Donnerstag
Da ist es wieder, dieses ekelhafte Gefühl im Herzen. Dieses Gefühl, nicht gereicht zu haben. Dieses Gefühl, nicht gut genug gewesen zu sein.
Als ich ihm vor ein paar Wochen sagte, dass ich keine Affäre oder Freundschaft plus möchte, meinte er, das hätte er auch nicht gedacht. Für mich war klar, wir lernen und kennen und schauen, ob es mehr sein kann. Die Tage danach streikte mein Bauchgefühl, er meldete sich weniger. Er sagte, alles sei okay. Er war fürsorglich, erkundigte sich nach mir, wenn es mir nicht gut ging, rief an, wenn ich Bedenken äußerte, um mir diese zu nehmen. Als er zu spät kam, kam er mit einer Flasche Champagner und Sektgläsern, die er für mich gekauft hatte. Er schickte seinem besten Freund ein Bild von uns. Als sein Großvater starb, schrieb er mir und vertraute sich mir an. Ich hatte Verständnis, dass wir uns in der Zeit nicht sahen, denn er hatte anderes im Kopf. Letztes Wochenende schlief er bei mir, und als ich traurig war, dass er ging, verschob er seine Verabredung um 2 h, um mehr Zeit mit mir zu verbringen. Und trotzdem war da dieses Gefühl, das ich nicht loswurde. Und bevor er ging, bat ich ihn, grundsätzlich immer sofort ehrlich zu mir zu sein, wenn er bemerkt, dass sich etwas bei ihm ändert. Er versprach es mir.
Die Tage danach wurde mein Gefühl immer lauter, bis es gestern so laut brüllte, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte. Obwohl alle meine Freundinnen sagten, dass seine Taten für sich sprechen, und meine Unsicherheiten es sind, die mir im Weg stehen. Auf die Frage gestern, wann es zeitlich bei ihm passe diese Woche, kam erst nach Stunden, obwohl er sonst im Minutentakt antwortet: Muss ich gucken. Dann später die Frage, ob ich heute Abend was vor hätte. Ich fragte ihn, ob alles okay sei, und er schob es auf den Nachlass seines Großvaters. Ich saß bei meiner Schwester, ging nach Hause und kochte für uns, da wir sonst immer zusammen essen. Er kam mit Strahlelächeln und küsste mich so heiß und innig wie sonst auch. Ich fragte ihn nach seinem Tag, er erzählte, während er meine Hand nahm, wie er es immer tat. Und ich wähnte mich in Sicherheit, war erleichtert, denn offenbar war es kein Bauchgefühl, sondern meine Unsicherheit und mein Muster, die mich in die Irre leiteten. Wir schliefen miteinander. Er war noch mehr als sowieso schon bedacht, dass es schön für mich war, gab Acht auf mich. Er schaute danach mir lange in die Augen, lächelte mich warmherzig an mit diesen Grübchen, die ich so gerne habe, kitzelte meine Nase mit seiner, etwas, das wir in Momenten der Nähe und Intimität immer taten. Er küsste mich danach auf die Stirn, und wir kuschelten uns *beep* in eine Decke. Ich hab mich unfassbar geborgen gefühlt, sicher und ruhig, wie immer, seit ich ihn kenne.
