Also, wenn man wirklich einfach mal hier so reinschreiben kann, dann mach ich es jetzt wirklich mal. Mir ist gerade so arg danach.
Habe viel über eure Kommentare und Anregungen nachgedacht. Wenn ich anfange, über meine Familiengeschichte nachzudenken, dann wird es mir ganz schlecht. Dann komme ich aber auch sehr schnell an meine Grenzen, denn eines der Symptome dieser Familie (väter- und mütterlicherseits) ist, dass alle irgendwie abhauen und keiner weiss wohin.
Ich kannte meine Grosseltern nie. Auch keine Onkel und Tanten (bis auf einen, der ist aber auch erst aufgetaucht, als ich etwa sechs war).
Meine Grossmutter hat es fertiggebracht, zwei von ihren drei Kindern während des Krieges im Stich zu lassen und bei anderen Leuten zu parken. Nur die älteste Tochter blieb bei ihr. Meine Mutter kam zu den Grosseltern als sie drei war. Die Mutter ihrer Mutter war da aber auch schon in zweiter Ehe. Vom ersten Mann hatte sie sich scheiden lassen (sehr ungewöhnlich in dieser Zeit).
Irgendwie hat meine Mutter den Kontakt zu allen verloren. Ihre Mutter und die älteste Schwester sind nach Kanada abgehauen, irgendwann.
Ihren Bruder (der weniger Glück hatte als sie, denn er kam im Krieg zu ganz fremden Leuten) hat sie dann irgendwann wiedergefunden, als ich sechs war oder so.
Die Schwester und ihre Mutter in Kanada hat sie wiedergefunden, als ich schon erwachsen war. Meine Grossmutter habe ich nur einmal gesehen. Sie hatte auch kein Interesse. Weder an mir, noch an ihrer eigenen Tochter.
Bei meinem Vater muss es noch schlimmer gewesen sein. Er war der älteste von drei Söhnen. Der Vater ist im Krieg gefallen. Die Mutter muss Erzählungen nach sehr schlimm gewesen sein. Offenbar hat er mit zwölf bei irgendeinem Bauern gearbeitet und gewohnt, der ihm dafür Kost und Logis gegeben hat und ab und zu auch mal einen Korb voll Essen für die Mutter und die beiden kleinen Brüder.
Mein Vater war also von zu Hause weg seit er zwölf war und hat sich durchgeschlagen. Seine Eltern habe ich beide nie kennengelernt. Kontakt zum Rest seiner Familie hatte er auch keinen.
Erst vor wenigen Jahren habe ich seinen noch lebenden Bruder aufgetrieben und ihn besucht (mein Vater selbst ist schon lange tot).
Der hat mir Andeutungen gemacht, dass die Mutter sehr schlimm gewesen sein muss. Er hat sich aber nicht näher dazu auslassen wollen. Nur gesagt, dass er selbst mit vierzehn als Schiffsjunge auf der Rheinschiffahrt angeheuert hat, um zu Hause wegzukommen. Warum es zwischen den drei Brüdern keinen Kontakt gab, wollte er aber auch nicht so recht sagen.
Mein Vater ist dann irgendwann zum Bundesgrenzschutz und später zum Bund gegangen, weil er dort so etwas wie eine Ausbildung bekommen hat, ohne dafür zahlen zu müssen. Geld hatte er ja nicht.
Ich glaube, er hat immer darunter gelitten, dass er gern mehr gelernt hätte und nicht konnte. Er war immer wissenshungrig. Hat sich alles mögliche selbst angeeignet. Englisch und Französisch zum Beispiel. Und ich erinnere mich, dass er die Welt fürchterlich gehasst hat.
So bin ich also aufgewachsen mit meinen Eltern und sonst so gut wie keiner Familie. Nur der eine Onkel, der aufgetaucht ist, als ich sechs war.
