich riesig gefreut, wir haben uns dann auf den vergangenen Dienstag geeinigt.
Ich fuhr Dienstagabend zu ihm und wir haben wieder ein schönes Treffen gehabt. Ich blieb über Nacht, alles war schön, er war nur vom Festival etwas erschöpft und müde, so dass wir früh schlafen gingen. Dann kam der nächste Morgen… Auf einmal war alles anders: Er wirkte abwesend und mir gegenüber abweisend, hat auf Annäherungsversuche meinerseits nicht mehr reagiert, war nur kurz angebunden, schwieg die meiste Zeit und wirkte angespannt und nervös. Mir ist das alles zwar aufgefallen und ich war verwirrt, habe daraus aber erst mal kein großes Drama kreiert. Ich dachte, er hätte einfach schlecht geschlafen (hat er an diesem Morgen auf mein Nachfragen hin auch bestätigt) und grad keine Lust auf Nähe. Für mich war das in Ordnung und ich habe ihn dahingehend dann auch in Ruhe gelassen. Wir verabschiedeten uns, er musste zur Uni, ich fuhr mit dem Zug nach Hause zurück.
Den Tag über habe ich dann nicht so viel von ihm gehört. Er hatte erst lange Uni (die wohl auch sehr anstrengend war, das schrieb er mir noch) und musste im Anschluss bis 22 Uhr arbeiten. Ich war mir seines Verhaltens morgens wie beschrieben nicht sicher und habe nachgefragt, was los war, ob ich etwas falsch gemacht hätte. Seine Nachricht dann hat mich schockiert. Sinngemäß schrieb er, dass es für ihn doch nicht passt, er gemerkt habe, dass ich Gefühle für ihn entwickelt habe, die er nicht erwidern kann. Im dann folgenden Austausch sagte er noch, dass er überfordert sei, alles ging so schnell. Er sei selber vollkommen überrascht, dass er auf einmal so empfindet bzw. nicht mehr so empfindet, wie vorher. Er hofft aber sehr, dass wir uns in Zukunft noch mal über den Weg laufen, andernfalls würde ihn das sehr traurig machen. Und das war’s dann.
Ich bin schockiert über dieses plötzliche Ende und weiß überhaupt nicht, wie ich damit umgehen und es einordnen soll. Und mich quälen Gefühle von Schuld und Minderwertigkeit. Ich verstehe nicht, warum er ohne irgendein Zeichen zuvor plötzlich über Nacht so einen Sinnes- und Gefühlswandel durchlebt hat; es hat sich nichts angebahnt, er war nicht schon länger so, sondern wirklich von einem Moment auf den anderen. Wie kann es sein, dass alles wunderbar und schön ist, nur ein paar Stunden später aber alles aus?
Unser Umgang miteinander war sehr vertraut und wir haben quasi schon unsere Leben bzw. unseren Alltag miteinander geteilt. Ich war immer mit dabei, wenn auch nur via Handy. Das ging von ihm in gleichem Maße aus wie von mir, ich habe unseren Austausch als sehr harmonisch und ausgeglichen empfunden. Es war nicht so, dass der eine mehr gegeben hat und der andere weniger oder dass einer von uns den anderen unter Druck gesetzt hat. Ja, ich habe sogar noch gesagt, dass ich mich freue, wenn ich während des Deichbrands etwas von ihm höre, dass das aber keine Pflicht ist und er das Festival genießen soll. Ich habe ihm immer seine Freiheit gewährt und seinen Freiraum gelassen, habe mich nie aufgedrängt oder etwas verlangt. Ja, ich habe auch nie das Thema Beziehung angesprochen, einfach, weil ich ihn damit nicht unter Druck setzen, sondern abwarten wollte, wie es sich entwickelt. Er hat sein Leben gelebt und ich meins, und wir haben unser beider Leben miteinander geteilt. Wie gesagt auf eine harmonische und ausgeglichene Art und Weise, alles fühlte sich leicht und vertraut an.
Mich verwirrt in diesem Zusammenhang seine Aussage, dass er überfordert ist und es ihm zu schnell ging. Er hat die ganzen anderthalb Monate nie den Eindruck gemacht, als sei es ihm zu viel, und wenn er mir das mitgeteilt hätte, hätte ich ihn auch sofort in Ruhe gelassen. Aber ich wusste von nichts und habe auch nichts gesehen; er hat nie etwas gesagt. Wobei er das wahrscheinlich auch gar nicht musste, weil es während dieser anderthalb Monate niemals einen Moment der Überforderung gab. Ich habe nur auf das reagiert, was zurückkam, habe das Maß zurückgegeben, was ich bekommen habe. Hätte ich gemerkt, dass er einen Gang zurückgeschaltet hat oder gerne zurückschalten würde, hätte ich das ebenso getan. Aber ich wusste einfach von nichts und fühle mich jetzt irgendwo schuldig, dass ich so weitergemacht und ihn damit scheinbar überfordert habe…
Er sprach zudem davon, dass er die „Notbremse“ gezogen hat und sein Unterbewusstsein auf einmal dichtgemacht hätte, und das wie gesagt auch für ihn vollkommen unverständlich und plötzlich. Auch das passt meinem Gefühl nach nicht zu unserem Verlauf die Wochen zuvor. Ich mein, wie überfordert und angespannt muss er dann zuvor gewesen, dass er dann die Notbremse ziehen muss? Von 100 auf 0, wie stark muss da der Drang gewesen sein, die Sache zu beenden? Und wie lange existierte dieser Drang schon? Kann man so was so gut verstecken? Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, denn alles, was wir bis dato gemeinsam erlebt haben, wirkte echt und authentisch. Sein Interesse an mir, dass er mich vermisst, der intensive Kontakt, seine lieben Worte… ich meine, wenn jemand schon innerlich weiß, dass es nicht mehr geht, dann zeigt sich das doch auch, oder? Schreibt man dann tatsächlich noch wenige Tage zuvor „ich vermisse dich“, obwohl man weiß, dass dem nicht so ist? Schlägt man dann ein Treffen vor, obwohl man weiß, dass man das eigentlich gar nicht mehr möchte? Vorgespielt hat er mir nichts, dafür war das alles einfach zu echt und das passt auch einfach nicht zum ihm als Mensch und Person, so tickt er nicht. Das passt doch alles nicht zusammen…
