Liebe Alles_auf_O,
Dein Beitrag hat mich berührt, weil mir so viel bekannt vorkam. Und weil ich ein Jahr weiter bin als Du - meine Trennung war Januar vor einem Jahr. Deswegen möchte ich Dir schreiben und Dir auch Mut machen. Du klingst traurig und dennoch sortiert, nicht blindwütig oder so. Ich glaube, allein das ist eine wichtige Basis.
Bitte sei milde mit Dir. Es ist normal, dass Du neben Dir stehst. Entscheidungen würde ich auf keinen Fall jetzt treffen. Einen Monat in Deiner Heimat verbringen, klingt super. Aber dass Du weder Dich noch Deine Tochter aus der aktuellen Wohnsituation rausreißen willst, ist aus meiner Sicht richtig. Auch wenn Du das Gefühl hast, dort nicht heimisch zu sein. Aber jede Veränderung erfordert Kraft. Wenn Dich die Vorfreude in Deine alte Heimat treibt: prima. Wenn es nur ein weg von dem jetzigen wäre: vielleicht erst mal durchschnaufen.
Zitat von Alles_auf_0: Nur sitze ich bei der Therapeutin, nicht er. Ich reflektiere, er nicht.
Ja, und Du wirst davon profitieren. Meine Krise war vernichtend und meine Hausärztin habe ich erst nach fünf Monaten aufgesucht, weil ich mir doof vorkam. Es war das Beste, was ich tun konnte (sie war eine solche Unterstützung). Ich habe eine Therapeutin gefunden. All das bewerte ich heute absolut positiv. Ich habe viel gelernt in dieser schlimmen Zeit.
Mein Ex hat das nicht gemacht und er tut mir heute ein bisschen leid. Er nimmt seine Muster in jede neue Beziehung mit. Natürlich fühlt es sich ungerecht an. Aber aus meiner Sicht: Ich bin nicht froh über 2,5 Jahre Betrug und Trennung. Aber ich hatte im letzten halben Jahr mehr Freude und mehr Freunde/sozialen Halt als in den letzten fünf Beziehungsjahren.
Zitat von Alles_auf_0: Seine Mutter, die mir im Chat Herzchen und Smileys schickt, hat nach dem Auffliegen der Affäre zu mir gesagt
Wenn Du es schaffst, versuch es zu ignorieren. Es ist letztlich von seiner Mutter, aber dieses Blut ist dicker als Wasser stimmt, und man will das eigene Kind glücklich sehen. Die Eltern Deines Mannes werden vermutlich wissen, wie verkehrt ihre Reaktion ist, aber ich schätze, sie werden nicht anders können .....
Such Dir Dein eigenes Team, das wäre meine Empfehlung. Ich weiß nicht, welchen Kontakt Du zu Deinen Eltern hast oder zu Freunden. Die werden vermutlich Team Alles_auf_0 sein. Wenn du es schaffst, werde aktiv. Oder such Dir Unterstützung bei Ärzten und Therapeuten, wenn Du wie ich damals das Gefühl hast, dass Deine Freunde eben ihr Leben weiterleben, auch wenn sie Mitgefühl haben.
Zitat von Alles_auf_0: Habt ihr das Gefühl, dass ihr an der Situation tatsächlich gewachsen seid oder dass ihr immer wieder zerbrecht?
Ich hab lange gedacht, ich zerbreche daran. Heute denke ich: Ich bin derart gewachsen an der Situation. Es kommt mir rückblickend vieles seltsam vor, auch an mir - wie geduldig ich diese lange Ignoranz von seiner Seite aus in Kauf genommen habe dafür, meine Ruhe zu haben, mein Zuhause, meine Familie.
Es geht nicht von allein und am Anfang habe ich gedacht, ich kann das nicht. Aber irgendwann eben doch. Das war der Anfang der Besserung: Selbstwirksamkeit, Sachen entscheiden. Die Kontrolle über das eigene Leben zurückholen.
Und zu Beginn und bis heute wichtig: Tagebuch schreiben. Von Hand. Einfach rausschreiben. Und laufen gehen - Gedanken rauslaufen, stumpf, Podcast auf den Ohr, wenn ich keine Lust hatte.
Zitat von Alles_auf_0: Karma is a b*tch, das wird alles zurückkommen. Aber 1. glaube ich es nicht, und 2. was habe ich davon.
Ich musste lachen, als ich las, was Du dazu schreibst, weil mir das exakt so ging. SO viele Leute haben gesagt: Warte ab, der bereut das. Ihr wart so toll. Oder: Warte ab, dem wird es schlechtgehen. Aber genau das: Was hab ich davon? Wie sein Leben weitergeht, ist irrelevant für meins. Es war schlimm, das zu akzeptieren, weil wir so lange ein Paar waren. Aber auch hilfreich.
