Lieber Luto!
Meine Fassade?
Ich beschreibe dir, was ich jetzt getan habe. Erster Impuls: Ich brauche Bücher. Bücher sind meine besten Freunde. Gleichzeitig hinterfrage ich mich: Willst schon wieder alles allein machen? Blinder Aktionismus?
Ich möcht das sofort und ungeduldig wieder in Ordnung bringen, fühl mich aber gleichzeitig so erleichtert.
Bevor ich mich unter die Menschenmassen am Samstag in der Stadt mische, überlege ich, ob ich mich nicht lieber schminken sollt, weil ich hab mal dort gearbeitet. Aha? Fassade aufpolieren? Mädl, du bist fast 50, du darfst sch. aussehen. Aber du darfst dir auch eine optimistische Fahrradpumpe kaufen.
Nichts ist mehr normal.
Ich bin eigentlich ein Fall wie aus dem Lehrbuch,was ich so gesehen hab. Eltern mit Suchtproblemen, Vernachlässigung, zu jung in eine destruktive Beziehung gerettet. In der Not hab ich gelernt unheimlich stark zu werden, was aber heißt, ich steige über mich drüber, als gäbe es mich nicht. D.h. meine männlichen Anteile kultiviert bis zum geht nicht mehr, nur um nie mehr schwach zu sein. Ich brauche nichts und niemanden, ich kann das allein, und ich informiere mich immer so lange, bis ich mich auskenne, denn dann bin ich unangreifbar.
Und weil ich meine starken Gefühle nicht ertragen konnte, habe ich sie mir mit viel Realität ausgeprügelt.
Dann kam noch folgendes dazu, und wenn ich das sage, habe ich Angst auf allerlei Tränendrüsen zu drücken.
Mein Ex hat sich lange nach unserer Trennung ein kleines Haus am Waldrand gemietet und renoviert, und weil er wußte, daß ich mir immer schon gewünscht habe, einmal ein Fliesenmosaik zu machen, hat er mir angeboten, mich auszutoben. Und dort hat mich eine Zecke gebissen, und ich bekam Borreliose. Das wurde aber sehr spät erkannt, die Symptome waren so vielfältig, die Wanderröte kam erst später, das war lange nur eine juckende Stelle. Die 6 Wochen Antibiotika waren für nichts, und seitdem muß ich mit CFS (Chronic Fatigue Syndrom) herumschlagen, das ist eigentlich eine Erkrankung des Immunsystems, weil Borrelien wahre Verwandlungskünstler sind, und das Immunsystem wird hyperaktiv in seiner Verzweiflung. Und Co-Infektionen kommenauch noch dazu. Dadurch sinkt der Serotoninspiegel im Blut, und du bekommst gratis Depressionen dazu. Und bist IMMER schwach und IMMER erschöpft.
Noch dazu kennt sich da kaum jemand aus, es ist unheilbar, die Ärzte nehmen dich nicht ernst, du solltest kämpfen aber du kannst grad nicht. Du solltest auch mit dem Teenager (damals) kämpfen, der da draussen sitzt aber du kannst nicht. Du überlegst stundenlang, wann du dich wieder im Bett umdrehen kannst, oder ob du genug Kraft hast aufs Klo zu gehen. Aber du MUSST einkaufen, du MUSST deinen Haushalt irgendwie auf die Reihe bekommen.Und gleichzeitig hast du Angst, daß dein Leben für immer so bleibt, du nie wieder stark wirst, denn du erholst dich selbst nach 18 Std. Schlaf nicht. Und erst nach 10 Jahren wurde, nach meiner intensiven Recherche, die Diagnose gestellt. Vorher hieß es: Erschöpfungsdepression.
Und jetzt sehe ich die Parallelen, ich hab mir einfach nichts erspart, der Schmerz hat sich einfach einen anderen weg gesucht. Und sobald ich nur irgendwie arbeiten konnte, hab ich gearbeitet, meine Existenzängste waren mein Antrieb. Dann wieder Zusammenbruch. And so on. Meine, jetzt offensichtliche, Schwäche versuchte ich durch viel Leistungsfähigkeit zu kompensieren. Aber ich hatte gar nichts mehr. An Beziehungen war in der Zeit gar nicht zu denken, aber eine hab ich gehabt, BINGO, einen Narzissten im Liebeskummer, den ich trösten wollte, und der nichts besseres zu tun hatte, als anzudocken. Und ich war ja so bedürftig. Ich war also wieder in einer Situation gefangen, wo ich etwas ausgeliefert war, dessen ich nicht Herr werden konnte, meine Wahrnehmung wurde von Autoritäten nicht anerkannt, und ich war so schwach wie noch nie. Meistens dauern diese Episoden ca. 15 Jahre. Ein besonders Störendes Symptom ist die Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus, ich hab mich irgendwann meinen Schlafstörungen ergeben, und begonnen Nachts zu arbeiten, da wurde ich dann wenigstens nicht mehr so oft krank. Nur die Auswahl ist halt beschränkt.
Man darf die Macht der Schmerzen nicht unterschätzen. Ich habe mich einfach in eine NOCH ärgere Situation bringen müssen, weil ich ja so superstark war. Und ich habe es großteils sogar überwunden, habe gelernt mir meine Energien einzuteilen, meine Schwäche zu akzeptieren, mehr auf mich aufzupassen, achtsam zu sein. Ich hab gelernt mich zu fragen, wie ein kleines Kind: Soooo, was magst du jetzt? Bist du müde? Hast du Hunger? Magst ein Eis? Magst mit jemandem reden? Weil die Depressionen machen einen ja so unkommunikativ.
Und was tue ich? Trotzdem?
Ich arbeite zuviel, bin immer nur auf Autopilot, denn der macht das super, während ich innerlich wegbreche. Aus Angst nicht schlafen zu können, und noch mehr Probleme zu haben, nehme ich Medikamente. Ich nehme auch Antidepressiva (18 Jahre), sonst wäre ich nur ein Häufchen heulendes Elend, und jedes Mal, wenn ich ausschleichen will, passiert irgendetwas Arges, und ich kann nicht. Eine Psychologin in einem Kriseninterventionszentrum, das ich mir einmal erlaubte, meinte ich soll nicht so hart zu mir sein, das eher so sehen, als wäre ich Diabetiker, die fragen sich auch nicht, ob sie wirklich Insulin brauchen, oder wollen es aus Stolz nicht nehmen.
Mahhh, ich muß leider immer so ausführlich werden, weil das großen Raum eingenommen hat. Und mich erschlägt die Dimension des Ganzen.
Gleichzeitig bin ich irgendwie so dankbar, ich kann es nicht erklären, daß da etwas ist, das mich niemals aufgibt, es schickt mich in die Hölle und retour, aber nur weil ich mich sonst selbst zerstöre.
Muß Pause machen..
pferdediebin
03.06.2017 17:51 •
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