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Mein letzter Brief an Dich

S
Hallo G.,

Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört und das ist auch gut so. Trotzdem denke ich in letzter Zeit wieder öfter an dich. Wahrscheinlich, weil ich davon gehört habe, dass L. jetzt in Rente geht und somit wieder eine Stelle für mich frei wäre. Seitdem geht mir alles, was damals passiert ist wieder mehr im Kopf herum. Es war eine schöne Zeit zuerst. Ich war so verliebt in Dich und wollte mein altes Leben für dich über Bord werfen. Dafür hätte und habe ich alles getan. Doch eigentlich war von Anfang an klar, dass du das nicht wolltest, weil du mich im Grunde nicht wolltest. Jetzt weiß ich ja auch schon lange warum. Du warst ja längst schon mit B. liiert. Trotzdem hast du dich auf mich eingelassen und ich frage mich heute noch warum.

War es dir so wichtig, mich als Kollegin nicht zu verlieren oder war ich einfach eine günstige Gelegenheit? Inzwischen denke ich, dass du mich sogar gemocht haben musstest. Ansonsten hätte es wohl einige Vorkommnisse nicht geben können. Aber wenn du mich wirklich gern hattest, wie konntest du dann so mit mir umgehen? Warum hast du nicht einfach offen mit mir geredet. Ich hätte dich verstanden. Ich war ja schon längst kein junges, naives Mädchen mehr. Ich hätte verstanden, dass B und du schon lange vor dem Tod deiner Frau etwas miteinander hattet. Hättest du mir das offen gesagt, ich hätte dich sofort in Ruhe gelassen und wir wären heute noch Kollegen, vielleicht sogar Freunde. Aber du musstest ja unbedingt ein riesen Geheimnis daraus machen. Dabei war das gar nicht so geheim. Im Grunde pfiffen es die Spatzen schon von den Dächern, nur ich wollte es nicht kapieren. Hättest du mir das aber gesagt, wäre es etwas anderes gewesen. Dir hätte ich geglaubt und alles das wäre nicht passiert.

Die Folgen unserer Affäre, die ich dann ja forcierte, waren gravierend. Nicht nur für mich sondern auch für dich. Nur mit sehr viel Geduld und weil ich einen unglaublich tollen Mann habe, konnte ich die schlimmsten Folgen abwenden. Ich bin nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Nur beruflich habe ich immernoch keinen adäquaten Ersatz gefunden. Die 6. Stelle, die ich jetzt seit letztem Jahr habe, hat mich zuerst hoffen lassen. Aber leider schwindet die Hoffnung inzwischen. Auch hier sind die Bedingungen schlecht, die Anerkennung miserabel und die Kommunikation grottig. Was da an jungen Leuten nachkommt, macht mir Angst. Die sind so unempathisch und unprofessionell. Überfordert sind sowieso alle, das waren wir auch. Aber wir haben unser bestes gegeben. Das macht heute niemand mehr.

Ich sehe mir das jetzt noch eine Weile an. Aber ich denke, ich werde das Handtuch werfen. Ich spüre, dass es mir psychisch wieder schlechter geht und ich das alles nicht mehr verkrafte. Mit dir zusammen, wir beide als Kollegen hätten das geschafft. Aber ich alleine bin damit aufgeschmissen. Ich würde gerne wissen, wie es dir so geht aber das verbietet sich natürlich. Wie ich hörte, gehst auch du bald in Rente. Ich wünsche dir, dass es eine gute Zeit für dich wird.

Privat geht es mir so lala. Meine Ehe hat natürlich sehr unter der Geschichte gelitten. Wir haben es so gut es ging aufgearbeitet aber die Narben sind tief. Nicht nur bei K. sondern auch bei mir. Unsere Ehe war nie wieder so unbeschwert, wie vor unserer Affäre. Klar, wir hatten unsere Krisen. Aber im Grunde passten K. und ich sehr gut zusammen. Als ich dich traf, zweifelte ich plötzlich alles an. Ich wusste ja nicht, dass das normal ist, wenn man sich fremdverliebt. Ich glaubte meinen eigenen Lügen und ich glaubte an dich. Was für ein Fehler. Jetzt müssen wir alle mit den Folgen leben.

