Liebe Johanna,
ja, wir hatten noch eine Art Freundschaft. Natürlich ging die von mir aus, von wem auch sonst? Ich war ja bedürftiger als er.
Es erschien mir als ein Mittel, die Not des Abschieds zu lindern. Denn dieser Mann war ja so wertvoll! Nicht zu vergessen, dass er mich ja Tag und Nacht beschäftigte. Während der Beziehung hatte ich mehr und mehr den Kontakt zu mir selbst verloren, ich war wie ferngesteuert. Da das so allmählich ging, merkte ich es zunächst nicht mal. Aber mein ganzes Interesse galt irgendwann fast nur noch ihm und der Beziehung. Warum nur war er so? Warum war unsere Beziehung so schwierig.
Dass wir ein klassisches Beziehungsmuster hatten, wusste ich damals noch nicht. Ich dachte mir nur immer, nur wir hätten diese einzigartigen Probleme. Auch diese Gedanken sind typisch: meine Beziehung ist ganz besonders und lässt sich nicht mit anderen vergleichen.
Und auch das machte die Trennung so schwer. Von einer Minute zur anderen hatte ich praktisch meinen Lebensinhalt verloren. Was interessierte mich denn noch groß außer ihm, dem wundervollen Mann, der immer unerreichbar blieb!
So bot ich ihm also die Freundschaft an. Die gestaltete sich so, dass wir zunächst noch recht häufig telefonierten, einfach um uns auszutauschen. Als ich dann zum Therapeuten zu einer Beratung ging, schrieb ich ihm per Mail und das schien ihn tatsächlich noch zu interessieren.
Dann war wieder mal drei Wochen Funkstille, ehe ich doch wieder anrief.
Ganz ehrtlich, es tat mir nicht gut. Es verlängert lediglich den Abschied, der unweigerlich irgendwann doch kommt. Ein Ex-Back würde es nicht geben, das wir mir klar. Dennoch hoffe ich, ich könnte für ihn wenigstens eine Freundin sein, wenn schon nicht die Eine. Und ich hoffte und dachte mir, er wird ja nicht gleich eine Andere haben, weil er hat ja das was er will. Das Alleinsein, das ihm immer wichtig war.
Oftmals quälte mich Eifersucht, wenn er sagte, was er am WE machen würde. Andererseits konnte ich ja auch nicht fragen, mit wem er sich rumtrieb. Das hatte mich als EINER Freundin ja nicht zu interessieren. Aber ich glaube, da war schon was.
Er berichtete nämlich von einer seltsamen Unternehmung , irgendwas mit Kultur und irgendein neuartiges Konzept. Er sei dorthin eingeladen worden.
Aha, denk, denk, wer lädt den denn dorthin ein? Tja, wie gesagt, fragen konnte ich nicht, aber es beschäftigte mich natürlich doch. Was war da dahinter?
Zwei Wochen später fragte ich ihn mal so beiläufig-scheinheilig: Sag mal, Du warst doch damals auf dieser eigenartigen Veranstaltung. Wie war denn das?
Er berichtete lang und breit, was mich nicht interessierte. Denn ich wollte ganz was Anderes wissen. Wie das mit der Einladung denn war? Wie sollte ich das herausfinden.
Ich wusste, dass er ein phänomenal kurzes Gedächtnis hatte, was Dinge betraf, die er mir erzählte. Ich merkte mir alles, er vergaß wahnsinnig viel, weil es ihm ja gar nicht wichtig war, was ich so daher brabbelte oder was wir mal ausgemacht hatten.
Da fragte ich dann: Sag mal, wie bist Du denn eigentlich darauf gekommen?
Er: Hmppff, ööööh, weiß ich nicht mehr. Muss ich wohl in der Zeitung gelesen haben oder so!
Ich kannte ihn: Ööööh, war immer sehr verräterisch, weil er es als Denkpause brauchte.Und dann die Aussage: Muss ich wohl ....
Ja klar, das sagt Jemand, der eine Ausflucht sucht. Und dann noch das oder so. Auch das war immer ein Indiz für eine Lüge.
Also war es klar. Er hatte gelogen, denn das mit der Einladung von wem auch immer stimmte, was er mir aber nicht erzählen wollte, weil es von Bedeutung war. Es war nicht Jessica oder Sandra oder sonst irgendwer, mit dem er mal rumzog, es war was Anderes.
Es war wie immer. Wenn ich was fragte, was er nicht beantworten wollte, kamen Ausflüchte. Richtig ehrlich, wann war er das schon?
Ich wusste zwar so viel wie vorher, aber diese Sache hatte durchaus eine besondere Bedeutung. Ich schob das weg. Geht Dich nichts an, er lügt allerdings weiter und es wird schon nichts sein.
Die Angst, er könnte schon die Nächste haben, ging aber dennoch um.
Tja. Es ging noch einige Zeit weiter. Eine Bekannte war in jungen Jahren an Krebs gestorben, wie er berichtete.Und er war letzthin auf einem Tangokonzert. Das tat mir weh, denn ich liebe Tangomusik. Mit mir ging er nicht, wahrscheinlich war auch nichts geboten oder wir wären eh nicht hingegangen, denn wir könnten ja gesehen werden. Eifersucht keimte auf.
Schön sei es gewesen, sagte er. Ob er allein dort war oder mit wem, sagte er nicht und ich fragte nicht. Hätte eh nur eine Ausrede gehört oder eine Lüge.
