Hi Amilie!
Ich habe mir Deinen Thread durchgelesen und möchte Dir einiges sagen, was mir dazu einfällt.
Du schreibst, daß Du die Trennung von Deinem Ex (dem Narzissten) nun großteils überwunden hast.
Offenbar hast Du dann für den Mann, mit dem Du Dich vor einiger Zeit getroffen hast, sehr schnell, wie Du schreibst schlagartig, Gefühle entwickelt.
Das ist immer hoch riskant, insbesondere natürlich dann, wenn man selber ein Trauma in sich trägt.
Bevor man eine neue Beziehung in Erwägung zieht, sollte man die letzte ganz (und nicht nur großteils) überwunden haben und wirklich wieder ganz bei sich angekommen sein. (Bei Dir kommt hinzu, daß man zunächst - mit therapeutischer Hilfe - grundsätzlich das eigene Trauma überwunden haben sollte, weil man sonst unbewußt immer wieder Partner wählt bzw. anzieht, die das Trauma wieder aktuell werden lassen, es ist gleichsam eine Inszenierung des eigenen Unbewußten - mit dem Zweck, das Trauma durch Bewußtmachung zu überwinden (oft steckt zusätzlich die Hoffnung dahinter, es möge diesmal anders ausgehen).)
Geht man vorschnell wieder eine Bekanntschaft ein, die Gefühle hervorruft, so gerät man sehr leicht in eine Opferrolle, auch wenn zunächst das verletzte Selbstbewußtsein gestärkt wird. Die Motive sind dann nämlich - bei beiden - keine eigentlich partnerschaftlichen, auf Liebe beruhenden, sondern es geht vorwiegend um Trost und Trösten, um das Aufpolieren des Selbstbewußtseins, um die Flucht aus dem Alleinsein (bei Männern in der Trösterrolle zumeist schlicht um S. und/oder Wichtigmacherei) usw. Und eine Beziehung, die nicht auf der Liebe zwischen einem stabilen Ich und einem stabilen Du beruht, sondern auf irgendwelchen Bedürftigkeiten und Defiziten, ist von vornherein zumindest sehr fragwürdig und jedenfalls ebenfalls defizitär, instabil, nicht wirklich glücklich machend.
Es ist zwar verständlich, daß man dazu neigt, in einer schwierigen, leidvollen, gekränkten, einsamen Situation nach jedem Rettungsring zu greifen - aber ein Rettungsring ist eben noch kein Schiff, auf dem man durchs Leben segeln könnte.
Es wäre daher gut, wenn Du zunächst einmal diese letzte Beziehung wirklich vollständig überwindest, Dich mit Deinem Trauma und seinen Auswirkungen auseinandersetzt, es so gut als möglich verarbeitest und erst dann wieder offen bist für eine neue Beziehung.
Denn nur das kann Dich auch tatsächlich davor bewahren, immer wieder auf den gleichen Typus Mann gefühlsmäßig anzusprechen (dieser Typus interessiert Dich dann einfach nicht mehr).
Wenn Du es so machst, wie Du es Dir vorgenommen hast und wie Dir auch geraten wurde, nämlich mit geschärftem Blick Männer bzw. potentielle Partner zu betrachten, dann zäumst Du das Pferd von hinten auf. Denn gewisse egoistische Züge oder sonstige Auffälligkeiten, die auch bei Narzissmus als Leitsymptome auftreten, finden sich bei jedem Menschen, oft einfach stimmungsabhängig. Und wenn ich mir nun vorstelle, Du lernst, geschärften Blicks, einen Mann kennen und der sagt vielleicht einmal ein Treffen ab, weil er meinetwegen tatsächlich krank ist, und Du deutest dies dann als Anzeichen für Narzissmus ... dann wird kein Mann mehr eine Chance haben (und zugleich Du nicht auf eine Beziehung).
