Zitat von Kontra:P.s.: Madame @E-Claire ich denke, Ihre einzigartige Sichtweise auf Dinge wäre hier von Vorteil.
Liebes @Gretchen
@Kontra hat mich heute vormittag hierher eingeladen, ich hoffe sehr, daß Dir das Recht ist, wobei ich gleichzeitg befürchte, daß die wunderbare, bezaubernde Kontra mich da leider ein bißchen überschätzt, denn seinen wir ehrlich, was gibt es im Moment schon zu dieser Geschichte zu sagen?
Mich hat der Fortgang wirklich traurig gemacht. Und diese trostlose Banaltät ist eines Gretchens auch unwürdig, finde ich zumindest.
Weißt Du, natürlich kommt der irgendwann wieder, insbesondere, wenn er sich tatsächlich die therapeutische Unterstützung holt, die da so angedacht ist. Ob Du den dann, in einem hautengen Strickkleid mit schönem Lippenstift und weiß geputzten Zähnen aber wieder haben willst, steht auf einem anderen Blatt.
Und weil im moment eigentlich gar nichts hilft und Du ja nun durchaus die Reflektierteste von uns allen bist, kann ich da leider auch nicht wirklich mit einer neuen Perspektive, einer einzigartigen Sichtweise aufwarten.
Aber hier ist eine kleine Geschichte, vor etwa 20 Jahren, hat eine noch ganz junge E-Claire mit einer wunderbaren Frau einen Abend damit verbracht über Goethes Faust zu diskutieren. Es war einer dieser Abende, die nur passieren können, wenn man noch ganz jung ist, weil sich keiner von uns später diese Menge von richtig schlechtem aber billigem Fusel antun würde. Uns gingen natürlich irgendwann auch noch die Zig. aus, also haben wir versucht aus altem Tbk neue zu drehen. Es war auch einer von diesen Abenden, die nur mit und unter Frauen stattfinden kann. Wir Frauen sind ja nun wirklich nicht immer nett zu- und untereinander, aber ab und zu begegnen sich zwei, die wirklich etwas zu sagen haben und das ist es ein Fest fürs Leben.
Aber das ist Hemingway und den lassen wir uns für andere Stunden, heute also Faust. Diese junge Frau, mit dem zauberhaften Spitznamen Sunny, war natürlich wie viele von uns ein ganz großer Mephisto-Fan. Mephisto ist ja schon der klassische Bad-Boy einer Backfisch-Intellektuellen. Im Stück ist er ja auch durchaus gut angelegt. Er hat die besten Lines, die coolsten Sprüche und verkörpert eben auch diese Freiheit, die nur echte Anarchisten Ihr eigen nennen.
Dagegen schaut Heinrich dann natürlich ein wenig blass aus. Mit Mephistos Hilfe mausert er sich zwar ein bißchen, aber an den Glanz des vermeintlich diabolischen Mephistopheles kommt nur wohl keiner heran. Ich werde Dir jetzt erzählen, warum Sunny und ich die ganze Nacht auf das herzlichste gestritten haben:
Nach ihrem Loblied auf den Mephi, habe ich sie angeschaut und gesagt, weißt Du, ich verstehe die Faszination ja, aber die einzige Figur, die in diesem Stück echt was riskiert, Mut beweist, sich wirklich etwas traut. Die Figur, die für mich immer die Hauptfigur des Stücks war und ist, das ist Gretchen.
Mit den Jahren hat sich mein Blick auf Mephisto und Faust natürlich etwas verändert, aber an meiner Grundwertung halte ich fest:
Mephisto ist nix weiter als ein Versicherungsvertreter mit Taschenspielertricks und kleinen Phyro-Effekten. Mal ehrlich würde der im 21 Jahrhundert leben, würde der im Zweifel PUA-Seminare geben und Faust wäre einer seine Kunden. Mephisto verkauft die große Freiheit, in Form eines Shampoos, damit Faust sich endlich was wert ist. Und welcher echte Anarchist würde sich denn bitte dazu hergeben, einen Bücherwurm mit nicht diagnostiziertem Asperberger, der zwar alles studiert hat, aber nix begreift, als Wing-Man zu dienen?
