@whynot
ich verstehe Deine Gedankengänge sehr gut, teile sie auch, denke aber, dass es mit diesen von Dir beschriebenen Einsichten z.B. über die Eltern nicht getan ist.
Zitat: Deine Mutter hat offensichtlich alles einfach hingenommen, weil..... Wenn man dies seinerseits versteht, halbwegs zumindest, dann verbindet sich damit gleichsam auch automatisch das Verzeihen, und das wiederum befreit einen auch von diesen negativen Emotionen. Beharrt man hingegen darauf, daß man mies, ungerecht, falsch, lieblos, unterdrückend usw. behandelt worden ist, wertet man es als bewußte Übergriffe gegen sich, nimmt man es persönlich und leitet daraus ab, daß man ja gar nicht anders kann, als wütend und hassend zu sein, daß man alles verständliche Recht hat dazu, so kommt man niemals zu einer grundlegenden Befreiung von dieser ganzen Last....
meine Gedanken sind jetzt natürlich sehr subjektiv, ich habe keine wissenschaftlichen Forschungen betrieben aber ich habe früher genau wie Pferdediebin viele Bücher gelesen, so z.B. auch über Destruktivität, Interviews mit Mördern usw. Und mir ist aufgefallen- wohl auch angesteckt durch Alice Millers Literatur- dass insbesondere schwer destruktive Menschen ihren eigenen Eltern gegenüber oftmals, nicht immer, ein sehr mildes Urteil haben. Entweder leben sie in der kompletten Verleugnung Meine Kindheit war schön!, oder sie haben angeblich verziehen, oder es wird gesagt Sie haben ihr Bestes gegeben..., Sie konnten nicht anders....
Offenbar scheint eine milde Haltung gegenüber den Eltern also nicht zwangsläufig zum inneren Frieden zu führen
Mein eigener Bruder hat die größte Gewalt durch meinen Vater erlebt. Ich selbst erinnere es und mir schaudert. Mein Bruder aber, der des Leidens und Klagens nicht müde wird, hat ausgerechnet gegenüber seinem Vater diese milde Haltung. Seine Aggressionen bekommen andere zu spüren.
Ich selbst bin in meine erste Therapie mit dieser Haltung gegangen: ja, es ist viel Mist passiert, aber ich bin niemandem böse, sie hatten es selbst so schwer und konnten daher nicht anders, ich habe allen verziehen...
Dennoch war ich krank und schwer depressiv.
Zudem habe ich viele Menschen kennengelernt, die in irgend einer Weise psychisch krank sind. Kann auch eine Dro.genabhängigkeit etc. sein. Fast alle klagten
nicht ihre Eltern an.
Auf meiner jahrelangen Odyssee nach Heilung habe ich mit vielen Psychologen gesprochen, tonnenweise Bücher gelesen. Fast überall wurde ich ganz schnell mit dem Thema des Verzeihens, um des inneren Friedens Willen konfrontiert. Ich hatte ja schon damals das Gefühl, niemandem verzeihen zu müssen, dennoch fühlte ich nichts als Widerstand, wenn ich davon hörte oder las. Es fühlte sich immer wie eine Ausbremsung der Gefühle des Leidenden an: Stopp! Bitte verzeihen!
Und dann traf ich irgendwann auf Alice Millers Literatur. Da las ich nun etwas ganz anderes. Das Verzeihen kommt aus dem inneren heraus und zwar von ganz alleine. Es ist aber völlig widernatürlich, es sich ohne emotionalen Entwicklungsprozess über zu stülpen, denn im Inneren sieht es oftmals ganz anders aus. Und diese Gefühle lassen sich auch nicht durch die Einsicht, dass Kindheitsverletzungen ja eigentlich nicht gegen einen selbst gerichtet waren, wegdrücken.
Denn das ist reine Theorie, die mMn allein keineswegs von seelischen Schmerzen erlöst.
Gerade merke ich, dass wir einen ähnlichen Dialog hier schon einmal hatten. Naja, weiter im Text
Ich bekomme nur einfach einen Ganzkörperausschlag wenn ich vom Verzeihen lese. Ein Verzeihen kann man nicht erdenken, es ergibt sich aus einem emotionalen Prozess. Meiner Erfahrung nach jedenfalls.
Bei mir persönlich war es also so, dass ich durch A. Miller erstmals in meinem Leben die Berechtigung fühlte, all meine Kindergefühle auch erleben zu dürfen. Eine der größten Erleichterungen meines Lebens! Erstmals in meinem Leben durfte ich meinen Kinderschmerz fühlen und monatelang weinte ich. Es war sowas von wohltuend.
Als Kind durfte man sie nicht ausdrücken, sonst wäre man ja nicht so krank gewesen. Man passte sich halt an, um emotional zu überleben.
Danach kämpft man sich dann krank durchs Leben.
Und bestenfalls merkt man irgendwann dass man ein verwundetes Menschenkind ist.
Sodann geht`s auf die Suche nach Heilung. Und dabei wird man nur zu oft mit Kommentaren wie diesen konfrontiert Jetzt bist du aber erwachsen, klage nicht über deine Kindheit, verzeihe deinen Eltern...
Es ist also an keinem Punkt im Leben einmal möglich gewesen, seine Gefühle von Schmerz, Wut usw. wirklich zu artikulieren. Und das ist es, was meiner Erfahrung nach krank macht.
Darf man sich einmal wirklich ausdrücken mit all seinen Gefühlen, dann kehrt irgendwann von ganz alleine der innere Frieden ein und auch das Verzeihen stellt sich ein.
Jemanden aber dazu aufzufordern, ist mMn eine kleine Vergewaltigung der Gefühle.
Zudem ist es nicht allein die Vergangenheit, die einen krank macht, oftmals verletzt man sich als erwachsener kontinuierlich selbst, indem man sich genau wie zu Kinderzeiten weiter selbst verleugnet: man konfrontiert z.B. die Eltern aus etlichen rationalen Erwägungen nicht mit der Wahrheit. Man weiß z.B.- ja, sie lebten ihr Leben lang in der Verleugnung und es wäre zu schmerzhaft wenn sie im Alter ein verpfuschstes Leben zurück blicken müssten. Also schweigt man eifrig weiter.
Mir geht es hier keineswegs darum, in ewiger Anklage gegenüber den Eltern zu leben, ich selbst fühle heute nicht mehr die geringste Anklage gegenüber meinen Eltern in mir.
Was aber krank macht, emotional gefangen hält ist, die weitere Selbstverleugung in Gegenwart der Eltern. Ich habe nach hundertjährigem Nachdenken und Nachfühlen gemerkt, dass es nichtmal meine Kindheit ist, die mich so krank macht, nein, es war die fortgeführte gegenwärtige Selbstverleugnung in vielen kleinen Alltagssituationen.
Eingebrannt in mein Gehirn und Herz hat sich z.B. verliebtverliebts unendliches Schreien. Das ging mir durch Mark und Bein. Ebenso Kontras Verzweiflung bei der Autofahrt mit ihrem Vater. Ich kenne solche Gefühle. Sie hörten auf, als ich begann, mich auch im Kleinen nicht mehr vor meinen Eltern zu verleugnen. Dazu bedarf es nichtmal unbedingt eines Hinweises auf die Kindheit, nein, im Hier und Jetzt zu sich selbst zu stehen und alles abzubrechen, was einem emotional nicht gut tut, das ist heilsam. Und man merkt es sofort, wenn man für sich eingestanden ist: die tiefen Gefühle der Verzweiflung, der innere Krieg stellen sich sofort ein.