Liebe @Florentine
Heute ist ein für mich sehr besonderer Tag und um diesem zu Gedenken, schreibe ich hier zu Deinem schönen Thema.
Die Trauer um den sehr plötzlichen und viel zu frühen Tod meiner Mutter hat mich vor bald zehn Jahren in dieses Forum geführt und letztlich auch lange hier gehalten. Denn Umgang mit Verlust, dem Ende ohne Abschied und wie macht man weiter, wenn nichts mehr so ist, wie es vorher war, sind ja durchaus zentrale Themen hier.
Zitat von Florentine: ich merke, dass mir so jegliche Erfahrung im Umgang damit fehlt,
Der Umgang mit dem Tod ist tatsächlich ein bißchen auch Erfahrungssache. In den letzten zwölf Wochen habe ich inzwischen vier (4,5, darauf komme ich ganz zum Schluss zurück) mal den Satz, xyz ist verstorben, gehört. Erfahrung heißt aber nicht, daß es leichter wird, es heißt einfach nur, daß man vertrau(er)ter im Umgang mit der Komplexität der Gefühle wird.
Weißt Du Trauer, ist nicht immer nur Traurigkeit über den Abschied oft genug mischt sich da zB auch das Gefühl von Erleichterung hinein. Erleichterung, wenn der, der geht, lange gelitten hat zum Beispiel. Erleichterung, wenn einem langen schmerzhaften und ungelösten Kapital des eigenen Lebens, endlich zumindest faktisch nichts mehr hinzugefügt werden kann.
Trauer ist immer vieles. Oft genug heißt es, die Trauer kommt in Wellen. Für mich stimmt das, andere erleben das anders. Was in jedem Fall stimmt, ist dass das gelebte und nicht gelebte Leben, großen Einfluss auf die Trauer danach hat.
Zitat von Florentine: Ich würde ihm gerne noch einiges sagen, merke aber, dass ich das gar nicht kann, weil ich dann so weinen muss.
Es gibt keinen richtigen oder falschen Abschied. Abschied ist.
Für mich war es bisher immer so, daß es immer einen Moment gab, in dem sich der Fokus verändert hat. Den eigenen Verlust zu betrauern, danach hast Du alle Zeit der Welt, es gibt einen Moment (für mich), in dem der, der geht, Erlaubnis, Rückversicherung, ein Loslassen braucht, ein Du darfst jetzt gehen, es ist ok.
Manchmal ist das ganz offensichtlich und irre laut, wenn der Abschied viel zu zeitig kommt, der andere überrascht und ungläubig noch kämpft, weil dieser noch so viel vor hatte; manchmal ganz leise, ein letztes Zögern, ein habe ich alles getan, ein darf ich jetzt gehen.
Gehen lassen, diese Erlaubnis geben, unabhängig von der eigenen Gefühlswelt, dem anderen versichern, er hätte alles gegeben, ist ein achtsamer und entlastender Schritt. Manche fordern diesen ein, andere können das nicht, sie gehen aber auch erst, wenn sie diese Erlaubnis bekommen haben.
Es hilft dazu anwesend zu sein, aber Du kannst das zu jedem Zeitpunkt an jedem Platz der Erde tun.
Hinfahren ja/nein, wenn ja wie oft:
Es gibt Menschen, die ein nicht hinfahren bereut haben. Das sind dann auch die besonders lauten Stimmen, wenn man selbst in der Situation ist.
Meine Einschätzung dazu ist folgende: Außerhalb der sehr grauenhaften Situation, daß ein Verhalten direkt zum Tod beigetragen haben könnte, also man streitet sich, der andere steigt wutentbrannt ins Auto und verunfallt, spiegelt hinfahren oder nicht hinfahren als Entscheidung nur die allgemeine Reue wieder. Verlust und Trauer sind wie Flutlicht und zwar nicht gerichtet auf das letzte halbe Jahr, sondern die Beziehung zueinander für ein ganzes Leben. Jedes noch so kleine oder große gemeinsame Glück, aber eben auch jeder einzelne Konflikt, alles, was ungelöst geblieben ist, wird voll ausgeleuchtet. Die kleinen längst vergessenen Ungerechtigkeiten, bähm direkt da.
Denn neben Traurigkeit, Erleichterung nimmt auch die Reue beim Leichenschmaus Platz.
Hinfahren und ein letztes mal die Hand nehmen, in deinem Fall nach spüren, wie die große, kräftige Hand deines Großvaters, welche dich gestützt hat, zu einer fragilen, knochigen Hand geworden ist, kann sehr viel mehr tun, als es Worte überbringen könnten.
Es sagt einem keiner, aber es gibt auch unter den Trauernden eine Hierarchie, mir ist die aus persönlichen Gründen sehr zuwider, aber ich versuche mal das außen vorzulassen.
Zitat von Florentine: auch für und wegen meiner Großmutter, die nach fast 70 gemeinsamen Jahren nun allein ist.