Und zum Schluss weiß ich nichts mit seiner Aussage anzufangen, dass er hofft, wir laufen uns in der Zukunft nochmals über den Weg, andernfalls sei er sehr traurig… Das klingt in meinen Ohren so, als habe er schon Gefühle für mich, die über ein „normales Mögen“ hinausgehen. Ich kann mir sonst auch einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch so viel in einen anderen investiert und ihn derart an seinem Leben teilhaben lässt, wenn da nicht Gefühle von Liebe oder Verliebtsein sind. Und grade, dass dieser Austausch auch nach dem zweiten Treffen anhielt, sprich noch mehr dafür (meinem Empfinden nach), dass da mehr ist. Wenn nicht gleich nach einem ersten Treffen, so ist doch nach einem zweiten klar, was geht und was nicht, würde ich behaupten. Und in unserem Fall war es nach dem zweiten Treffen alles wunderbar... auf meine direkte Frage hin, ob er denn Gefühle für mich habe, wusste er keine Antwort. Zwar meinte er ja zuvor noch, dass es für ihn nicht passt, gleichzeitig konnte er mir aber auch nicht sagen, was er nun für mich fühlt. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass wenn jemand wirklich keine Gefühle für einen anderen hat, dann kann er das doch auch so kommunizieren, oder nicht? Es ist wohl manchmal so, dass man nicht genau sagen kann, was man fühlt – aber dass man NICHTS fühlt und keine Basis für mehr da ist, dass kann man doch im Normalfall immer eindeutig sagen, oder was meint ihr?
Mir kommt es so vor (das ist aber reine Spekulation), als wenn er Angst bekomme hat. Er hat alles genossen und voll gelebt, und auch er wird gespürt haben, in welche Richtung sich unser Verhältnis entwickelt. Mir erscheint es einfach unlogisch, dass er beim dritten Treffen dann urplötzlich über Nacht feststellt, dass er doch nichts von mir will und dass es doch nicht passt. Vielmehr kommt es mir so vor, als wenn er wie gesagt Angst bekommen hat vor den Konsequenzen, vielleicht davor, sich zu binden oder nicht in der Lage zu sein, „angemessen“ zu lieben. Vielleicht hatte er Angst, dass er mir nicht reicht, dass seine Art der Liebe nicht „gut genug“ ist, vielleicht konnte er sich mir gegenüber auf einmal nicht mehr öffnen, weil er selbst Angst vor dem hat, was da in ihm ist. Vielleicht hat er Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht, die ihn derart hemmen. Seine am Ende verschlossene Art und Weise wirkte nicht wie Desinteresse, sondern wie weiter oben beschrieben eher angespannt und blockiert, gehemmt. Als wenn da etwas war, das raus wollte aber nicht durfte, das eingesperrt blieb. Dazu passt auch, dass er eher schüchtern und zurückhaltend ist im direktem Umgang miteinander, via Schreiben und Sprachnachrichten fiel es ihm augenscheinlich leichter, sich zu öffnen.
Ich bin immer noch geschockt und verwirrt und weiß nicht wirklich, wie ich weitermachen soll. Ich spüre einen Drang, mich noch einmal bei ihm zu melden, um die Fragen, die sich nach dem ersten Schock ergeben haben, zu klären. Aber ich denke, es ist besser, damit noch ein bisschen zu warten, ich möchte ihn nicht (wieder) überfordern und für mich ist es wohl auch erst mal besser, auf Abstand zu bleiben.
Heute Morgen quält mich besonders eine Frage: Wie viel war dieser intensive Austausch zuvor eigentlich wert? Das war natürlich nicht meine erste Geschichte mit einem Jungen, und bisher habe ich es immer so erlebt, dass der virtuelle Kontakt anfangs sehr aufregend und intensiv war. Dann kam das erste Treffen und da zeigte sich danach zeigte sich bisher jedes Mal, dass der virtuelle Kontakt abbrach, wenn es für eine Seite nicht passte. Damit konnte ich immer problemlos umgehen, das war dann einfach ein Kennenlernen auf virtueller Ebene, nicht mehr und nicht weniger. Mit meinem aktuellen Fall war es dann tatsächlich das erste Mal, dass der virtuelle Kontakt nach dem ersten Treffen anhielt und sogar noch intensiver wurde. Und wie beschrieben wurde er nach dem zweiten Treffen noch schöner, es gab also keinen Bruch. Glaubt ihr, dass ein Mensch so intensiven Kontakt weiterhin pflegen würde, nachdem er den Menschen dahinter mehrmals gesehen und erlebt hat und er sich mit diesem absolut nichts vorstellen kann? Und das bis zum Abend, an dem ihm dann schlagartig auffällt, es geht doch nicht?
Mich würde interessieren, was dir, lieber Leser, bei dieser Geschichte einfällt und wie du meine Fragen beantworten würdest. Ich freue mich über eine Antwort und sage an dieser Stelle schon einmal: Vielen lieben Dank!
Liebe Grüße,
Kevin
01.08.2016 07:43 •
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