Ich habe mich eingerichtet in diesem Leben und stelle keine hohen Ansprüche mehr. Ich kann froh sein, dass alles einigermaßen für mich ausging und wenn ich unser Kind ansehe, dann denke ich, dass ich soviel Glück nach alldem gar nicht verdient habe. Wie geht es deinen Kindern? Ich hoffe gut! Du hast echt tolle Kinder auf die du stolz sein kannst. Bitte sei in Zukunft ehrlich zu ihnen. Und sei ehrlich zu deiner Partnerin, solltest du eine haben. Du bist ein ziemlich charmanter Schurke und kein Kostverächter. Ich hoffe, sie weiß das und hält dich im Zaum.

So, jetzt habe ich mich ein bisschen entlastet von all den trüben Gedanken der letzten Tage. Mach es gut und ich hoffe, wir sehen uns nie wieder. Es würde mich immernoch überfordern, deshalb werde ich deine Stadt meiden bis zu meinem letzten Atemzug. Darauf solltest du dir aber nichts einbilden bitte, denn ich bin einfach ein bisschen bekloppt. So sagtest du ja immer und im Grunde hattest du recht.

Also alles Gute Dir!
S.

03.04.2024 14:48 • x 4 #1


G
Da sieht man , was eine Affäre alles zerstört und für Scherben sorgt

03.04.2024 15:20 • #2


A


Mein letzter Brief an Dich

x 3


B
Das man anscheinend niemals so richtig darüber hinweg kommt erschreckt mich hier immer wieder beim Lesen

03.04.2024 15:21 • x 1 #3


alleswirdbesser
@solongago Shedia, bist du das wieder?

03.04.2024 16:28 • x 5 #4


Saule1980
Zitat von alleswirdbesser:
@solongago Shedia, bist du das wieder?

03.04.2024 16:30 • #5


E-Claire
Ach Shedia.

Wann schreibst Du denn den so notwendigen Brief an Dich selbst?

03.04.2024 16:35 • x 3 #6


E-Claire
Zitat von Brausestäbchen:
Das man anscheinend niemals so richtig darüber hinweg kommt erschreckt mich hier immer wieder beim Lesen

Also naja, die wirklich meisten kommen schon darüber hinweg. Ich mag Dir jetzt nicht mit dem Selbstoptimierungskram kommen, aber in der Regel gibt es individuelle Gründe, warum einige, wenige Menschen eher nicht bzw noch nicht darüber hinweg kommen.

03.04.2024 16:46 • x 3 #7


E-Claire
@Brausestäbchen

Vielleicht etwas zur Ergänzung, damit wir uns nicht falsch verstehen. Shedia ist schon eine sehr spezielle Forumsteilnehmerin, die unter den sehr alten Hasen wie mich hier verschiedene Gefühle hervorruft. Es ist immer wieder schade zu sehen, wie sehr ihr Unvermögen sich mal ohne direkte Abmeldung aus dem Forum zu ziehen, ihr dabei im Weg stand und Teilnehmenden wie Dir noch im Weg steht, ihre Geschichte mal in etwas gesammelter form zu lesen.

Bei mir löst sie meistens Mitgefühl aus, das ist aber nicht bei allen so und auch dafür gibt es schon Gründe. Die Eckpfeiler sind, Shedia ist vor über zehn Jahren mal so etwas wie eine Affäre eingegangen. Für den diesen Mann hat sich versucht ihren Mann zu verlassen, letztlich hat dieser sich aber für eine andere Dame entschieden. Shedia ist im Zuge dessen (gab hier und da ein paar Überschneidungen) auf Bitten ihres Manns zurück nach Hause gekehrt. Das hat leider natürlich nicht alle Probleme gelöst, sondern eher ein paar grundlegende Sachen sehr sichtbar gemacht. ein paar davon sind der Beziehung und der Persönlichkeit ihres Manns zuzuordnen, vieles aber findet eigentlich aber im ihrem Inneren statt. Sie war zwischenzeitlich auch in Therapie, es gab mögliche Klinikaufenthalte. In jedem Fall ist sie mit Depressionen diagnostiziert, wenn Du mich persönlich fragst, eine notwendige aber nicht hinreichende Diagnose. Emotionsregulierung, Impulskontrolle und fehlende Integration von Anteilen sind Sachen, die ihr immer wieder extrem schwer gefallen sind und auf mögliche andere Themen hinweisen.

