Liebe Kontra!
Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich muß dir hier mehr Raum geben, und ich rechne mir das als total unnarzistisch an *Schulterklopf* Und ich finde es grandios, daß du dich hier öffnen kannst, daß du uns vertraust.
Hier ist das wilde, freie Netz und keine geschützte Selbsthilfegruppe, das ist nicht so selbstverständlich. Aber vielleicht ist die Botschaft: Man muß sich dem stellen! so deutlich, daß es nur Leute interessiert, die ehrlich sind.
Hier ist kein Banalitäten-Phrasen-Tröste-Pool, und schon gar kein Ponyhof und da kann echtes Lernen und nachhaltiges Trösten passieren. Hier werden Pferde gestohlen! Große!
So, jetzt habe ich lange überlegt, wie ich mich deinem Thema nähere, und ich verlasse mich auf mein Gefühl, ich nehme große Zerrissenheit wahr, Resignation. Und ich verlasse mich auf meine Botschaft, behandle dein eigenes Zeug, vielleicht ist meine Geschichte irgendwie hilfreich.
Aber was ich nicht glaube, ist, daß du niemals heilen kannst. Vielleicht kannst du niemals ganz heilen, aber es wird dich nicht mehr loslassen, es hat dich jetzt genau da, wo es dich haben will. Und es wird Schritt für Schritt leichter, dem Pfad zu folgen, man gewöhnt sich ans Gelände, sieht das ferne Ziel immer deutlicher, und: Man wird immer glücklicher dabei. Allein das ist es wert, ihn zu beschreiten. Kein innerer Kampf mehr, und ich hätte das nie, nie, nie geglaubt, daß das geht, so sehr war das meine Natur. Und du machst bereits Schritte, du bist hier gelandet, ich glaub absolut nicht mehr an Zufälle. Und Selbstmitleid ist hier gerne gesehen. Wir sind weibliche Narzissten (ok, ich zumindest) und wir sind daran gewöhnt, nichts zu fühlen, da ist ein gesundes Selbstmitleid mal ein guter Anfang.
Ich habe übrigens das Gefühl, daß ich streng und finster und depressiv rüberkomme, dem muß ich massiv widersprechen. Im Alltag bin ich (...gut mit Medikamenten eingestellt) wirklich absolut lustig. Ich jammere so schwarzhumorig vor mich hin, daß die Leute sich die Bäuche halten. Ich kann über mich selber gut lachen, Kunststück als Narzisstin, wenn ich mich selber runtermache, komme ich damit jedem zuvor. Aber es macht mich auch menschlich. Ich bringe gern Sachen auf den Punkt, wenn andere ewig herumeiern, ich bin superfindig in Problemlösungen. Richtig witzig fand ich einmal einen kleinen Bangladeshi in meiner Arbeit, der konnte kaum deutsch, hat mich aber immer freudestrahlend begrüßt, mit : Ich hasse mein Leben! Wahrscheinlich hat er geglaubt ich begrüße alle so, wenn ich in die Arbeit komme (Ich muß schon wieder so lachen).
Aber natürlich habe ich nur meine Not versteckt mitgeteilt, denn wer lächelt, hat noch Reserven. Ich will nicht, daß sie sich sorgen, ich schone alle vor der grausamen Wahrheit, daß ich mich eigentlich grad lieber vor die Strassenbahn schmeissen möcht, ich sage es nur im Scherz. Weil ich eigentlich heulen, kotzen und schreien gleichzeitig will, es würgt mich in der Kehle, aber ein mitleidiges Wort ließe jetzt die Dämme brechen, und das ist nicht die richtige Zeit oder der richtige Ort. Es ist halt so. Bis ich nach Hause komme, fühle ich nichts mehr, meist habe ich den ganzen Tag nichts gegessen und essen macht mich müde.Hoffentlich! Denn sobald ich versuche zu schlafen, rennt alles ab, der ganze Horrorfilm des Tages, ich sehe alle Fehler, die ich gemacht habe. Und mir wird heiß vor Scham, und ich überlege Strategien, wie ich das besser verbergen kann, daß ich ein unfähiger Idiot bin, mit offensichtlichen Problemen in der Stressbewältigung. Dann träume ich von der Arbeit, ich stecke in Situationen, die ich nicht mehr überblicken kann, und bin kopflos und verzweifelt, und bringe nicht mal ansatzweise was auf die Reihe. Und dann wache ich auf, und fahre in die Realität, ein neuer Tag im Paradies. Und ich lebe eigentlich nur, weil ich noch nicht tot bin.
