Hallo liebe Grace,
sei hier herzlich willkommen, auch wenn der Anlass kein schöner ist. Natürlich darfst du einklinken! Wir sind doch letzten Endes alle hier, um ein wenig Unterstützung und Trost zu erhalten und auch zu spenden.
Es ist ja fast nicht zu glauben, wie viele Frauen an Männer geraten, die entweder selbst nicht wissen, was sie eigentlich wollen oder es sehr wohl wissen und die Situation dann auch noch ausnutzen. Zu ihrem Vorteil versteht sich. Und ich bin mir sicher, dass das alles ganz tolle Frauen sind, so wie du und Sady. Reflektierte, kluge und liebevolle Menschen. Was ist da in uns drin, das uns ständig sagt, wir hätten keine ebenso liebevolle Beziehung verdient? Diese Frage war Thema meiner letzten Therapiestunde und ich muss sagen - mir ist einiges klar geworden, was die Auswahl meiner Beziehungen betrifft.
Für meinen vorletzten Freund, mit dem ich ja fünf Jahre zusammen war, wäre Händchen halten in der Öffentlichkeit auch unvorstellbar gewesen. Wenn ich ihn nur mal am Arm berührt habe, z.B. wenn wir essen waren, hat er ihn sofort weg gezogen und sich angeekelt geschüttelt. Es gibt noch zahllose weitere Beispiele. Diese Demütigungen, die du auch erleben musstest, haben Wunden in mein Selbstvertrauen und mein Herz gerissen. Heute bedeutet mir dieser Mensch nichts mehr.
Als ich meinen jetzigen Ex-Freund kennen lernte, hatte ich endlich das Gefühl, angekommen zu sein. Er war wirklich liebevoll zu mir, hat sich zu mir bekannt und dies auch nach außen hin gezeigt. Ich dachte wirklich, dass alles stimmt. Mit ihm konnte ich Pläne für die Zukunft machen und viele davon auch umsetzen. Mein vorheriger Ex wäre zum Beispiel nie im Leben mit mir zusammen gezogen. Unsere Beziehung war sehr sehr innig und vertraut. Ich dachte, etwas besseres gibt es nicht. Als es aber jetzt vor fast drei Monaten zur Trennung kam, musste ich mir doch eingestehen, dass ich da ein paar Dinge übersehen habe. Dinge, die man gar nicht sehen will, wenn man glaubt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. So habe ich, auch mit Hilfe meiner Therapeutin, angefangen genauer hinzusehen. Und ich muss zugeben - ganz so wohl habe ich mich in der Beziehung nicht gefühlt. Ich hatte auch bei ihm immer wieder mal das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Dazu muss ich sagen, dass über mir ständig der Schatten seiner Ex-Freundin geschwebt ist, die er ja bei einem Unfall verloren hat. Dieses Thema stand immer zwischen uns, konnte oftmals gut ausgeblendet werden und war aber dennoch präsent. Am aller ersten Tag an dem wir uns begegnet sind, hat er einen entscheidenden Satz gesagt: Seit ihrem Tod ist die Liebe für mich auch gestorben. Da hätte ich wach werden müssen, da hätten Alarmglocken klingeln sollen. Trotzdem habe ich mich darauf mit ganzem Herzen eingelassen. Zwar bin ich mir sicher, dass er mich geliebt hat und es wahrscheinlich immer noch tut, das ausschlaggebende ist jedoch, dass genau daran jetzt alles zerbrochen ist. Ich hätte mich auf einen so zerrissenen Menschen gar nicht einlassen sollen. Und ich habe es doch (wieder) getan.
Ich wage jetzt mal zu behaupten, dass wir alle etwas gemeinsam haben, nämlich den Irrglauben, mit genügend Liebe und Verständnis das geliebte Gegenüber doch noch umstimmen, ändern, für uns gewinnen zu können. Aber das funktioniert nicht. Da können wir noch so viel Liebe investieren, wir werden immer wieder gegen eine Mauer laufen. Das einzige was passiert ist, dass man anfängt, sich selbst zu verbiegen und die eigenen Bedürfnisse ganz hinten anzustellen.
Grace, ich finde es super, dass du einen Schlussstrich gezogen und mit deinem Brief ein eindeutiges Zeichen gesetzt hast. Klar, dass es dir jetzt nicht schlagartig wieder gut gehen kann. Aber diese Traurigkeit bleibt nicht für immer. Aus der Spirale, wie du schreibst, wirst du wieder heraus kommen. Das wird ein bisschen dauern, aber wenn du die Zeit nutzt, um an dir zu arbeiten, bist du irgendwann bereit für eine Beziehung auf Augenhöhe. Du bist es wert, geliebt zu werden.
Alles Liebe,
Memi