Dann sagte ich ihm, dass ich eine Veränderung wahrgenommen habe. Dass ich das Gefühl hatte, er sei manchmal abwesend, wenn wir uns nicht sehen, dass ich mehr Initiative ergreifen musste die letzte Zeit als er. Und wollte wissen, wie seine Bedürfnisse bezüglich Treffen sind, um einzuschätzen, ob ich sie mit meinen vereinbaren kann. Da sagte er es mir. Dass er in dem Lebensmodell, das er sich momentan für sich vorstellt, nicht die Verpflichtung einer Beziehung sieht. Dass er sich am wichtigsten ist. Dass er seine Zukunft nicht plant, aber dass er Gedanke einer festen Beziehung ihm das Gefühl einer Last, einer Einschränkung gibt. In dem Moment, in dem ich ihm das Versprechen am Sonntag abgenommen habe, sei er bewusst ins Nachdenken gekommen. Er sei heute gekommen, um mir das zu sagen. Ich solle niemals auf den Gedanken kommen, dass ich was falsch gemacht hätte oder nicht genug sei. So, wie ich bin, sei es eher die Frage, ob andere Männer genug für mich sind. Ich sei wunderschön. Witzig, mitfühlend und empathisch, fürsorglich. Es sei selten, jemand so herzensgutes zu finden: Du bist reines Gold. Dass es ihm leid täte, dass ich ausgerechnet an ihn geraten sei, der bewusst diese Verpflichtung nicht eingehen möchte. Ich sagte ihm, dass er nichts dafür kann, wie er empfindet. Dass es okay sei. Dass ich zurechtkomme. Ich habe nicht geweint. Das wollte ich nicht. Es war okay. Bis mir dämmerte, dass eine Sache gar nicht okay war: Warum hast du trotzdem heute noch mit mir geschlafen? Da wurde er ruhig. Darauf habe ich keine Antwort. Und ich sagte ihm, dass nichts, was er darauf geantwortet hätte, das hätte rechtfertigen können. Dass das nichts als pures Ausnutzen war. Er sagte, so hätte er das nicht betrachtet. Ich lag unter der Decke und habe meine Arme um mich geschlungen. Ich fühlte mich leer und kann jetzt noch nicht verstehen, wie er das hat über sich bringen können. Als ich ihm das sagte, eingewickelt in meiner Decke, senkte er den Kopf und schaute mit Tränen in den Augen wieder hoch. Und ich wischte ihm seine Tränen weg. Obwohl ich diejenige war, die hätte weinen sollen. Ich sagte ihm, er müsse nicht mehr bleiben. Er war *beep* und ihm musste doch kalt sein. Selbst in Momenten wie diesen denkst du noch an andere. Ja, so bin ich wohl. Er deckte mich mit einer weiteren Decke zu. Ich wünschte ihm alles Gute. Er mir auch. Und er ließ mich *beep*, mich selbst und meine Wärmflasche umklammernd, unter meiner Decke zurück.
Heute bin ich gefasst. Ich denke, der Ausbruch kommt in den nächsten Tagen. Aber ich versuche immer noch, das Gefühl, das er mir die letzten Wochen vermittelt hat, mit dem in Einklang zu bringen, wie schäbig er sich heute verhalten hat. Anders kann ich es nicht nennen. Der Glanz um ihn herum fiel ab, und plötzlich war er nur noch einer dieser Männer, deren Gemächt das Denken für sie übernimmt. Ich habe Verständnis dafür, dass er sich was anders vorstellt. Dass er sich nicht getraut hat, früher mit mir zu sprechen. Dass er sich nicht genug Gedanken gemacht hat, um sich bewusst zu werden, wie es mir damit geht. Dafür hätte ich Verständnis gehabt. Aber dass er nur an den S. mit mir denken konnte, mich zuerst annehmen konnte, während ihm bewusst war, dass er mich gleich ablehnen möchte. Dass er zulässt, dass ich mich noch einmal so geborgen und sicher mit und bei ihm fühle, mich ihm noch einmal in dieser verletzlichen Seite meiner selbst zeige, nur um mir danach zu bestätigen, was immer mehr in mir rebellierte... Ich bin traurig und fassungslos. Ich habe nichts gegessen und habe Kopfschmerzen. Ich fühle mich zurückversetzt in Zeiten, in die ich nie wieder rein wollte. Ich bin genug, ich war ich. Und es hat trotzdem wieder nicht gereicht. Wieder war es genug für Bestimmtes, aber nicht, um sich in mich zu verlieben. Ich bin toll. Aber sich in mich verlieben, dafür reicht es nicht. Heute möchte ich nur noch schlafen. Und habe jetzt schon Angst vor der Wucht der Emotionen, die mich morgen treffen werden.
11.03.2022 01:45 •
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