Meine Eltern sind schon tot. Meine Mutter hatte ein kurzes, verzweifeltes Leben. Mit 5 Mutter verloren, als älteste Tochter mußte sie sich um zwei jüngere Geschwister kümmern. Mit 16 ungewollt schwanger, das Kind kam kurz nachdem ihr Vater starb. Sie war froh, daß sie ihm das nicht beichten mußte. Sie wurde aus dem Haus geworfen, alle 5 Kinder zerstreuten sich in der Welt. Sie nahm eine Arbeit als Zimmermädchen an, wo auch mein Vater Gastarbeiter war. Ihr Sohn mußte ins Kinderheim, weil sie selbst noch unter Fürsorge stand.
Die beiden verliebten sich, sie wurde wieder schwanger, auf dem Hochzeitsbild ist sie 18, im 8. Monat, trägt ein geliehenes Kleid, sie sieht so süß aus, daß es mir das Herz bricht. Sie war immer sehr mitfühlend, hat sich auch gut durchgeschlagen, sie war ein fleißiger Mensch, sie hat meinen Vater sicher mit ihrer guten Seele beeindruckt. Sowas hat er sicher nicht gekannt. Er kam zur Welt, als sein Vater schon im Krieg gefallen war. Im letzten Kaff, wo es absolut nichts gab. Der schlief noch auf Strohsäcken, und stahl sich sein Essen bei den umliegenden Bauern zusammen. Dafür wurde er von den Bauern geschlagen, und anschließend noch mal von der Mutter, die ihren Hass auf seinen Vater schlecht verbergen konnte, der sie ja kurz vor seinem Tod wegen einer Deutschen verlassen hat. In der Schule mußte er auf Holzscheiten knien, und Überraschung! wurde auch noch geschlagen. Er war ein verstocktes, undurchdringliches Kind, er hat sich eine Panzerung zugelegt, die sich später physisch auf sein Herz übertragen hat. Weil er nie mehr hungern wollte, ist er Metzger geworden, und das war sicher der härteste Lehrberuf damals. Er wurde unheimlich stark, er war nicht sehr groß, aber gebaut wie ein Stier. Und meine Mutter wollte unbedingt, daß ich seine grünen Augen erbe, zu ihren dunklen Haaren. Wurde leider nix draus.
Der Anfang war dann schwierig, meine Eltern hatten einen großen Freundeskreis, wollten eigentlich in Deutschland bleiben, aber seine Mutter täuschte eine Herzkrankheit vor und zwang ihn heimzukommen. Und da begann das Elend.
Er arbeitete in Wien, sie war mit der Schwiegermutter allein, die sie grundlos inbrünstig hasste, allein die Tatsachen, daß sie eine Deutsche war und ein uneheliches Kind hatte, machen meine Großmutter unbarmherzig. Mein Vater war wieder mit seinen Jugendfreunden unterwegs und begann mit ihnen zu trinken. Auf dem Land ist das so üblich. Sein Bruder schaffte es, ihnen in Wien eine Wohnung aufzutreiben, und es wurde besser. Sie hatten ein soziales Netz, die Geschwister meiner Mutter kamen vorbei, oft war richtig volles Haus. Es wurde natürlich auch gefeiert und getrunken, nur mein Vater hat dann irgendwie nicht mehr aufgehört zu feiern. Er trank in der Arbeit mit seinen Kollegen, ging nach der Arbeit ins Wirtshaus, wo mich meine Mutter dann hinschickte ihn zu holen. Sie arbeitet nachts, damit sie tagsüber bei uns sein konnte. Was in der Praxis hieß, sie schlief am Tag, mein Bruder war in der Schule, und ich war allein. Ich hab begonnen herumzustreunen, hab die Tür angelehnt, und bin mit der Strassenbahn spazieren gefahren. Wenn mir etwas bekannt vorkam, hab ich dort die Leute besucht. Die haben dann natürlich meine Mutter angerufen. Dann habe ich begonnen Geld zu stehlen, und hab mir Süßigkeiten gekauft, da hat mich mein Vater richtig versohlt und man hat mir gesagt, sie bringen mich in ein Kinderheim. Und ich war nicht mal erschrocken darüber, ich hab nur geweint, weil sie mir kein Gewand meiner Mutter mitgeben wollten, denn das würde ich brauchen, wenn ich groß bin. Ich war anscheinend sicher, hier will mich sowieso keiner haben.
