Liebe Alena,
harte Worte- dennoch danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, mir zu antworten.
Ich habe das Gefühl, Du hast das Wort Herausforderung bezeichnend herausgesucht.
Nein, ich war damals nicht auf der Suche nach einem Mann, den ich umkrämpeln kann. Im Gegenteil. Ich hatte gerade eine furchtbare Beziehung hinter mir, in der Misshandlungen und Gewalt an der Tagesordnung war und konnte mich daraus dennoch viele Jahre nicht lösen. Genaugenommen fühlte ich mich noch nicht reif, eine neue Beziehung einzugehen. Damals gab mein jetziger Mann sich alle Mühe, mich von sich zu überzeugen. Er vermittelte den Eindruck eines reifen, verantwortungsbewussten und fest im Leben stehenden jungen Mannes. Und nein, natürlich will ich nicht darauf hinaus, dass ich mich getäuscht fühlte- aber ich war jung, naiv und habe nur langsam begriffen, dass er für mich gerne anders gewesen wäre.
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits ungeplant schwanger. Erst, als damit auch Verantwortung in unser Leben einzug hielt, zeigten sich eben gewisse Eigenschaften. Zuvor war es eher ein miteinander ohne Verpflichtungen, in der wir ganz ungezwungen unser verliebtheit nachgingen.
Ganz ehrlich, ich finde das Wort nörgeln unangebracht.
Ich beklage mich nicht primär über die Belastung, sondern ich äußere hier meine Traurigkeit und meine Sorge darüber, dass ich meinem Mann nicht mehr von Frau zu Mann begegnen kann.
Nein, ich jammere nicht darüber, was mein Mann mir schon angetan hat. Ich jammere auch nicht darüber, dass wir durch sein Verhalten viele Probleme haben. Ich sage: Bitte helft mir, dass ich mehr die Frau sein kann, die mein Mann sich wünscht und die er verdient hat.
Natürlich bin ich Stolz, dass er sich weiter entwickelt hat. Auf diesen Stolz kann ich menschlicherweise aber nicht in jeder Situation zurück greifen, in der ich über seine mangelnde Eigenverantwortung, oder seine Provokationen wütend bin.
Liebe Alena, ich selbst habe nicht viele von den Ressourcen mitgebracht, über die ich heute verfüge. Ich habe viele Jahre hart an mir arbeiten müssen um der Mensch zu sein, der ich heute bin. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich von persönlicher Entwicklung spreche.
Und ich betone in meinem Text, dass ich mich NICHT ausnehme. Ausdrücklich habe ich geschrieben, dass auch ich lernen möchte, mit den Eigenschaften meines Mannes positiver umzugehen. Und mit Stolz kann ich sagen, dass ich während der Beziehung schon vieles gelernt habe. Nicht nur für meinen Mann, sondern weil ich selbst für mich und mein weiteres Leben wollte (ob mit, oder ohne meinen Mann).
Ich schätze ehrliche Meinungen und so danke ich Dir auch für deine, die mir empfiehlt mich zu trennen. Dennoch möchte ich versuchen, meine Ehe zu retten. Ich möchte nicht aufgeben, bevor ich nicht alles versucht habe.
Mein Mann ist nicht das Opfer. Er wird weder ständig gegängelt, noch entmündigt. Ich bin ein sehr reflektierter und analytischer Mensch und würde mir niemals einen Menschen so hinbiegen, wie es für mich persönlich praktisch, oder bequem wäre. Ich bin der Überzeugung, dass es sich für uns lohnt und es um Werte geht, die nicht nur meine eigenen sind. Mein Mann hat soviel Potenzial, soviel ungenutze Möglichkeiten. Und würde er mir nicht ausdrücklich sagen, dass die Entwicklung, die notwendig ist (von mir, wie auch von ihm) in seinem Sinne ist, würde ich nicht spüren wie sehr er sich das ebenfalls wünscht, dann hätte ich längst aufgegeben, mich zu bemühen- um mich, wie um ihn.
Ja, ich mag nicht definitiv wissen was Liebe ist. Aber ich weiß ganz sicher, was sie nicht ist. Und zwar die immer zu akzeptierende und bejahende Romanze. Genauer gesagt, ich kann einen Mann lieben und dennoch abgrundtief genervt von existentiellen Eigenschaften sein. Ich kann viele Dinge ganz besonders schätzen und trotzdem kann ich mir im Alltag über gewisse Sachen immer wieder die Haare raufen. Das jedenfalls denke ich.
