Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen.
Neulich sagte mein Mann: Jetzt hör doch mal auf! Das ist doch alles schon Jahre her!
Jahre...Jahre und Jahre...
Das ist doch nur ein Wimpernschlag im Angesicht der Ewigkeit. (Der kleine Vampir) Aber von der Ewigkeit, davon versteht mein noch nicht geschiedener Mann wenig.
Wohl aber wie es ist, zu leben wie ein Toter. Allerdings hatte er auch aufgehört zu sprechen, zumindest mit mir.
Hat mit ner anderen Toten gesprochen und jetzt machen sie einen auf Addams Family.
Mich hat dieser Satz sehr beschäftigt. Das sind für ihn Jahre, nur die 18 Jahre davor, die waren kurz? Irgendwie hat er eine andere Zeitrechnung, Aber das ist ja im Grunde auch nicht überraschend, da er in fast allen Dingen andere Vorstellungen und vor allem Wahrnehmungen hat.
Neulich brachte er die Kinder am Sonntag Abend um 21 Uhr nach Hause. Die Große hat gerade die Schule gewechselt, der Stoff zieht an (Aber mein Mann sagte Wir bringen sie schon durchs Gymnasium An Zynismus nicht zu überbieten, und ich dachte das hätte ich gepachtet) Während ich hier mit meinen Kindern Hausaufgaben mache und für die Schule lerne, sitzt er nett im Homeoffice mit der Untoten.
Auf jeden Fall sagte er Es war Stau - was kann ich denn für Stau?! Immer musst Du so sein!
Das fasst sein Denkmuster bestens zusammen. Immer bin ich es, die nervt, da ich ihn auf seine Unzulänglichkeiten hinweise, die er aber selbstverständlich nicht hat. Bester Beweis ist ja die Untote, weil die sieht das ja ganz anders! Also! Die kennt ihn ja schon diese eine irre lange Zeitspanne in dieser anderen mir unbekannten Zeitspanne und da sieht man ja mal wieder, dass ich keine Ahnung habe.
Er kann ja nie für irgendwas etwas...Und diese Denkweise, ist in sich so geschlossen, die ist so stabil diese Art der Abwehr, da geht nix!
Aber immerhin gibts Fortschritte. Ich habe das verstanden. Es ist absolut sinnlos, überhaupt mit ihm über irgendwas zu sprechen, daher hab ich mir folgendes ausgedacht, Ich habe da so eine Packstation: Es ist eine vollautomatische Annahmestelle für an mich adressierte Pakete aller Art. Weit von mir entfernt kommt da so ein Roboter und nicht das Packet an. Der Roboter bringt das dann auf so eine Art Fließband wie sie in Flughäfen für Koffer sind. Dort kreist es und kreist es, und siehe da? Kein Mensch holt das ab! Will keiner haben! Schließlich kommt ein Gabelstapler (selbstverständlich kann er automatisch fahren) und holt das Packet ab und schmeißt es auf einen Riesenhaufen für unzustellbare Pakete.
Weiterhin ich noch nicht, also was daraus mal wird und ob das Recyclebar ist oder Sondermüll, das weiß ich noch nicht.
Wenn Kinderübergabe ist, oder wenn ich ihm sage, der kleine weint und weint und er will nicht nach Dänemark weil er nichts von mir mitnehmen darf weil das die Untote verboten hat, dann war schon der Anruf ein Fehler, weil es kommt einfach nicht die emphatische Antwort. Es kommt nur Sondermüll. Eine Nihilierung der Empfindungen und Bedürfnisse anderer.
Da kann man sich natürlich schnell fragen, ja warum hat Gretchen den Guten den geheiratet he?
Es gibt so Rätsel, da hab ich während des Rätsels schon sehr sehr viele Tränen vergossen.
Ich versuche einen Schlingerkurs zwischen Emotionalität, Pragmatismus und Neuorientierung zu wählen. Ständig gibt es Tage, an denen ich denke: Bescheuerter schei. den ich hier gehe. Hier ist überhaupt kein verdammter Weg! Wo soll das denn hinführen?
Aber es gibt auch Tage, da geht es mir gut und ich habe etwas innere Ruhe und einen Art Masterplan.
Die Kinder sind weg die nächste Woche. Ich habe es das erste mal geschafft, mich jeden Tag mit einer Freundin zu treffen. Einen großen Vorteil hat diese ganze Geschichte nämlich: Ich hatte noch nie so viele gute Freundinnen wie jetzt, ich habe das Gefühl, dass ich da noch mal eine Vertiefung geschenkt bekommen habe und da so viele tolle Frauen sind, die mich unterstützen. Das tut mir sehr gut. Einige haben auch einen guten Blick auf meine Kinder. Das ist sehr beruhigend. Die Therapeutin der Großen sagte neulich, dass sie die Therapie nicht mehr bräuchte...ich bin anderer Meinung aber ich muss mich ja auf ihre Expertise verlassen. Daher gibts jetzt einen Nachmittag mehr zur Verfügung was ja auch toll ist.
Und vielleicht täusche ich mich ja auch.
Ich selber bin super froh, dass ich den Klinik-Job an den Nagel gehängt habe. Persönlich hat es mich weiter gebracht (ich warte bis heute auf mein Arbeitszeugnis, das sind so die kleinen Ärgernisse des Alltags). Dieses Frühgeburt-Thema beschäftigt mich oft noch. Eigene Defizite werden für mich so besser verstehbar bzw ich bemerke sie überhaupt ein mal. Da komm ich dann auch mit der Frage nach dem Warum weiter.
Für mich beginnt nun der Startschuss für meine Prüfungsvorbereitung, in einem halben Jahr ist die mündliche Prüfung, in einem Jahr die mündliche. Ich habe Angst vor Prüfungen. Aber ich bin fest entschlossen. Es reicht, es muss mal ein Ende finden!
Zu den Finanzen sage ich lieber nix, denn da bekommt meine automatische Paketannahme stelle einen Kurzschluss.
Kindesunterhalt gilt nämlich nicht für den Herrn. Als ich ihm sagte, dass man darauf nicht verzichten kann, das war ein interessanter Moment, in dem kurz die Realität bei ihm aufblitzt ist. Aber die Betonung liegt auf kurz.
Ich konzentriere mich derweil die Zeit läuft und läuft erstmal auf das Bestehen der Prüfung.
Mein Mann ist ja in dieser anderen Zeitrechnung und da bemerkt er nicht, um was für Summen es da geht.
Neulich sagte er: Also schenken tue ich dir das Haus nicht
Aha - aber in dem Moment wurde mir klar: Der hängt da nicht dran, so wie er an nichts in seinem Leben hängt außer an sich selbst bzw der Mutterbrust.
Aber da er ja von der Untaten voll gestillt wird, ist ja momentan alles fein.
Die Untote, deren Telefonnummer ich seit kurzem besitze, schrieb mir neulich, ich könne mich immer bei ihr sehr willkommen fühlen. Der Versuch einer heilen Patchwork Welt in der es glitzert und Einhörner umher springen.
Das muss schön sein da...
Ich befass mich jetzt erstmal mit den harten Fakten wie Abrechnung und Steuererklärung. Hier zu schreiben ist ein letzter Versuch zu prokrastinieren - wobei die Fenster?
Das wars also erstmal. Ein Jahr ohne meinen Mann. Das Trennungsjahr ist also am 1.11 um. Schriftlich ist das nicht.
Ticktack Ticktack Ticktack
Gretchen
03.10.2020 08:16 •
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