Mein Vater soff immer mehr, zerstörte jede Familienfeier, meine Mutter versuchte uns vor ihm zu beschützen. Er konnte ganze Abende damit zubringen, uns zu erzählen, wie verwöhnt und undankbar wir sind, steigerte sich immer mehr rein. Meine Mutter versuchte verzweifelt die Fassade aufrecht zu erhalten, war immer nur am arbeiten und putzen. Er wurde immer unzufriedener, unzuverlässiger, ungerechter, er kam heim wie eine dunkle Wolke und alles wurde still, keiner wollte Angriffsfläche bieten. Er trank bis er müde wurde, stand auf und ging arbeiten, soff dort weiter. Und er war nie krank, hat nie gefehlt, wie eine Maschine. Meiner Mutter ging natürlich irgendwann die Kraft aus, erst nahm sie Beruhigungsmittel, dann trank auch sie. Vielleicht versuchte sie ihm einen Spiegel vorzuhalten. Als kleines Kind hatte ich oft Alpträume, immer wieder die gleichen, ein riesiges Monster, dunkel und haarig hat mir in der Wohnung aufgelauert, ich hatte auch unheimliche Angst, wenn ich alleine war. Fühlte mich ständig beobachtet, verfolgt. Dunkle Schatten zogen in meine Phantasiewelt, Dämonen.
Ich hatte also nicht nur einen unberechenbaren, trinkenden Vater, der sich keinen Deut für mich interessierte, der mich auch offensichtlich hasste, jetzt war auch der Fels in der Brandung eingestürzt. Meine Mutter verwandelte sich im Rausch, es war entsetzlich. Sie war Quartaltrinkerin, und es kam für mich trotzdem immer unerwartet. Ich kam von der Schule heim, und roch es schon. Der dumpfe Geruch nach Wein, vermischt mit kaltem Rauch, sie war nicht in der Arbeit, das hieß, ich mußte den Arbeitgeber anrufen, und sie krank melden. War mir immer sehr peinlich. Meist versuchte ich dann ihre Vorräte zu finden, ich kannte alle Verstecke, und sperrte mich im Klo ein, und schüttete es weg. Wenn sie mich nämlich dabei erwischte, schliff sie mich an den Haaren im Kreis. Sie taumelte durch die Wohnung, immer auf der Suche nach Zig. oder Feuer, hinterließ überall Brandlöcher, ihr Gesicht, blöde entgleist, im angepissten Nachthemd. Und Quartaltrinker sind anders als Spiegeltrinker, die trinken sich bewußtlos, bis sie nicht mehr können, dann folgt die Ernüchterungsphase, da sind sie dann schuldbewußt, geloben Besserung. Plötzlich machen sie dir Vorwürfe, weil deine Schulleistungen unter aller Sau sind. Richten wieder ihre Fassade auf, und es wird nicht mehr darüber geredet. Wenn sie entlassen wurde, suchte sie sich was Neues, und das Spiel begann von vorn. Mein Vater war hilflos angesichts der Katastrophe, und tat sich unheimlich leid, was er mir stundenlang schilderte. In seiner hilflosen Wut, weil ihn schon ihr Anblick provozierte, begannen die Schlägereien. Er hatte nichts anderes gelernt, er wollte sie mit Gewalt normalisieren. Und sie war im Suff extrem hemmungslos, da hörten wir dann Sachen, die wir nicht wissen wollten. Sie forderten sich gegenseitig heraus, mit ihren Vorwürfen und dann ging es los.