Mein Vater war schwerer Alk.. Mit fürchterlichen Wutausbrüchen. Dann hat er alles kurz und klein gehauen. Meine Mutter, die Möbel, meine Brüder und manchmal auch mich (mich am seltensten).
Irgendwann als ich knapp sieben war ist meine Mutter bei Nacht und Nebel aus der Wohnung geflohen, weil sie dachte, er bringt sie diesmal wirklich um. Er hat wohl solche Absichten geäussert.
Das hat dann die Scheidung eingeläutet. Meine Mutter hat für ein paar Wochen Zuflucht bei Freunden gefunden und ging nie mehr zurück. Wurde aber offenbar noch jahrelang von ihm bedroht, weil sie ihn verlassen hat.
Anlass für mögliche Traumatisierungen gibt es also genug.
So genau weiss ich das aber nicht, wel meine Mutter die einzige Quelle ist, und diese Quelle ist nicht zuverlässig. Man kann ihr höchstens ein Drittel glauben und man weiss nie, welches Drittel.
Ist echt so. Keine Übertreibung. Meine Mutter redet sich die Welt schön. Und alles, was nicht schön ist, wird schön gemacht. Alle Menschen sind lieb und zuverlässig. Ihre Grosseltern waren grossartig. Alles und jeder war und ist grossartig. Auch ihr zweiter Mann. Ein ganz lieber Mensch (er ist fürchterlich). Nur ich bin nicht grossartig. Aber das hatten wir ja schon.Und wenn wirklich etwas Unschönes passiert, dann wird es in den Erzählungen und Erinnerungen meiner Mutter immer schöner mit der Zeit. Bis sie sich irgendwann gar nicht mehr erinnert, dass es stattgefunden hat. Das geht bis hin zu Autounfällen, die sie leugnet. Inzwischen ist sie so weit, dass sie nicht mehr weiss, dass sie in ihrer ersten Ehe schwer geprügelt wurde und ihre Kinder auch. Es gab Streit, ja, aber keine Gewalt!.
Schwer dissoziativ nennt man so etwas, glaube ich.
Also, eine mehr als unzuverlässige Quelle, wenn es um Familiengeschichten geht. Und auch, wenn es um mögliche Traumata geht.
Warum sie gerade mich so wenig grossartig findet, wo doch sonst immer alles und jeder prima ist, weiss ich nicht. Keine Ahnung.
Ich bin jedenfalls der guten Familientradition gefolgt und mit 17 zu Hause abgehauen. Vorher war ich aber schon fast zwei Jahre lang fast ständig nur bei irgendwelchen Freunden. Als ich ging, hatte ich keinen Schulabschluss, weil ich vom Gymnasium geflogen war. Weil ich zu der Zeit ständig beki. war und ausserdem rebelliert habe. Gegen alles und jeden und die Schule ganz besonders. Aber den Bildungshunger habe ich wohl von meinem Vater. Irgendwie habe ich später alles nachgeholt. Realschulabschluss auf der Abendschule, dann eine Lehre, dann Abitur auf dem Abendgymnasium. Dann bin ich ein paar Jahre durch Frankreich und Spanien getingelt und danach hab ich studiert.
Zum Glück hab ich meine Dro.karriere mit sechzehn beendet. Und nach Alk. war mir nie. Da hatte ich mehr Glück als meine Brüder. Die hängen alle beide schwer am Tropf.
Der jüngere meiner beiden Brüder (beide sind viel älter als ich), war auch ständig weg. Immer wieder mal für ein oder zwei Jahre weg, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Zuletzt war er zwanzig Jahre weg, ohne dass ich wusste, wo er steckte. Inzwischen weiss ich es wieder.
Aber von Zusammenhalt und Familiengefühl kann man da nicht so recht reden.
Mit dem älteren kann man inzwischen auch nicht mehr reden. Da hat der Alk. inzwischen so schwere Schäden angerichtet, dass er nach einer Viertelstunde vergessen hat, was er vor fünfzehn Minuten erzählt hat oder worum es ging.