Außerdem möchte ich Dir zu bedenken geben, daß sich Narzissten oft sehr gut zu tarnen verstehen, und man muß schon über eine ausgesprochen feinfühlige Interpretationsfähigkeit verfügen, um sie zu durchschauen, bevor man wieder in der Falle der eigenen Gefühle sitzt.
Das Allerbeste wäre also, daß Du selber zunächst Deine eigene Persönlichkeit veränderst, entwickelst, so daß Du alles Narzisstische und Narzissmusnahe erst gar nicht anziehend findest.
Wenn Du z. B. schreibst, dieser andere Mann hat Dir gleich in den ersten Minuten von seinen Kindheitstraumata erzählt, dann hätten sofort die Alarmglocken laut schrillen müssen und dies nicht in Dir, wie ich annehme, Gefühle und Eindrücke von Anteilnahme, besonderer Offenheit, Vertrautheit, Hilfsbedürftigkeit usw. hervorrufen dürfen. Denn ein solches Verhalten ist keine Offenheit, sondern eine unnatürliche Distanzlosigkeit, die nichts Gutes verheißt.
Wobei das allerdings durchaus nichts mit Narzissmus zu tun haben muß (obwohl diese eigenartige Distanzlosigkeit auch oft bei Narzissmus vorkommt, unter vielem anderen), sondern es kann auch mit einer Nähe-Distanz-Problematik zu tun haben oder auch mit einem Mangel an Selbstliebe usw. Auch das andere, was Du in weiterer Folge erlebt hast, kann mit diesen anderen Problemen zu tun haben - also der plötzliche Rückzug, die Mauer, die Kälte, die Distanzierung. Wenn sich etwa jemand selbst nicht liebenswert, nicht der Liebe wert findet, dann kann er auch keine Liebe annehmen und distanziert sich, weil er sich, liebt ihn jemand, zumindest unbewußt verschaukelt und belogen vorkommt.
Gegen Narzissmus spricht hier übrigens auch, daß sich Narzissten erst einmal sozusagen festsaugen, sich des anderen relativ sicher sein müssen, bevor sie ihre andere Wesensseite (so richtig) hervorkehren.
Ich weiß nun ja nicht, wobei es sich bei Deinem Kindheitstrauma gehandelt hat, aber ich nehme an, es ging um einen Verlust, und gerade das (aber natürlich auch anderes) kann anfällig machen für Persönlichkeitstypen, die ihren Selbstwert durch Überkompensation gleichsam künstlich erzeugen. Sie haben ja kein ausgebildetes (emotionales) Selbst, sondern ein solches, das dem eines zwei- oder dreijährigen Kindes entspricht. Und wenn nun jemand ein kindliches Trauma, etwa durch einen dramatischen Verlust, erlitten und es nicht überwunden hat, dann kann es eben zu einer Resonanz mit jemanden kommen, der seine (emotionale) Selbst-Losigkeit überkompensiert. (Auf der einen Seite der Verlust eines stabilisierenden Selbst, also etwa eines Elternteils, auf der anderen Seite ein durch Überkompensation gespieltes Selbst, das anziehend wirkt, aber eben gar nicht vorhanden ist bzw. gleichsam lediglich in einem Embryonalstadium.)
Aber wie auch immer. Worum es also, wie mir scheint, vorrangig ginge, ist, daß Du selber Deine Persönlichkeit etwas änderst und Deinen Altruismus aus dem Wesenszentrum vielleicht nach etwas weiter außerhalb verlagerst (ohne ihn ganz aufzugeben), so daß auch Du in einer Beziehung Deine Interessen und Bedürfnisse wahren und auch zum Ausdruck bringen kannst.
Ja, was ich noch sagen wollte (aber ich glaube, das ist Dir ohnehin bewußt): Dich mit Psychopharmaka vollzustopfen ist keine Lösung und sollte Dir wirklich nur als ganz kurzfristiges Hilfmittel dienen. Es gibt auch viele andere Methoden, die Dich wieder zur Ruhe kommen lassen.
Liebe Grüße und alles Gute!
15.07.2014 02:03 •
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