Und mein Vater war eine Naturgewalt mit seiner rohen Kraft und sie wehrlos wie eine Puppe. Und dazwischen war ich. Manchmal hatte ich Erfolg, oder ich schaffte es, sie räumlich zu trennen. Ich kam mir vor wie ein Dompteur, wußte, daß Vernunft sinnlos ist, gab kurze Anweisungen, drohte mit Polizei. Irgendwie versuchte ich wenigstens aufzuräumen, für oberflächliche Ordnung zu sorgen. Inzwischen kam ich in die Pubertät, unheimlich früh, war wie ein Fremdkörper unter all den kleinen Kindern. Niemand brachte mir bei, wie ich mit diesem ganzen weiblichen Zeug umgehen soll. Meine Mutter zeigte sich zwar offen für heikle Themen, aber sie war selber unheimlich verklemmt, konnte mir nicht recht helfen. Mein Vater hat das Wort S., glaube ich, noch nie in den Mund genommen, da hätte ich mit einem verschämten Stein reden können. Und ich war so hässlich, ich wuchs wie Unkraut, keiner zeigte mir die Geheimnisse der Frauen. Ich war immer eine gute Schülerin gewesen, lernte mühelos, las viel. Aber irgendwann verweigerte ich. Meine Eltern hatten davon geträumt, daß ich als Erste der Familie studieren würde. Aber als ich aus dem Gymnasium flog, mit unzähligen Nicht-Genügend und einem Genügend im Betragen haben sie sich das wohl abgeschminkt. Ich wurde furchtbar. Mir war alles egal, ich hielt den Mund nicht mehr, weder daheim noch in der Schule. Ich sagte das, was keiner hören wollte, und schiss auf die Konsequenzen. Ich wurde Granit. Ich hatte bald einen älteren Freund, bei dem ich einzog, da war ich 15. Und dann zum nächsten Freund, das war mein erster Narzisst. Er war 23, für mich ein Erwachsener, und ich suchte Halt und Sicherheit.
Der hat mich durch die Gehirnwäsche-Mangel getrieben, bis ich nicht mehr wußte, ob der Himmel wirklich blau ist. Und ich wurde weich und formbar wie Butter. Ich hab zwar weiter gekämpft, aber sinnlos mit der Steinschleuder. Ich hab mich einfach wieder abgespalten, und den Irrsinn irgendwie durchgehalten. Nichts Neues. Hab mich in Sachen treiben lassen, wo ich Dummchen wußte, wie das ausgeht, aber ich hatte keine maßgebende Stimme. Aber ich hatte keine Grenze, was das aushalten betrifft. Aber die Geschichte habe ich schon erzählt.
Ich hab jetzt keine Ahnung, wie lange das geworden ist,aber ich drücke einfach auf Absenden.
Ich kann mir nie vorstellen, daß das, was ich schreibe, irgendwem hilft. Ich fühl mich grad so ausgehöhlt. Und ich hab auch grad das Bedürfnis zu sagen: Bitte kein Mitleid, so schlimm war das doch gar nicht. Aber, das war es. Ich weiß, es gibt schlimmere Schicksale. Und ich tu mir so schwer, meinen Eltern wirklich böse zu sein, sie tun mir entsetzlich leid dafür, daß sie in ihren Mustern feststeckten. Und damals war noch keine Rede von Therapie, Trauma oder inneren Kindern.
Ich habe sie mal Jahre später konfrontiert, meine Mutter hat sich gewehrt, nein, so arg war das gar nicht, da hab ich geheult vor Wut. Sie hat da nämlich noch immer gesoffen, und meinem inzwischen trockenen Vater quartalsweise alles zurückgezahlt. Mein Vater sagte wenigstens: Es tut mir leid. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es tun. Das war zumindest besser als abstreiten. Ich tat mir auch zeitlebens schwer, meine Wahrnehmung ernst zu nehmen. Wenn jemand was anderes sagt, dann ist das viel gewichtiger. Ich nehme noch immer an, daß ich so unwichtig bin, daß es einfach nicht zählt, was ich fühle. Es hat auch nie gezählt, was ich fühle.
Aua, Schei.ße da ist es. Ich bin dort wo ich hinsollte, ich danke dir Kontra. Ich geh heulen.
24.06.2017 01:20 •
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