Über die Jahre ist sie hier immer wieder mit einer Variante ihrer Geschichte auf- und dann doch recht schnell wieder abgetaucht.
zu Gute kann ich ihr halten, daß anders als Du vermutest, es doch Entwicklung gab und gibt. sie ist über die Jahre sanfter, emphatischer und sortierter geworden. Wobei dies nicht alle hier so sehen, was ich verstehen kann, denn gerade in den ersten Jahren ist Shedia nicht besonders zimperlich mit sich selbst und anderen umgegangen.

Was Du als ein Nicht-über-die-Sache-hinweg-kommen wahrnimmst, ist in meinen äugen etwas anderes. Esoterik liegt mir nicht besonders, aber ich glaube schon, daß jeder Mensch ein Lebensthema hat. Man kann das gerne nennen wie man möchte, aber insbesondere in Krisen werden sich die meisten Menschen darüber gewahr, daß sie ein solches haben.

Ihre kurze und eigentlich recht banale Affäre scheint bei ihrem Lebensthema einen Volltreffer gelandet zu haben und deswegen fällt es ihr, der es ohnehin schwer fällt mit dem Thema abzuschließen, weil da auch ihre Moral betroffen ist, fast unmöglich das Thema ruhen zu lassen.

Ich kann Dir hier nur meine Eindrücke schildern, was ich zudem auch tue, weil ich schon auch glaube, daß sie mit lesen wird, aber ich kann Dir nicht sagen, inwieweit ich da richtig liege.

Shedia scheint aufgewachsen zu sein in einem klassisch repressiven und wenig glücklichen Elternhaus. Der Vater war wohl ein Vollkoffer, der seine eigene Geltungsssucht nicht anders als mit fragwürdiger Aggression innerhalb der Familie ausleben konnte. Anzunehmen ist, daß die Mutter eigentlich die intelligentere von beiden war, aber anstatt die Kinder zu beschützen, diese gegeneinander ausgespielt hat und vor dem alten Herrn kuschte und ihn unzulässig überhöhte. So weit so klassisch.

Shedia ist smart und begabt, sie hat ein Ingenieursstudium oder -ausbildung abgeschlossen. Dies gegen den Willen des Vaters. Ich gehe davon aus, daß sie nicht nur aus diesem Elternhaus auszubrechen gesucht hat, sondern eine ihre Hauptmotivatoren eben auch war, euch (insbesondere dem Vater) zeige ich es.
Sich in einer Männerdomäne in den 70/80er in der Bonner Republik durchsetzen zu wollen, hätte zusätzlichen Rückhalts gebraucht. Den gab es weder von den Eltern noch ihrem Mann, der deutlich weniger Ungustl ist als der Vater, aber ein bissl eine Trantüte. Ihr Mann ist angeblich nie von der Familie akzeptiert worden, angeblich deshalb, weil es schon an der Stelle etwas unklar wird, was da Shedias Vorstellungen und Wünsche gewesen sind und mit welcher Brille sie regelmäßig auf das Geschehene schaut.

Es kamen die Kinder, eins davon war lange sehr krank, sie bleib daheim, wie man das so machte und man richtete es sich im Reihenhäuschen ein und häkelte den Horizont zu. So lange die Kinder klein waren, ließ sich in meinen Augen ganz gut mit der Situation leben. Ersten weil es einfach wahnsinnig viel zu tun gibt und zweitens, weil Shedia, als die Kinder klein waren, für eine gewisse Zeit gefunden hatte, wonach sie suchte.
Das Problem mit Kindern ist halt aber immer, die sind nur geborgt. Die Tage sind lang, die Jahre kurz und ratzfatz waren die größer und die Rastlosigkeit/Leere schlich sich wieder ein.

Der Vater erkrankte und verstarb und hinterließ Chaos und mögliche Erbstreitigkeiten.