Komisch, dass ich bei all der Bildung, die ich mir ja doch angeeignet habe, nie ernsthaft auf die Idee gekommen bin, dass man aus so einer Familie eigentlich kaum rauskommen kann, ohne selbst auch einen schweren Schaden zu haben. Komisch, dass ich mich jetzt ernsthaft wundere, warum mir plötzlich alles vor die Füsse kracht. Warum ich total zusammenkrache.
Na ja. Wird Zeit, dass ich mich drum kümmere.
Aber zurück zum eigentlichen Thema.
Why not meinte, es müsse ja nicht immer ein gutes Verhältnis zwischen Mutter und Tochter geben. Tatsächlich habe ich versucht, es so zu halten. Ich dachte, wir sind einfach vom Wesen viel zu unterschiedlich. Das wird nix. Lassen wir es gut sein. Halten wir einfach Abstand.
Ohne Zorn. Ohne Groll. Den Groll hatte ich früher, weil ich es nicht ertrug, dass sie ständig die unschöne Wahrheit geleugnet hat und vor allem mir einreden wollte, dass nicht nur meine Erinnerungen falsch sind, sondern ich darüberhinaus ein ganz bösartiges Geschöpf bin, weil ich solche bösen Sachen behauptet habe, die doch gar nicht stimmen.
Heute kann ich (einigermassen) damit leben. Als Kind konnte ich es nicht.
Dieses lassen wir es einfach gut sein funktioniert aber nicht. Denn wenn ich Kontakt habe, werden die Verletzungen ständig erneuert und ich schaffe es nicht, drüber zu stehen. Das geht schon mit harmlosen Dingen los. Sie begrüsst mich mit einer Umarmung und ihr erster Kommentar ist: Gott, bist du dürre! (Wir haben ja bereits verstanden, dass ich furchtbar hässlich bin). Und das gehört wirklich zu den sehr harmlosen Dingen.
Wenn ich gar keinen Kontakt habe (wie ich es zwischendurch jahrelang immer wieder mal gehalten habe), bekomme ich langsam ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sie behauptet ja, dass sie mich liebt. Sie behauptet, dass sie den Kontakt gern hätte. Und sie wird alt. Alt und ziemlich krank. Sie sieht kaum noch was. Wie also soll ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich nicht ein bisschen um sie kümmere?
Und wenn ich es tue, wie soll ich vermeiden, dass meine Wunden ständig wieder aufplatzen? Selbst wenn ich sie verstehe? Selbst wenn ich weiss, dass sie es ganz sicher nicht leicht hatte und vermutlich das Beste gegeben hat, was ihr möglich war? Das ändert nichts daran, dass mir ihr Verhalten und ihre Worte immer und immer wieder fürchterlich wehtun.
Und erschwerend hinzu kommt, dass ich die einzige bin, die fürs Kümmern infrage kommt. Ihre beiden Söhne findet sie zwar ganz grossartig (und umgekehrt auch), aber die haben sich beide dermassen den Kopp zu Mus gesoffen, dass sie einfach zu nichts zu gebrauchen sind. Geschweige denn dafür, zuverlässig zu sein. Kohle haben sie auch keine, alle beide nicht, da sie es nie zu einem zivilen Beruf mit einigermassen vernünftigem Einkommen geschafft haben.
Ich weiss es nicht. Ich sehe so recht keine Lösung. Ganz abgesehen davon, dass ich gerade fürchterlich mit mir selbst beschäftigt bin und eh erstmal schauen muss, wieder auf die Beine zu kommen.
Gott. Tut mir leid. Keine Ahnung, ob das irgendjemanden interessiert. Aber mir war gerade echt mal danach, das alles aufzuschreiben.
Vielleicht fällt ja sogar irgendjemandem etwas dazu ein...
24.06.2017 23:12 •
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