Hallo Marie26,
dass es für Dich verwirrend ist, kann ich gut verstehen. Manchmal hilft es, die Dinge mit etwas zeitlichem Abstand noch einmal zu lesen, wenn man eine größere emotionale Distanz dazu hat.
Kennst Du das Vier-Seiten-Modell von Schulz von Thun? Dabei geht es im Grunde genommen darum, dass Kommunikation immer mit vier Zungen gesprochen werden und mit vier Ohren gehört werden kann. Der Sender hat die Beziehungs-, die Sachebene, die Appellebene und die Selbstkundgabe. Der Empfänger der Botschaft hat dieselben Ebenen, aber eben auf seiner Seite. Wenn Dir also Dein Freund etwas auf der Ebene der Selbstkundgabe sagt und Du das auf der Beziehungsebene auffast, kann das dazu führen, dass seine ehrlichen Worte bei Dir als Kritik oder Erwartung ankommen. Oft fällt einem das aber erst im Nachhinein auf, wenn man nicht mehr so emotional involviert ist.
Versuch doch, in ein paar Tagen noch einmal über Euer Gespräch nachzudenken. Vielleicht schreibst Du Dir das, was er sagte, einfach mal auf wie in einem Gedächtnisprotokoll. Einfach ganz sachlich, was er sagte; vielleicht schreibst Du auch auf, welche Stimmung Du bei ihm wahrgenommen hast, wenn Dir etwas erwähnenswert erscheint.
Mir hilft das, weil ich oft nach ein paar Tagen wichtige Details vergesse. Ich habe solche Gespräche meiner besten Freundin in einer Sprachnachricht wiedergegeben und auch irgendwann angefangen, mir das mal abzuschreiben aus dem Gesagten. Dabei wurde mir etwas offensichtlich, das mir zuvor total verborgen geblieben war, als ich noch emotional voll in der Situation war.
Zu Eurem Gespräch:
Ich denke, dass er ehrlich zu Dir war. Er hat vieles gesagt, das gar nicht mal so schön und auch nicht sonderlich vorteilhaft ist. Das ist meiner Meinung nach hier durchaus zumindest ein starkes Indiz für Ehrlichkeit. Außerdem finde ich total nachvollziehbar, was er sagt.
Zitat:Er meinte er vermisst seine Ex Freundin, bzw. das was man erlebt hat, aber er ist sich sicher mit der Trennung.
Kann ich absolut verstehen. Du hast meine eigene Geschichte nun gehört und auch meine letzte Erfahrung gründet im Prinzip genau hierauf. Ich war zuletzt in einer Beziehung, in der er auch noch nicht über das Erlebte hinweg war und sich bei einem Treffen mit mir an eine lustige Situation erinnert hat, die er in einer gemeinsamen Wohnung der beiden erlebt hat. Als er dann einige Tage später diese Wohnung via Google gesucht und gefunden hat, hat er einen Rückschlag erlebt und die Erinnerungen an die guten Zeiten waren voll wieder zurück.
Ich dachte damals, er liebt seine Ex noch. Und nicht einmal das hätte mich besonders verwundert oder gestört, denn ich hätte es irgendwie verstanden. Jeder von uns definiert doch Liebe ein wenig anders, jedenfalls ist nicht jeder derselben Meinung. Und eine starke Verbindung mit Zuneigung zu jemandem, vielleicht auch noch gepaart mit Vertrauen, also mögliche Rückstände einer langen Beziehung, die erst ein halbes Jahr vergangen ist, kann man durchaus Liebe nennen - zumindest doch platonische Liebe. Er antwortete mir übrigens damals, dass er sie nicht mehr liebt, es aber trotzdem hart ist. Hier sehe ich klare Parallelen zwischen Deiner Geschichte und meiner.
Dass er seine Ex vermisst, kann ich auch aufgrund dessen, was ich Dir in meinem vorigen Beitrag erzählt habe, wirklich gut nachvollziehen. Und ich finde es gut, dass er Dir das so deutlich sagt. Es ist sicherlich nicht leicht für Dich, damit umzugehen, vor allem, weil es die Frage aufwirft, ob sein Herz überhaupt schon bereit ist. Im Prinzip hat er Dir gesagt, dass das nicht der Fall ist, jedenfalls verstehe ich ihn so. Aber eigentlich könnte er Dir das beantworten. Ich entnehme seinen Worten, dass er Zuneigung zu Dir empfindet, vielleicht sogar wirklich viel davon. Dass Du ihm nah bist und dass er sich wünscht, dass daraus mehr entsteht, glaube ich auch.
Ich finde es übrigens eine gute Idee, es langsam angehen zu lassen. Es gibt keinen Grund dafür, sich in etwas zu stürzen, das nur scheitern kann, weil es jetzt einfach noch zu früh ist. Und es wäre wirklich schade, wenn eine schöne Liebesgeschichte an zu viel Tempo scheitern würde. Ihr habt Euch vielleicht einfach zum falschen Zeitpunkt kennengelernt, aber es spricht nichts dagegen, sich jetzt schon deutlich zu machen, dass Ihr den Zeitpunkt eben etwas korrigiert und Euch bis dahin nicht ganz loslassen wollt.
Die Frage ist, ob das für Dich etwas ist, das Dich glücklich machen kann. Du wirst nicht einschätzen können, wie lange er noch braucht. Es können noch Monate vergehen. Es besteht die Gefahr, dass er sich irgendwann nicht mehr zurückhalten kann und das Tempo beschleunigt, obwohl er noch nicht soweit ist. Manchmal merkt man die heiße Herdplatte eben erst, wenn man sich verbrennt.
Ich will Dich auf jeden Fall vorbereiten.
Nicht unbedingt warnen, weil das vielleicht nicht nur anmaßend, sondern auch unfair gegenüber Deinem Freund wäre, dessen Verhalten ich anhand der Schilderungen hier beurteilen muss, da ich ihn nicht persönlich kenne und auch nicht irgendwelche vorschnellen Urteile fällen will, die ich an einer breiten Masse festmache.
Ich will Dich darauf vorbereiten, dass Liebesgeschichten, in denen einer noch nicht wirklich bereit ist, sehr schmerzvoll sein können. Es kann schmerzvoll sein, zu merken, dass einem Liebe vorenthalten wird, weil sie noch nicht zugelassen werden kann, da sie den, der sie empfindet, mehr belastet als schön für ihn ist.
Ich will Dich darauf vorbereiten, dass es dauern kann, bis Du das bekommst, was Du eigentlich bekommen solltest: uneingeschränkte Liebe, weil Du es wert bist, geliebt zu werden - um Deinetwillen.
Vielleicht versuchst Du, keine reine Herz- oder Kopfentscheidung zu treffen, sondern eine Bauchentscheidung. Soweit Du Dich überhaupt entscheiden musst oder möchtest und es Dir hier nicht nur um unsere Einschätzung zu Eurem Gespräch geht.
Wann werdet Ihr Euch wiedersehen?