Shedia suchte sich eine neue Aufgabe gegen den Willen ihres Manns und lernte dann auf ihrer Arbeitsstelle einen charmanten Witwer kennen, auf den sie sich dann, wie oben beschrieben irgendwie einließ.

Ausgegangen ist es dann, wie ich erzählt habe und inzwischen ist der Ehemann mit Parkinson diagnostiziert. Shedia ist damit letztlich wieder in die Rolle, der sich Kümmernden zurück gekehrt und jede Form von Wut und Trotz sich einen anderen Lebensweg zu suchen, bleiben erneut ungeliebt zurück.

Wenn ich Shedia lese, dann muß ich immer an die Tagebücher von Brigitte Reimann denken oder allgemein darüber ob ihr ein Leben in der DDR nicht besser gestanden hätte. Vielleicht empfinde ich das aber auch nur so, weil jedes einzelne Mal, wenn ich sie lese, bei mir das Gefühl aufkommt, daß es eigentlich um ein ungelebtes Leben geht.

Nicht allgemein, Kinder groß ziehen, eine Ehe zu leben, sich beruflich neu zu orientieren is no small feat at all, aber ich habe selten im Forum so sehr das Gefühl, daß da jemand ist, der so wahnsinnig mit eigentlich nicht sich, sondern dem gewählten Lebensweg ringt. Das wie ich empfinde Tragische, aber deswegen Lebensthema aus so Vorhersehbare ist, daß ihre wenigen Ausbrüche sie nur immer wieder in die gleiche Situation geführt haben.

Wenn du mich fragst, dann geht es überhaupt nicht darum, daß sie nicht über ihre Affäre hinweggekommen ist, was wie ich denke eben auch nicht stimmt, sondern daß sie sich an den Männern in ihrem Leben abarbeitet (und da ist der Herr Ehemann schon der netteste von allen, aber eben auch jetzt eher so naja), ohne zu sehen, daß es vielleicht überhaupt nicht um die Männer geht.

Sicher kann nicht aus jeder von uns eine Dönhoff werden oder eine Schwarzer, aber ich sehe so viel internalisierte Misogynie, wenn ich sie lese. Das aber in jedem Fall ist meine Wahrnehmung und damit teilweise auch meine Projektion, die kann stimmen, muß aber nicht.

Was aber in meinen Augen stimmt, es geht um ein Lebensthema. Ich würde mir für Shedia sehr wünschen, daß sie Wege findet, sich diesem doch mal zu nähern. Und sei es nur über die Frage, wer sie denn ist, ohne daß ein Mann sie bewertet.

03.04.2024 18:43 • x 6 #8


Saule1980
Zitat von E-Claire:
wenn ich sie lese, bei mir das Gefühl aufkommt, daß es eigentlich um ein ungelebtes Leben geht.

Ich habe das Gefühl, das betrifft viele Menschen. Dieses ungelebte Leben, was man dann irgendwann bitter bereut. Und das ist das Traurige. ..
Zitat von E-Claire:
Das wie ich empfinde Tragische, aber deswegen Lebensthema aus so Vorhersehbare ist, daß ihre wenigen Ausbrüche sie nur immer wieder in die gleiche Situation geführt haben.

Ja, das ist auch sehr traurig.

Vielen Dank für die Analyse. Ich kenne Shedia noch nicht lange, habe aber das Gefühl, dass das Geschriebene von Dir ziemlich gut zutrifft.

03.04.2024 19:08 • x 2 #9


M
Zitat von E-Claire:
Lebensthema



Das klingt spannend!
Mir fällt dazu der Film Brokeback Mountain ein, wo es u.a. auch darum geht,
nicht so leben zu können, wie man will.
Dafür kann es ja letztlich 1000 Gründe geben! -Tragisch ist es in jedem Fall.
Kennst Du Dein Lebensthema @E-Claire ? Du sollst es hier nicht benennen,
aber ist es Dir bewusst ?

03.04.2024 19:11 • x 1 #10


E
@E-Claire danke für die Aufklärung. Ich konnte nie wirklich das Mysterium Shedia verstehen, da ich noch nicht so lange im Forum bin.

Es liest sich unglaublich traurig und ich wünsche Shedia vom Herzen, dass sie ihre Sehnsucht stillen kann, die offenbar tiefer und bedeutsamer liegt als bei irgeindeinem Mann.