Zitat von Alles_auf_0: Es macht mich alles so traurig, unsere Familie ist kaputt, das Nest für meine Tochter zerstört und ich kann überhaupt keine glückliche Zukunft sehen.
Ja, das ist bis heute manchmal meine Wehmut - die Familie, die bei uns 25 Jahre existierte. Aber: die glückliche Zukunft, die kann/wird es geben, auch wenn Du sie heute nicht siehst. Deine Tochter ist noch klein, hier gibt es andere Menschen, die diese Erfahrung kleiner Kinder teilen. (Meine Kinder waren erwachsen bei der Trennung und wohnten nicht mehr zuhause.)
Zitat von Alles_auf_0: warum habe ich das alles nicht kommen sehen bzw. wieso habe ich dieses ungute Gefühl so lange laufen lassen
Auch das ging mir exakt so. Und war einer der größten Gründe für meine Wut, als ich kapiert hatte, dass mein Bauchgefühl absolut gut funktioniert hatte. Und mein Ex mich nicht nur 2,5 Jahre betrogen hat, sondern mir bis zum Schluss versichert hat: Was hast Du denn? Ist doch alles ok. War mir eine große Lehre, mir vielleicht selbst öfter mal zu vertrauen.
Letztlich ist diese Fehleinschätzung ein Zeichen Deines Vertrauens. Und das ist nicht verkehrt, nur weil der Typ, dem Du vertraut hast, Dich betrogen hat. Es ist ok, zu vertrauen. Sei Dir deswegen nicht böse, nimm Dich in den Arm und sei lieber wütend auf den Typen, der Dich betrogen hat.
Zitat von Alles_auf_0: Was sind die Fragen oder Antworten, die euch weitergebracht haben?
Ich finde das nicht so einfach, weil es ein Prozess ist. Und Schwankungen. Aus kompletter Verzweiflung wurde Wut, dann sowas wie Trotz (Ich will ein schönes Leben, Du machst mich nicht kaputt, zwar aus Trotz, aber ok). Weitergebracht hat mich zu erkennen, wie lange und wie massiv diese Schwankungen sein können. Es geht Dir besser, zack, nochmal runter, aber eben auch wieder hoch.
Weitergebracht hat mich das Buch Trennt Euch von Thomas Meyer (hier mehrfach zitiert von mir). Und dieses Forum, besonders dieser Faden. Tolle Leute, Ihr alle Und die Akzeptanz, dass die Trennung endgültig ist.
Weitergebracht haben mich neue Leute, obwohl ich dachte, ich bin introvertiert und mir sind Menschen zu viel. Der alte Freundeskreis war ein Paar-Freundeskreis. Im Prinzip Deine Situation, obwohl ich hier gern lebe. Aber eben keine Kontakte für wandern und radfahren. Das kam dann über die hier auch oft empfohlene App Spontacts (zu der ich mich gezwungen habe, Tipp von Rheinländer - absolut empfehlenswert!
Weitergebracht hat mich, dass ich mich dazu gezwungen habe, zwei Mal pro Woche Laufen zu gehen, egal wie langsam, egal wie lang. Das war wirklich wichtig. Und das Tagebuch. Und die Therapie.
Aber einen Riesenanteil hatte das Gefühl, finanziell schlechter dazustehen, aber nicht am Ende zu sein (Geld ist mir nicht besonders wichtig, finanzielle Sicherheit sehr):
Zitat von Rheinländer: schon nach sehr kurzer Zeit sehr wichtig zu wissen, wie ich die anstehende Trennung wirtschaftlich überleben werde.
Für mich war das genauso. Weil ich bei uns die Finanzen gemacht hab, konnte ich die Trennung wirtschaftlich organisieren. Ich habe hier im Forum den Begriff Scheidungsfolgenvereinbarung gelernt und dann recherchiert. Und dann uns wirtschaftlich getrennt. Mir die Kontrolle über mein Leben damit zurückgeholt.
Zitat von Rheinländer: Dazu gehört aber eindeutig ein Anwalt.
Für mich war der Anwalt der letzte, formale Schritt, als ich alles sortiert hatte. Der einzige Vorteil meines Ex war, dass er genauso wie ich eine faire Trennung von allem wollte, zumindest finanziell. Das scheint allerdings selten zu sein. Insofern hat Rheinländer vermutlich recht. Bei uns war die Scheidungsfolgenvereinbarung das Wichtigste, die macht der Notar. Den Entwurf habe ich gemacht. Ich habe auch unseren Versorgungsausgleich gerechnet.
Das war jetzt sehr viel auf einmal - liest Du noch?
Wenn Du konkrete Fragen hast zu den Orga-Themen, kannst Du mich gern anschreiben. Ich drück' Dir die Daumen und bitte, sei milde mit Dir.