Es war niederschmetternd. Jetzt tat er Dinge, die ich gerne mit ihm unternommen hätte.Mein Herz schmerzte, denn ich war ja schon draußen aus seinem tollen Leben. Meines war weniger toll.
Im Februar dann kam der Klassiker. Er schrieb mir eine Mail. In letzter Zeit hatte ich mehr geschrieben als er, war mir schon aufgefallen. Aber ich bemühte mich immer noch, ihn in meinem Orbit zu halten, ich ließ nichts unversucht, ihn zu interessieren. Ein Blinder mit Krückstock hätte erkannt, dass er nicht mehr zog, dass ich ihm egal war. Aber ich war zu dumm dazu.
Er schrieb also, er habe spontan (eines seiner Lieblingswörter, bei dem sich mir schon die Nackenhaare sträubten, weil er es ständig gebrauchte!) beschlossen, seiner Kollegin XY beim Umzug nach E-stadt zu helfen. E-Stadt war ein paar Hundert Kilometer entfernt.
Er habe zwar jetzt Halsweh und das Wetter ist gräßlich, aber es würde schon gehen.
Dieser Satz diente dazu, dem ganzen einen Anstrich von Bedeutungslosigkeit zu geben. Ich sollte denken, er habe vor lauter Edelmut seine Dienste angeboten, aber eigentlich würde er jetzt doch lieber zu Hause bleiben. Aber blöd, ich habe es ihr ja angeboten, also muss ich jetzt doch.
Egal, meinte er, ein paar freie Tage werden mir gut tun! Ich überlegte. Häh, ein paar freie Tage. Hallo, es war Samstag! Und er werde sich am Montag melden, wenn er wieder da sei.
Ich saß das, las das zweimal und dann verstand ich. Der half nicht nur beim Umzug, er hängte gleich eine Woche Urlaub in E-Stadt an! Dann war mir alles klar. Dieses komische Kultur-Event, der Tangoabend und jetzt die ach so selbstlose Hilfe beim Umzug. Läppische 500 km, da hilft man doch gerne!
Oh Mann, es war so weit. Er hatte eine Neue, eine Kollegin, die die Stelle wechselte. Sie war mir vom Namen her auch bekannt, er hatte sie schon während unserer Beziehung ab und an erwähnt.
Irgendwie zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Jetzt war ich endgültig abgemeldet. Er würde sich natürlich nicht am Montag melden und das war auch so.
Ich sagte auch nichts. Ein paar Wochen später setzte ich ihm das Messer auf die Brust und schrieb: Du hast Dich nach dem Umzug ja nicht mehr gemeldet. Ich wollte nur wissen, ob wir den Kontakt jetzt ganz einstellen sollen. Ich wünsche mir eine klare Antwort, weil ich unklare Zustände nicht schätze.
Die Mail hatte ganz klar einen aggressiven Unterton. Die Retourkutsche kam umgehend:
Du hast auf meine letzte Mail nicht geantwortet (was hätte ich denn schreiben sollen, viel Spaß beim Bettenaufbauen vielleicht?), ich habe zweimal angerufen und Du hast nicht abgehoben (das war wahrscheinlich gelogen, denn natürlich hätte ich abgehoben). Ja, ich möchte den Kontakt einstellen. Es ist besser so. Mach's gut und viele Grüße.
Das waren seine letzten Worte. Nett. Mein Haß war unbeschreiblich. Ich wünschte ihm alles Übel dieser Welt. Er sollte verunglücken, auf dem Weg nach E-Stadt und dann im Rollstuhl sitzen. Oder noch besser sterben.
Nun ja, weder ist er verunglückt noch gestorben. Und im Grund genommen hat er nichts Schlechtes getan. Er hatte die Neue, als ich weg war. Vielleicht war sie auch der Grund für die Trennung.Aber er hat mich schon in der Beziehung oft die Wahrheit nicht gesagt. Das habe ich ihm nachgetragen. Er war kein schlechter Mensch, aber hatte doch keinen guten Charakter. Daher würde ich heute auch keinen Kontakt mehr mit ihm haben wollen.
Ich sehe ihn heute nüchtern und sachlich und muss sagen, dass er eine Verirrung war, die ich hochstilisiert hatte.
Daher mein Rat: Zieh die Sperre durch. Alles andere tut nur weh. Ich denke, dass es kaum Jemanden gelingen kann, von Beziehungswunsch und Trennungsschmerz eine Freundschaft zu etablieren. Die Freundschaft tut nur weh, solange man gefühlsmäßig so drin hängt.
Begonie
Wir hatten eine Fernbeziehung mit 150 km und außerdem war er ja nur eine Affäre. Affären sind meistens sehr leidenschaftlich, das ist die Natur der Affäre. Wir sahen uns während der Beziehung im Schnitt alle zwei Wochen, wo wir von Freitag Abend bis Sonntag Abend zusammen waren. Insofern hatten wir keinen Alltag. Die Beziehung entwickelte sich nicht positiv, sondern negativ, weil das Machtgefälle recht schnell zu Tage trat. Und damit geht es keinem gut. Dennoch, ein Aufgeben wäre für mich nie in Frage gekommen.
Diese Beziehung ergriff Besitz von mir. Obwohl wir uns eher selten sahen, telefonierten wir recht häufig, immer nach der Arbeit und wir hatten auch Kontakt per Mail.