Ich bin mit einem Bindungsängstler in einer erfolgreichen Beziehung. Ich muss ein bisschen schmunzeln, weil weder er noch ich es offiziell so betiteln - Bindungsangst eben. Es ist hilfreich, wenn man selbst bindungsängstliche/vermeidende Anteile in sich hat und nicht alles, was der andere sagt oder tut, persönlich nimmt. Ein hoher Selbstwert sind von Vorteil und lassen sich durch das Zusammensein mit einem Bindungsängstler wunderbar kultivieren. Wenn der Selbstwert einbricht und man sich über seinen Partner definieren will, ist der Bindungsängstler über alle Berge. Man befindet sich in keiner klassischen Abhängigkeitsbeziehung - diese Art der Beziehung definiert sich über 100% Freiwilligkeit.
Mein erster Beziehungs-Versuch mit diesem Menschen ist grandios gescheitert. Im zweiten Anlauf ein halbes Jahr später, den ich gar nicht so geplant hatte, fand bei mir ein massives Umdenken statt und so ist mir dieser Mensch dann praktisch in den Schoß gefallen und er will da scheinbar auch nicht mehr weg. Unser zweiter Anlauf geht nun schon über ein Jahr, wir haben beide mehr und mehr Vertrauen aufgebaut. Er konnte über einen langen Zeitraum spüren, dass ich ihn in keinster Weise dränge und kommt deswegen Schritt für Schritt auf mich zu. Zugegebenermaßen sehr langsam. Aber doch merklich.
Wenn ich merke, er zieht sich zurück, stell ich mir eine geschlossene Haustür vor, auf der steht: Kann gerade nicht. Ich widme mich dann anderen Dingen und lasse ihn in Ruhe. In unserem Fall hat es nie länger als drei Tage gedauert, bis er wieder ins Gleichgewicht gekommen ist. Wenn man ihn kommen lässt, ist er der größte Schmusebär unter der Sonne. Beim Kuscheln klammert er sich an mich wie ein Ertrinkender an eine Boje. Ich habe hinter einer rauen Fassade selten einen so liebesbedürfrigen Menschen gesehen. Er meldet sich täglich, ruft entweder an oder schreibt witzige Whatsapps. Nicht das klassische Guten Morgen, Guten Abend Schatzimausi Herzchen- Gedöns, sondern humorvolle und persönliche Nachrichten, die mir zeigen, dass er an mich denkt. Er merkt sich alles, was ich sage, ist aufmerksam und hilfsbereit - in regelmäßigen Abständen backt er mir etwas oder macht andere kreative Geschenke.
Über das Thema Beziehung oder Bindungsangst reden wir nicht. Man muss sich mit diesem Muster schon ein bisschen auskennen und aktiv mitarbeiten, um es sicher zu navigieren. D.h. konkret das eigene Ego unter Kontrolle halten, geduldig sein und Erfüllung auch in anderen Dingen suchen, wie z.B. in Freundschaften, beruflichen Erfolgen und tollen Hobbies.
Ist das manchmal anstrengend? Ja. Ist das optimal? Vielleicht nicht. Aber 80% davon passen für mich und ich lerne extrem viel in dieser Beziehung und daher bin ich gespannt, wie weit wir noch kommen.
P.S.: Zusammenziehen, Heiraten und Kinder stehen nicht auf meiner Agenda. Das ist sicherlich ein Grund, warum ich das so entspannt sehen kann.
20.09.2022 14:30 •
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