Zitat von pferdediebin:@Ema
Er ist nur ein Symbol für etwas anderes.
Und wenn du gefunden hast, was du vor dir versteckst, dann wird der Schmerz weggehen.
Deine Welt wurde erschüttert, wie ich glaube, und zwar gewaltig.
Dein Vertrauen und dein Glaube an Liebe stehen da wie *beep* Waisenkinder.
Oh. ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Ja. Er ist ganz sicher ein Symbol für etwas anderes. Was da gerade aus mir heraus und in mir zusammenbricht, da kann so ein einzelner armer Mensch gar nicht für verantwortlich sein.
Ob er das aber 'nur' ist oder nicht doch auch noch einfach für sich selbst steht, da bin ich mir noch nicht so sicher.
Und ja. Meine Welt wurde gewaltig erschüttert. Ich weiß echt gar nichts mehr. Glaube an gar nichts mehr. Oder anders: Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Das müsste sich vielleicht erst neu herauskristallisieren.
Es ist zwar schön, wenn alles offen ist - irgendwie - aber auch kaum auszuhalten. Wahnsinnig anstrengend. Ermüdend bis zur totalen Erschöpfung.
Das mit den Waisenkindern hast du sehr schön gesagt. Ich habe es in einem der vielen Briefe an mich selbst, die ich den letzten Monaten geschrieben habe, einmal ähnlich formuliert:
Dieser Mensch ist an Teile von mir herangekommen, die ich selbst so gründlich weggesperrt habe, dass ich ihre Existenz völlig vergessen hatte. So viel Liebe. So viel Vertrauen. So viel Ich-Weiß-Nicht-Was.
Sie lagen vergraben in einem Verlies in meinem Inneren - wie Kinder, die nach einem zu langen und zu harten Tag in tiefen Schlaf gefallen sind.
Jetzt sind sie wach und ich weiß nicht wohin damit. Sie wollen doch gar nicht in einer Welt sein, in der niemand sie braucht und vermisst.
Ich wollte sie an der Hand nehmen und zurückführen an den stillen Ort des Vergessens. Aber es gelingt mir einfach nicht. Es ist mir nicht gelungen.
Jetzt versuche ich es gar nicht mehr. Aber du hast recht. Sie stehen da und ich weiß nichts mit ihnen anzufangen. Habe das Gefühl, ihnen kein Zuhause bieten zu können. Nur eine dunkle und gefährliche Räuberhöhle. Wahrscheinlich lasse ich sie gerade schon wieder im Stich.
Übrigens hatte ich kein Schnuffeltuch als Kind, sondern einen kleinen Teddy.
Den habe ich immer mit mir rumgeschleppt. Tag und Nacht. Nachts habe ich ihn unter mein Schlafanzugoberteil geklemmt, so dass nur der Kopf herausgeschaut hat, damit er, wenn ich schlafe, nicht aus dem Bett purzeln kann. Wenn ich nämlich morgens aufgewacht bin und er lag auf dem kalten, harten Linoleum, dann ist mir das Herz vor Mitleid gebrochen.
Für mich war er lebendig.
Es gibt nicht viele Fotos von mir als Kind. Aber auf den paar wenigen, die es gibt, trage ich diesen Teddy im Arm.
Ich habe ihn immer noch. Er ist völlig abgewetzt und augenlos inzwischen. Und ich klemme ihn nicht nicht mehr unter meine Klamotten.
Zu meiner großen Schande muss ich jetzt, wo ich drüber nachdenke, zugeben, dass dieser Teddy wohl das letzte Wesen war, für das ich so viel Liebe und Mitgefühl empfunden habe. Bevor ich irgendwann auf meinem Weg sehr hart geworden bin.
Nein. Stimmt nicht. Für Tiere hatte ich es immer, das Mitgefühl. Für meine Pferde und Katzen und alle, die sonst noch meinen Weg gekreuzt haben.
