Hallo brianna!
Ich möchte etwas Grundsätzliches dazu sagen, gleichsam mehr aus einer psychologischen und dramaturgischen Sicht.
Das erste ist (weil so oft die Rede davon ist: er/sie hat mich belogen und betrogen): Jeder Menschen lügt und schwindelt, und das nicht zu wenig (eingerechnet dem: Ja, danke, mir geht es gut!, obwohl es einem in Wahrheit sch... geht). Und nicht nur der Mensch, sondern auch (sozial lebende) Tiere ab einem gewissen Grad an Intelligenz lügen, täuschen, schwindeln. Würden alle immer nur die Wahrheit sagen (bzw. das, was sie dafür halten), wäre ein soziales Zusammenleben vollkommen unmöglich. Es kommt (wir Popper zu diesem Thema sagte) nämlich auch immer darauf an: wieviel Wahrheit, welche Wahrheit ist jemandem zumutbar. Schroff die Wahrheit zu sagen hat weniger mit Ehrlichkeit als mit Taktlosigkeit zu tun. Manche Wahrheit kann für jemanden vernichtend wirken. Lügen sind ein bedeutendes Merkmal der Intelligenz und sozialen Kompetenz (Kinder etwa beginnen erst ab einem gewissen Alter, mit vier, fünf Jahren, wenn sich eben auch Intelligenz und soziales Gefühl entwickeln, zu lügen und zu täuschen). (Und - eines noch dazu - wer von sich behauptet, immer ehrlich zu sein, nie zu schwindeln und das vielleicht auch noch glaubt, der belügt sich selber. Daß diese Aussage jedenfalls eine Lüge ist, wird jeder wissen, dem die menschliche Natur nicht vollkommen fremd ist und der nicht mehr ans Christkind glaubt (auch eine schöne Schwindelei übrigens, das Christkind).
Soviel ganz generell.
Das zweite, was ich sagen möchte, ist:
In unserer Zeit lernen sich sehr viele Menschen gleichsam anonym kennen (wie eben über das Internet). Keiner weiß auch nur das geringste vom anderen und jeder kann derher erzählen, was er will. Und natürlich erzählt jeder nur das Tollste von sich bzw. das strategisch Beste, er stellt sich dar, kann sich ausgeben als das, was er vielleicht sein möchte bzw. womit er meint, am besten anzukommen usw. Es ist im Grunde wie ein virtueller Karneval. Und das ist ja auch kein Problem.
Allerdings kann es nun natürlich sein, daß ernsthafte Gefühle entstehen zwischen zwei Menschen. Und dann kann es sehr wohl zu einem ganz massiven Problem werden. Denn was macht nun jemand, der nicht nur wie ein Pfau ein Rad nach dem anderen geschlagen hat, sondern nicht einmal ein Pfau, sondern ein Haussperling ist? Der also etwa meinetwegen gesagt hat, er habe ein großes Haus und zwei Sportwagen, in Wahrheit aber nur eine kleine Wohnung und ein Fahrrad hat.
Aber dennoch verliebt ist.
So jemand gerät natürlich unweigerlich in eine Notsituation. Gesteht er die Wahrheit, besteht die große Gefahr, daß es mit der Liebe vorzeitig vorbei ist, bleibt er bei seiner geschwindelten Geschichte, muß er immer weitere Lügen und Ausreden erfinden, um das Phantasiegebäude, das er präsentiert hat, aufrechterhalten zu können.
Eine kleinere oder größere Angeberei oder sonst eine Schwindelei kann sich also schnell zu einer wahren Tragödie entwickeln, wenn eben ernsthafte Gefühle im Spiel sind, und die Verstrickungen, Ausflüchte, dieses ganze Wirrwarr werden immer grotesker, wie bei einem Possenspiel.
Ich glaube, die einzige Möglichkeit in so einem Fall ist, daß jener, der den Verdacht hat oder auch ganz klar und eindeutig dahinterkommt, daß er belogen worden ist bzw. wird (hier also Du), seinen Verdacht bzw. sein Wissen dem andern in aller Ruhe kundtut (also nicht in Form von Vorwürfen, Verhören, Beweismittelvorlage, Wutausbrüchen usw.), mit ihm offen und sachlich darüber spricht und sich auch seine Motivation anhört und versucht diese nachzuvollziehen. Denn, wie gesagt, aus einer kleinen Angeberei oder Schwindelei, die zunächst, als noch keine Gefühle da waren, völlig bedeutungslos war, kann sich Schritt für Schritt ein immenses Lügengebäude aufbauen, es wird gleichsam zu einem Selbstläufer, aus dem der Betreffende nicht mehr herauskommt.
Das soll nichts rechtfertigen, aber vielleicht so manches erklären.
Natürlich wird oft auch aus reiner Bösartigkeit oder aus Eigennutz gelogen und getäuscht, mit der Absicht, jemanden anderen abzuzocken oder billig zu S. zu kommen oder um sich selber etwas zu beweisen usw. (Und natürlich gibt es auch den Typus des notorischen Lügners, der zumeist sogar selber die Lügen glaubt, die er erzählt, der also letztlich unter einer Persönlichkeitsstörung leidet.)
Aber das muß bei weitem nicht immer der Fall sein. Eine kleine Lüge, eine kleine Schwindelei zu Beginn, die einem vielleicht besser dastehen lassen soll, als man dasteht, kann, sobald ernsthafte Gefühle hinzukommen, zu immer neuen Lügen und Schwindeleien nötigen, hat der Betreffende zu wenig Selbstbewußtsein oder zuviel Angst, irgendwann die Karten auf den Tisch zu legen (und dazu gehört in der Tat viel Mut). Und das ganze wird dann natürlich immer mehr zu einer Farce. Was man daraus allerdings nicht schließen kann, ist, daß die Liebe nicht echt wäre. Es kann geradezu der verzweifelte Versuch sein, eben diese Liebe nicht zu verlieren. Es ist der falsche Weg, es ist ein kindliches Verhalten, ja, keine Frage - aber dennoch meine ich, daß jener, der hinter die Lügengeschichten kommt, nicht gleichfalls nach kindlichen Verhaltensmustern (also Wut, schroffe Ablehnung, Verzweiflung, heilose Verletztheit, Schuldzuweisungen, maßlose Enttäuschung usw.) reagieren sollte, sondern die Karten ruhig, sachlich, unaufgeregt auf den Tisch legen und das vernünftige, offene Gespräch suchen sollte, nicht zuletzt mit der Absicht, die eigentliche Motivation des Lügners und Schwinderls zu durchschauen.
All dies - wohlgemerkt! - immer unter der Voraussetzung, daß zwischen beiden Liebe besteht. Ansonsten wäre es ohnehin sinnlos und man sollte es einfach vergessen und als Lehrstunde verstehen.
Ja, soweit meine Meinung (und Erfahrung) dazu. Ich kann natürlich nicht beurteilen, was bei Euch beiden hier konkret dahintersteckt, aber diesen pauschalen Verurteilungen, die ich hier als Antworten so gelesen habe, kann ich mich nicht anschließen, weil man die Dinge doch etwas differenzierter sehen sollte. Bei Lügen sollte man, wie bei vielem anderen, nicht nur auf diese und deren Auswirkungen sehen, sondern einmal auch einen Blick auf die Hintergründe dafür werfen.
LG