03.04.2024 19:33 • x 3 #11


B
Danke @E-Claire

03.04.2024 21:34 • x 1 #12


S
Danke E-Claire, ja ich lese hier noch mit und deine Analyse trifft mein Dilemma ziemlich genau. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der der Vater das unangefochtene Oberhaupt war. Meine Mutter war aufgrund ihrer Kriegstraumata viel zu schwach uns vor ihm zu schützen. Sie konnte sich noch nicht mal selbst schützen und so war sie sein verlängerter Arm und prügelte z.B. selbst, wenn sie überfordert war. Das war sie eigentlich ständig, denn mein Vater war aufgrund seines Berufes selten zu Hause. Mit ihr hatte ich allerdings am Ende ihres Lebens eine Zeit, in der wir täglich miteinander sprachen. Hier erzählte sie endlich von ihrer Geschichte und den Belastungen und gab ihre Fehler offen zu. So kam es zu einer Aussöhnung, die mir nach ihrem Tod eine aufrichtige und heilende Trauer ermöglichte.

Mit meinem Vater war das anders. Je kränker er wurde desto mehr zog er sich von mir zurück. Wir hatten nie eine gute Beziehung gehabt. Ich vermute, er war schon bei meiner Geburt maßlos enttäuscht, dass ich kein Junge war. Ich war nicht der ersehnte Stammhalter, ich war ein Mädchen, dazu noch ein kränkelndes, mageres und nicht besonders hübsches Mädchen. So wendete er sich mehr und mehr meiner Schwester zu. Sie war der Gegenentwurf zu mir, kräftig, pausbäckig und scheinbar stark, wie ein Junge. Zumindest war sie sehr sportlich und drahtig, während ich noch nicht mal die einfachsten sportlichen Übungen hinbekam. Wie denn auch, wenn man die Kindheit in Krankenbetten zubringt und von der Mutter aus Sorge und Überforderung im Laufstall gehalten wird.

Aber ich hatte das, was ich körperlich nicht ausleben konnte im Kopf. Lernen fiel mir leicht und machte mir Freude und so fand ich unter meinen Lehrern in der Schule später immer mal wieder Förderer, die z.B. für mich bei meinen Eltern erstritten, dass ich das Gymnasium besuchen durfte. Besonders das Schreiben hatte es mir angetan, da ich viel Fantasie hatte und mich in Tagträumen gerne in eine andere Welt flüchtete. Die Welt der Bücher und Geschichten. So machte ich gegen alle Widerstände ein sehr gutes Abitur, worauf man zu Hause nicht besonders stolz war. Im Gegenteil, meine guten Noten und meine Bildung machten mich endgültig zum Außenseiter in der eigenen Familie. Und als es um die Berufswahl ging, hinderte man mich schon wieder an der Verfolgung meiner Stärken sondern drängte mich statt dessen durch rigide Verbote in einen Berufszweig, der meinen Fähigkeiten nicht ansatzweise entsprach. Da blieb nur die Flucht nach vorne und so studierte ich nach meiner Ausbildung im gleichen diesem technischen Fach. Ich hatte die Hoffnung, mit einer höheren Qualifikation endlich so arbeiten zu können, dass es für mich Sinn machte. Doch weit gefehlt.

Die Wirtschaftslage kam mir diesmal dazwischen und so war ich froh und glücklich, überhaupt eine Stelle zu bekommen, die mich endlich finanziell unabhängig von meinen Eltern werden ließ. Ich ging in den Vertrieb und wurde dort noch unglücklicher als jemals zuvor. Aufgrund der Konflikte mit meinem Mann, der sich nie mit meinen Eltern verstand, war ich inzwischen weitgehend aus meiner Familie ausgeschlossen worden. Und als ich meine Kinder bekam, eines davon krank, hatte ich keine Unterstützung um meinen Beruf und somit meine finanzielle Unabhängigkeit aufrecht erhalten zu können. Die staatliche Kinderbetreuung steckte noch in den Anfängen und hätte nicht ausgereicht, um wirklich wieder arbeiten zu können. Schon gar nicht mit einem kranken Kind. So wurde ich erneut abhängig. Diesmal von meinem Mann und nicht von den Eltern. Zuerst war das für mich ok, denn ich fühlte mich von meinen Kindern gebraucht und somit endlich wertvoll.