Daß Goethe sich mittels Faust selbst porträtiert ist ja hinlänglich offensichtlich, daß er gleichzeitig nen Symptom-Katalog zur Fein-Diagnose von in der Mid-Life-Crisis befindlichen Männern aufstellt, erschließt sich erst, wenn man selbst dann ein bißchen in die Jahre gekommen ist. Mein 19jähriges ich hatte immer fürchterliches Mitleid mit dem Faust, der tat mir wirklich Leid. Da studierst Du und studierst, weil einem fürs echte Leben der Mut fehlt und gewinnst statt eines Pulitzerpreises nur die Einsicht, daß Du die Funktionen des Herzens als Organ verstehst, aber keine Ahnung hast, was es heißt, wenn es Dir gebrochen wird. Ist doch traurig.
Und weil Mephi dann noch unbedingt seine Abschlussrate für den Jahresabschluss erfüllen muß, tut er sich mit Heinrich zusammen und die beiden Burschis gehen auf Piste. Nicht, daß die jetzt mal die Welt retten, für sauberes Trinkwasser sorgen, Wochenbettsterblichkeit reduzieren. Nö, ne. Große Kunst wird auch keine gemacht, statt dessen bleibt der Sturm und Drang inner Hose stecken.
Ach, ich weiß nicht.
Jetzt nehme man mal das Gretchen. Die riskiert. Die ist mutig und sie schafft die Hindernisse, die es zu überwinden gibt aus dem Weg. Gretchen ist authentisch und Gretchen ist ver.dammt integer. die überlässt den Schmuck, den sie geschenkt bekommt zunächst der Mutter. Daß der Idiot von Valentin stirbt, dafür kann sie nicht viel. Valentin der Muskelprotz aus der Mucke-Bude, der glaubt, er könne es mit jedem aufnehmen. Raufbolde sterben halt.
Gretchen folgt ihren Herzen ohne Faust in die eigentlich für sie notwendige Ehe zu zwingen. Da ist sie die echte Liebe, die eben auch immer ein bißchen Vertrauen braucht. Im Nachhinein nennt man das Naivität, aber auch nur dann, wenn das Vertrauen nicht erwidert wird.
Wenn wir den Tod mal für einen kurzen Moment in Faust nicht als faktischen sondern symbolischen betrachten. Dann ist der Tod von Gretchens mutter das symbolische Ausbrechen, die Abnabelung von den Eltern, die erfolgen muß, wenn man sich der partnerschaftlichen Liebe hinwendet.
Gretchen selbst bleibt bis zum Schluss authentisch, sie übernimmt Verantwortung für ihre Taten, bleibt im Kerker, selbst als Heinrich kommt und sie herausholen möchte. Dafür wird sie belohnt. Sie stirbt und Gott erlöst sie.
Wenn wir den Tod metaphysisch verstehen, dann ist Tod nur das Ende des einen aber Neubeginn von etwas anderem, wenn Gott sie zu sich holt, dann ist Gott doch aber vor allem Gnade, Güte und Liebe. Gretchen also findet durch ihre aufrechte Haltung, durch ihre Bereitschaft für die Fehler, die sie gemacht hat im Namen ihrer Liebe, Verantwortung zu übernehmen,
Gretchen findet Neubeginn in Gnade und mit unendlicher Liebe.
Gretchen wird für mich immer die eigentliche Hauptfigur bleiben. Gretchen ist die Liebe, der Schmerz, die Verantwortung und der Mut.
Stell dir mal bitte das ganze Stück ohne Gretchen vor, dann hättest du ne Aneinanderreihung von Dauerbachs Keller S.uff-Geschichten. Nur durch Gretchen wird Faust zu dem Faust, wie wir ihn wahrnehmen. Mephi bleibt halt weiter ein Hütchenspieler auf der Suche nach einem Abschluss, aber selbst der bekommt andere Tiefe durch Gretchens Glanz.
Sei Gretchen!