Wenn mein Mann nicht ähnlich denken würde wie ich, dann hätte er sich längst mit einer anderen vergnügt, die ihn anhimmelt und bewundert. Das hat er in jeder Beziehung getan- sich wie alles im Leben einfach genommen, wonach ihm war. Und vielleicht wird er es früher oder später tun. Dann muss ich natürlich einsehen, dass es Zeit ist aufzugeben und seine Entscheidung akzeptieren.
Ich sehe doch, wieviel in ihm erwacht ist, seit wir zusammen sind. OHNE, dass ich mir irgendein erziehungsobjekt gewünscht habe. Dass Du es so darstellst tut mir weh und ist unfair. Ich habe soviel gelitten und dennoch nie den Glauben an uns verloren.
Fazit:
-Ich erwarte keine alleinige Veränderung von meinem Mann, sondern bin bereit ebenso zu lernen und mich zu entwickeln.
-Ich erwarte keine Wunder, keine 180 Gradwendung. Soll er unordentlich bleiben etc. Ich wünsche mir nur dass, was ganz sicher tief vergraben in ihm steckt. So zumindest glaube ich.
Was genau meinst Du, wenn Du mir erklärst das Leben sei sehr wohl ein Lustprinzip? Ich meine, welche Vorstellung hast Du da von mir- dass das Leben mit mir nur Sauerbier ist? Dass ich überzogen ordnungsliebend und verkniffen bin? Ob Du es glaubst oder nicht, ich bin ein unheimlich fröhlicher, lustiger und viel lachender Mensch. Aber dass es Dinge im Leben gibt, die nun mal getan werden müssen (Mahnungen zahlen, Steuererklärungen, Autoinspektion) wirst Du wohl nicht bestreiten, oder? Nur leider ist bei meinem Mann eben fast alles Lustprinzip.
Mag es für Dich albern, überzogen, naiv, verblendet, oder was auch immer klingen. Ich habe meinem Mann ganz neue Aspekte und Richtungen im Leben aufgezeigt. Durch mich hat er ungemein gewonnen, wie auch ich an ihm.
Mein Wunder Punkt ist nur: Du hast Recht- vielleicht wäre er glücklicher, wenn er in dieser Welt geblieben wäre. Vielleicht würde ihm eine Frau, die ihn immer nur bestätigt und bewundert glücklicher machen.
Vielleicht projeziere ich mein Lebensziel- Weiterentwicklung, reifen, wachsen zu sehr auf ihn. Das quält mich.
Ich will nicht meinen persönlichen Traummann heranzüchten- so ein Mensch bin ich nicht.
Es klingt überheblich, wenn ich sage, dass mein Mann ohne mich nie einen gut bezahlten Job ergriffen hätte. Nie angefangen hätte, sich selbst besser zu verstehen und sich zu hinterfragen. Nie aufgehört hätte, sich sinnlos zu besaufen um diese Leere in sich zu füllen. Nie Vorbilder gefunden hätte, wie meine Eltern, oder die Menschen in meinem Leben, die ihn inspirieren und denen er nachstrebt.
Ach bitte, versteht mich nicht falsch. Ich habe mich in diesen Mann verliebt, weil er in sich ein ganz toller Mensch ist und weil ich immer an ihn geglaubt habe. Aber er war definitiv ein Mensch, der überwiegend ansich gedacht hat. Gelogen hat, ständig auf der Suche nach Anerkennung, nichts zu Ende gebracht hat, was er begonnen hat. Eine Menge hohles Zeug geredet hat, ohne wirklich eine Meinung zu haben. In meinen Augen war das nie Charakterschwäche, sondern nur das Ergebnis seiner bisherigen Lebenserfahrung. Vielleicht ist es dumm und Du schüttelst nur den Kopf darüber- aber ich bin so überzeugt davon, dass es gut und richtig ist, was wir tun.
Nur, jetzt weiß ich nicht weiter, verstehst Du?
Die Verletzungen sitzen so tief, die Lügen, der Betrug, die unzähligen Vertrauensbrüche. Ich weiß nicht, wieviel diese ausmachen und wieviel das Gefühl, eher seine Mutter zu sein.
Aber ich wünsche mir, dass man erkennt, dass ich nichts schlechtes für meinen Mann möchte, sondern ihn glücklich machen.
Ich möchte auch glücklich sein. Das habe ich nämlich verdient, weil ich bisher nicht viel davon hatte, in meinem Leben, unabhängig von meinem Mann.