Doch die Jahre gingen ins Land, die Kinder wurden groß und unser Sohn Gott sei Dank gesund. Ich versuchte, im Beruf wieder Fuß zu fassen und stieß auf immer mehr und teilweise unüberwindbare Hindernisse. Mein Mann verstand meine Sehnsucht nach Unabhängigkeit nicht und unterstützte mich nicht. Er verbot mir zwar nichts, ermutigte mich aber auch nicht und schaffte mir im Haushalt oder der Kinderbetreuung keinerlei Freiräume. Erst als die Kinder fast schon erwachsen waren und ich nach dem Tod meines Vaters, der mich zuvor enterbt hatte, meinen Pflichtteil bekam, war ich in der Lage mir eine Umschulung zu finanzieren, die mir die Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt ermöglichte. Da ich ja Hausfrau und Ehefrau war, hatte ich keinerlei Anspruch auf staatliche Förderung und musste diese Umschulung aus eigener Tasche bezahlen. Das kleine Erbe, dass ich mir bei meiner Schwester erstreiten musste, ermöglichte mir dies.

In meinen Ursprungsberuf konnte und wollte ich nicht mehr zurück. Zum einen war ich dort nie wirklich glücklich und zum anderen war ich zu lange raus. Niemand wollte mich dort. Wieder mal. Aber ich kämpfte mich zurück und traf auf den AM. Seine Anerkennung, sein Lob und seine Zuwendung waren wie Wasser, dass mich verdurstende Primel aufrichtete und aufblühen ließ. Dass diese Zuwendung nicht ohne Hintergedanken war, das durchblickte ich in meiner Verliebtheit nicht und so ließ ich mich wieder mal benutzen und gab alles hin, für dieses bisschen Anerkennung und Zuwendung.

Als der AM aber versuchte, mich loszuwerden, weil er endlich seine Beziehung mit B. leben wollte, da wurde ich wütend. So wütend, dass ich ihm das Leben zeitweise zur Hölle machte. Nicht schon wieder sollte mir ein Mann, der mich dermaßen benutzte und mich verletzte ungeschoren davon kommen. Ich wurde zur Stalkerin und wahrscheinlich zu seinem schlimmsten Albtraum. Ich glaube, auch heute noch gruselt er sich ein bisschen vor mir und das mit Recht. Ich habe dafür gesorgt, dass er bei unserer Chefin in Ungnade fiel und es Abmahnungen für ihn hagelte und ich habe B. wissen lassen, dass er sie mit mir betrogen hat. Ihre noch frische Beziehung hielt das nicht aus.

Ich kann nicht mal sagen, dass mir heute leid tut, was er durch mich mitgemacht hat. Vielleicht traf ich den falschen. Vielleicht hätte ich diese Wut schon gegen meinen Vater und gegen meinen Mann ausleben sollen. Wobei mein Mann hat sein Fett ja abgekriegt. Er wurde von mir betrogen und bekam auch die unappetitlichsten Details von mir brühwarm erzählt. Trotzdem wollte er mich zurück und er bekam mich zurück. Diesmal aber zu meinen Bedingungen. Das Büßerhemd trug ich nur vorübergehend und eigentlich halbherzig. Diese eine Affäre in meinem Leben hatte nicht ansatzweise ein Gegengewicht geschaffen zu dem Leid und den Demütigungen, die ich zuvor von den Männern in meinem Leben bekommen hatte. Die Affäre war meine Rache an meinem Mann, stellvertretend für alle Männer dieser Welt. Mein Amoklauf gegen den AM im Anschluss war meine Rache auch an ihm. Endlich einmal wollte ich den Männern in meinem Umfeld zeigen, mit wem sie es zu tun hatten. Meinem Vater konnte ich das ja nicht mehr zeigen, denn er war tot und so traf dieser Feldzug der Affäre die, die gerade zur Verfügung standen.