Und ich habe mir immer die ausgesucht, die sonst keiner wollte. Weil sie zu wild und kratzbürstig waren, nicht verschmust genug, oder zu scheu und ängstlich, oder so viel Furcht vor Menschen entwickelt hatten, dass sie jeden zerkratzt oder abgebuckelt oder angegriffen haben. Oder vor jedem nur noch weggerannt sind.
Für die hatte ich immer ein großes Herz. Da hab ich meine ganze Kraft und Energie reingesetzt, um ihnen in monate-oder jahrelanger geduldiger Arbeit das Vertrauen zurückzugeben, ihnen die Wut und die Angst zu nehmen.
Und ich konnte mir in keiner Doku, keinem Spielfilm Szenen anschauen, in denen Tiere gequält, unter unsäglichen Bedingungen zum Schlachter gefahren werden oder Ähnliches. Da musste ich ausschalten oder zumindest die Augen zusammenkneifen und den Ton ausschalten. Sonst hätte ich Rotz und Wasser geheult. Ich - die ich sonst nie eine Träne vergossen habe, so hart es auch kam.
Warum habe ich all diese Empathie nie für Menschen gehabt? Ich weiß es nicht. Von Menschen habe ich mich - ziemlich weitgehend - eher ferngehalten.
Von einigen Freunden abgesehen. Und am liebsten nicht zu viele auf einmal. Das hat mich schnell überfordert. Kein Wunder, wenn man tendenziell das Gefühl hat, von Feinden umgeben zu sein. Sehr anstrengend, seine Aufmerksamkeit überall zu haben, um einen möglichen Angriff parieren zu können
Es gibt viele Parallelen in unser beider Leben, Pferdediebin. Aber dein Helfersyndrom hatte ich nie. Wie auch, unter diesen Bedingungen?
Deshalb war Aikido, das ich vor ein paar Jahren begonnen habe, auch ein so großer Fortschritt für mich. Es ist ähnlich wie Reiten. Man sucht sein eigenes Gleichgewicht und bewegt sich im Rhythmus und größtmöglichen Einklang mit einem anderen Wesen. Fühlt sich hinein. Bemüht sich, dessen Bewegungen und Absichten zu antizipieren und sich darauf einzustellen. Die Gefühle des anderen zu erkennen, um damit umgehen zu können.
Aber im Unterschied zum Reiten hat man es im Aikido mit MENSCHEN zu tun. Dieser hochgefährlichen und bedrohlichen Spezies.
Wie mutig von mir, mich darauf einzulassen.
Und dann, als ich gerade anfing ein wenig Vertrauen zu fassen, das Leben schön zu finden, zu begreifen, dass sogar Menschen einem nicht ständig Böses wollen und nicht NUR angreifen (paradox, das im Rahmen einer Kampfkunst zu lernen, oder?), gerade da ist ein Vertreter dieser Spezies aufgekreuzt und hat mir das Herz gebrochen, das gerade begonnen hatte, sich ein wenig zu öffnen.
Und ich Schaf kann ihm nicht einmal böse sein.
All die Wut, die ich so lange mit mir rumgeschleppt habe und die mir immer eine gute Rüstung und Waffe zugleich war, ist weg. Einfach weg.
Nicht nur ihm gegenüber. Einfach weg.
Und ich bin ziemlich schutzlos. Nur noch Schmerz.
Und inzwischen gehe ich manchmal an Leuten auf der Straße vorbei, die so sind, wie die Tiere, auf die ich so lange meine Energie gerichtet habe, Menschen, die scheu sind oder sehr wütend und bissig, und mir kommen die Tränen. So im Vorbeigehen. Denn ich rieche den Schmerz und die Angst hinter ihrem Zorn.
Und es sind viele. Sehr viele.
Und wie soll das jetzt weitergehen? Wo soll ich hin mit alldem?
Und dazu mit meiner eigenen Angst und meinem eigenen Schmerz und - nicht zuletzt - mit meiner großen Sehnsucht?
Weiß das jemand?