Letzte Worte der Geliebten

Kommt mal wieder runter, oder braucht ihr ein Schlammloch?

Selten so einen eskalierenden Thread hier gesehen, obwohl ich nur die ersten und letzten Seiten gelesen habe. Chapeau!

Ich lese hier und insgesamt ja nur unregelmäßig und kann zur Klärung der Frage, was denn nun eigentlich die richtigere, redlichere, bessere Weltauffassung sei, auch nichts beitragen. Nicht zuletzt, weil ich meine, dass das letztlich mehr eine Frage des Vermögens als des Geschmacks sein wird. Oder auch der innere Weite oder Verengung oder Vergnügtheit oder Verdüsterung (wert- und wertungsfrei gemeint). Und jedenfalls des jeweiligen Zeitgeistes.
Aber eines finde ich wirklich und ernsthaft sehr beachtlich - nämlich welches geradezu episches Ausmaß dieser Strang hier angenommen hat! Das stellt jeden Roman und jedes Theaterstück in den Schatten! Ja es erinnert in gewissem Sinne an die klassische griechische Tragödie mit ihren kartharsischen Ansprüchen und Absichten.
Insoferne hoffe ich, dass niemand vorschnell die hoch aufmunitionierte Flinte ins Korn wirft.

Zu bedenken möchte ich, da ich den Zeitgeist erwähnt habe, allerdings geben, dass ein Blick in die Geschichte nie schaden kann zum zumindest fragmentarischen Verständnis des Sachverhalts.
Wenn man etwa an die Renaissance denkt oder sogar an das uns so dunkel erscheinende Mittelalter oder an diverse Inselkulturen (ob tatsächlich eine Insel oder Venedig oder Florenz oder die vorletzte Jahrhundertwende usw.) oder auch an die Zeiten hierzulande bis noch vor einigen Jahrzehnten: In manchen Epochen waren sogenannte Affären absolut üblich und in keiner Weise irgendwie negativ besetzt (die einzige negative Besetzung, die man hier ausnehmen könnte, ist, dass bisweilen die Männer einverstanden sein mussten mit dem jeweiligen Geliebten der Frau, sofern sich die Frau darum bekümmerte). In anderen wiederum wurden Affären stillschweigend einkalkuliert und hingenommen. Es gab sozusagen die stabile familiäre und/oder wirtschaftliche Beziehung und daneben ganz selbstverständlich und naturgemäß noch das eine und andere Glückseligkeitstreiben ebenfalls. Also das, was eine Beziehung auf Dauer schlichtweg nicht bieten kann, das aber dennoch nicht in jedem Fall klein beigeben und sich mit Halbseidenem begnügen will.
Anders gesagt: praktisch durch alle bisherigen Zeiten haben - nach heutigem Maßstab - die red flags in solchen Größen und Mengen allüberall geweht, dass man, mit heutigen Augen betrachtet, nur meinen könnte, die Chinesen hätten den gesamten Kontinent bis in den letzten Waldwinkel hinein heillos geflutet.

Insofern schiene mir eine Kritik des Zeitgeistes (für mich einfach nur psychologisch vollkommen verseucht und verdummt und realitätsverleugnend bis dorthinaus, dabei aber auch dreist Liebe idealisierend in einem oft recht schäbigen Mantel bloßer Vortäuschung) doch angebrachter als eine Kritik des Phänomens Affäre.
Es sind, bei Licht besehen, ja durchaus nicht die Affären, die das Problem sind, sondern die zeitgeistigen Haltungen und Empfindlichkeiten dazu. Wird nicht unbedingt einleuchten, denn dazu müsste man die Laterne erst einmal bis in den eigenen Keller leuchten lassen, aber soll dennoch anregend erwähnt sein.