Die ersten Tage und Wochen nach dem Tod, sind unfassbar mit Kram vollgestopft. Da muß vielleicht eine Wohnung ausgeräumt werden, die Beisetzung wäre zu organisieren, Leute gehören informiert, Behördengänge - in Deinem Fall, wird Deine Großmutter aller Wahrscheinlichkeit nach einiges zu tun haben, um Verträge umschreiben zu lassen, eine neue Rente zu beantragen und je nach Gestaltung in Zukunft Unterstützung bei Kontoführung, Steuererklärung und Rechnungen brauchen. Die ersten Wochen sind für die direkt Hinterbliebenen Tage voller Überforderung und Aufgabenlisten bis zur Unendlichkeit.
Danach wird es still.
Verlust und Stille bedingen einander. Leider eben für jeden, auch die, die beim Verlust nicht im Fokus stehen. Trauer ist egozentrisch, wir denken nicht an die Nichte, die nur den Großvater (Onkel) hatte, weil die Schwester ne gemeine Mama war. Wir sehen die Großmutter, zum ersten Mal nach 70 Jahren allein und übersehen die Tochter, die stillschweigend so viel übernommen hat und nun den Vater zu Grabe trägt. Wir sehen den Ehemann und die noch junge Tochter und übersehen die Mutter, die hochbetagt, am Grab des eigenen Kindes steht.
Trauer kommt mit Stille, die Hierarchie der Trauer macht, daß wir in dieser Stille, auf die, die weiter hinten stehen, schnell vergessen.
Zitat von Florentine: Ja, vielleicht ist das auch ein Problem, dass in unserer Gesellschaft das so weggeschoben wird.
Wir tun so, als könnte man alles heilen und immer weiter machen und als gäbe es nichts Unbekanntes/Unerforschtes mehr.
In solchen Momenten wünschte ich schon, ich wäre irgendwie gläubig und könnte darin Trost finden.
Weißt Du, ich glaube, dass das nicht stimmt, nicht die Gesellschaft schiebt Trauer weg, sondern wir selber tun es. Jeder von uns, so lange er nicht damit konfrontiert ist. Denn gesellschaftlich gibt es das Trauerjahr. Da ist etwas, was meiner Erfahrung nach absolut stimmt. Man muß einmal durch alle Festtage, die offiziellen und die persönlichen durch, einmal durch alle Jahreszeiten und nein, dann wird es nicht automatisch besser, aber erst dann zeigt sich der Verlust in all seinen Gesichtern.
Glauben hilft nur dem der geht und lass es Dir von ner Pfarrerstochter gesagt sein, auf dem Totenbett kriegen wir sie alle . Dass Glaube hilft, ist so eine Sache. Glaube hilft dann, wenn dieser institutionalisierte Form von Liebe ist, denn Liebe hilft.
Liebe hilft dem, der geht. Liebe hilft denen, die bleiben.
Die, die gehen wollen oder müssen, in Liebe gehen zu lassen und denen, die bleiben müssen oder einfach bleiben mit Liebe zu begegnen, ist was hilft.
Also liebe Florentine,
Das Leben beginnt und es endet. Es gibt den Spruch, sterben ist einfach, es ist nur hart für die, die bleiben.
Ich kann so gut nachvollziehen, daß Du Dich unvorbereitet fühlst, glaub mir, wenn ich sage, ja man kann Erfahrung haben, auf diese Form von Abschied kann man sich nicht vorbereiten. Sieht man doch hier, keiner kann sich auf Abschied, egal wie erwartbar, vorbereiten.
Egal, ob der Tod, der Beginn von Gottes Nähe, ein neues Leben, ein anderer Aggregatzustand oder einfach nur gesunde Blumenerde ist (was ja unter uns gebildeten Agnostikern schon irgendwie alles das gleiche sein könnte), du musst überhaupt nicht heute, morgen oder übermorgen dies alles in der angeblichen Tragweite erkennen oder erfassen.
Es passiert überhaupt nichts, wenn Dir das jetzt zu viel oder zu wenig ist. Um Trauer muß man sich nicht bemühen, Verlust muß man nicht versuchen zu begreifen, die erledigen das für einen. Respekt vor Trauer zu haben, halte ich für zutiefst gerechtfertigt.
Angst dagegen nicht, weil die ist eh vorher schon da, und hat halt jetzt ein neues Kleid.
Trauer ist vor allem auch Bestandsaufnahme. Bist Du die, die Du zu sein gedenkst. Und Trauer ist Liebe.
Zum Abschied lass ich Dir eine Anekdote da. Das Frequenz (nicht das Ausmaß) von Trauer ist häufiger, je häufiger die gehenden Personen im Alltag vorkamen. Die Trauer um die geliebte Omama ist tief und wird mich noch lange begleiten, aber meine Therapeutin hatte einen unfassbaren Kater, der immer wenn es haarig wurde, mit im Raum blieb. Leider ist dieser an Krebs erkrankt und er stand mir, ob dieser Verbindung sehr nahe.
Nach dem Ende einer Stunde, habe ich gefragt, wie geht es xyz und sie sagte, jetzt wieder gut.
Ich hörte mich erleichtert ausatmen.
Sie: er ist vor 6 Tagen von seinem Leiden erlöst worden.
Diese Aussage, jetzt wieder gut
Alles Liebe.