Und in diesem Forum wütete ich zuerst mal weiter. Diesmal gegen alle Moralapostel, die mir einreden wollten, dass ich gefälligst bereuen und mich am besten trennen sollte. Die Annehmlichkeiten, die mein Mann mir durch seinen Verdienst ermöglichte, hätte ich ja nun nicht mehr verdient. Ich sei feige, falsch und zu bequem, mein Leben alleine fort zu führen. Vielleicht war ich all das. Aber zuallererst war ich zutiefst verletzt und verwundet. Und als es mir wieder besser ging war ich vor allem eines: wütend!

Du stellst die Frage, wer ich eigentlich gewesen wäre, ohne die Männer in meinem Leben und meine Antwort ist, ich weiß es nicht. Vielleicht wäre ich eine Schriftstellerin geworden oder eine Lehrerin. Das wären wohl die Berufe, die meinen Talenten am ehesten entsprochen hätten. Vielleicht wäre ich aber auch eine Krankenschwester geworden oder gar eine Ärztin. Intelligent und schulisch erfolgreich genug war ich ja. Fakt ist aber, so wie ich war, so gedemütigt und klein gehalten war ich für alle diese Berufe zu schwach, zu wenig selbstbewusst und zu eingeschränkt in meinem Denken.

So arbeite ich jetzt in einem pflegenden Beruf, der mich das tun lässt, was ich am besten kann: Dienen und helfen. Und dadurch bekomme ich auf der anderen Seite die Zuwendung und Anerkennung, die ich zum Überleben brauche. Andererseits aber spüre ich inzwischen den dringenden Wunsch zu schauen, was ich denn noch sein könnte. Die Arbeit in diesem maroden Pflegesystem mit all seinen Mängeln erschöpft mich inzwischen zunehmend und ich verliere mehr und mehr die Lust daran. Da ich auch durch meinen Mann finanziell abgesichert bin überlege ich, diesen Beruf, den ich nun seit fast 12 Jahren ausübe, an den Nagel zu hängen. Die durchschnittliche Verweildauer einer Pflegekraft in ihrem Beruf liegt bei 9 Jahren. Da bin ich ja schon deutlich drüber und ich spüre, es wird Zeit für etwas neues. Was das sein könnte , das weiß ich noch nicht so genau. Aber ich habe ja Fantasie und werde mir etwas überlegen.

Ich bin ja auch frei genug inzwischen und nicht mehr auf finanziellen Erfolg angewiesen. Das eröffnet mir ungeahnte Möglichkeiten. Vielleicht bekomme ich heraus, wer ich wirklich bin oder zumindest, wer ich hätte sein können. Man sagt ein Kind braucht nur einen einzigen Menschen in seinem Leben, der an es glaubt und der es vorbehaltlos liebt. Ich hatte diesen Menschen nicht. Und wenn es in meinem Erwachsenenleben einen Menschen gibt, der immer und zu mir stand und mich geliebt hat, dann war und ist das mein Mann. Und das trotz allem, was ich ihm angetan habe. Diese Schuld trage ich und die verbaut mir vielleicht den Zugang zu meinen Gefühlen, die ich in mir für ihn habe. Ich erlaube es mir nicht, ihn wieder uneingeschränkt und unbeschwert zu lieben. Ihn zu lieben passt ja nicht zu den Gefühlen, die ich damals und teilweise auch heute noch für den AM hege. Den AM, so wie ich ihn mir erträumt hätte, wie ich ihn mir in meiner Fantasie zurecht bastele. Ein Bild dass er leider so gar nicht erfüllen konnte und wollte. Dieser Schuft.

Egal! Vielleicht schaue ich tatsächlich mal eine Zeit lang weg von beiden Männern und fokussiere mich auf das ungelebte Leben, was da in mir schlummert. Wer wäre ich ohne die Männer in meinem Leben, die mir Fesseln und Grenzen gegeben haben. Vielleicht mache ich mich irgendwann tatsächlich frei davon. Einen Versuch wäre es wert. Danke E-Claire!

LG Shedia

P.S.: @Löwin45 hier bin ich wieder. Ich habe dir ja versprochen, mich dir zu zeigen, wenn ich wieder da bin. Das tue ich also jetzt. Alles Liebe und Danke auch an dich.

04.04.2024 07:46 • x 5 #13


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