Ich weiß nicht. Mich trifft das alles ganz enorm.
Pain sagt, sie schwimmt auf der Welle des Sarkasmus. Das kenne ich nur zu gut. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Sarkasmus, Wut und - Kampf. Das waren die Skills, die mich weitgehend mein Leben lang geschützt haben. Und alle drei versagen seit dieser Geschichte immer mehr und immer öfter.
Manche hier sagen, sie seien seit diesem Erlebnis verbittert. Bei mir ist das Gegenteil passiert. Ich bin viel verletztlicher geworden. Oder besser gesagt - ich glaube, dass ich meine eigene Verletztlichkeit erst seitdem wirklich wahrnehmen kann. Die habe ich immer gut geschützt. Nicht nur vor anderen. Vor allem vor mir selbst.
Und jetzt liegt sie sehr oft - immer öfter eigentlich - richtig blank.
Und meine uralten Schutzmechanismen versagen seitdem. Was ich hier lese an Verletztungen, die Leuten zugefügt wurden, das macht mich oft richtig fertig.
Keine Ahnung. Man hört oft, dass solche Geschichten alte Verletzungen aus der Kindheit in einem triggern. Bei mir war das mit Sicherheit der Fall. Es muss irgendeine namenlose sehr alte Wunde in mir getriggert haben, die ich immer noch nicht genau benennen kann. Anders ist dieser fürchterliche Schmerz, den ich gefühlt habe, gar nicht zu erklären.
Er kam halt näher an mich heran, als je ein Mensch zuvor. Und genau deshalb konnte er mir so wehtun. Und aus irgendeinem Grund haben meine alterprobten Schutzmechanismen bei ihm komplett versagt.
Und sie tun es noch heute. Auch in anderen Zusammenhängen. Ich habe mein Leben lang kaum je weinen können. Bevor es so weit kam, habe ich entweder Wut gespürt oder habe in irgendeiner Form gekämpft. Da kam keiner so richtig an mich ran. Oder wenn, dann nur begrenzt und für relativ kurze Zeit.
Jetzt kann ich weinen. Wegen allen möglichen Dingen. Und was ich hier lese, macht mich oft wirklich fertig.
Ich habe begriffen, dass es zumindest bei mir so war, dass die aufkeimende Wut - und die konnte sehr schnell kommen - mich zuverlässig davor geschützt hat zu spüren, wie verletztlich ich wirklich unter dieser Rüstung bin. Und Rüstung kann man durchaus wörtlich nehmen.
Keine Ahnung, ob das gut ist oder schlecht. Auf jeden Fall scheint es mich nachhaltig zu verändern.
Dumm ist, dass ich auch ihm gegenüber immer noch keine Wut spüre. Ich habe das Gefühl, nur zu gut zu verstehen, was in ihm vorgeht. Und damit meine ich nicht sein Gejammer (er hat nicht gejammert - in diesem Punkt ist er mir sehr ähnlich). Nein, ich meine vielmehr, dass ich das Gefühl habe zu verstehen, was ihn - jenseits des Affärengelabers - wirklich motiviert hat.
Das macht mir Wut unmöglich. Bis heute. Ich habe kein Mitleid mit ihm. Aber ganz sicher Mitgefühl.
Ich weiß, dass auch er in einer besch.issenen Lage ist. Und auch bei ihm geht das viel tiefer als man an der Oberfläche meint: Schlechte Ehe, Frau eine Hexe, kein S3x - all das meine ich nicht.
Davon bin ich überzeugt: Ebenso wie bei mir gibt es auch bei ihm eine Ebene, die jenseits all dessen liegt, was wir hier immer besprechen.
Unter anderem das war es, was mir die Kraft gegeben hat, endgültig aus der Sache auszusteigen. Zumindest in meinen Handlungen.
Ich hatte irgendwann die Kraft zu sehen, wie furchtbar das ist. Für alle Beteiligten.
Da trifft man sich heimlich - versteckt vor den Augen der Welt - und macht irgendeinen Sch.eiß, der irgendetwas ganz anderes kompensieren soll.
Niemand steht zu sich und zu dem, was er da gerade tut. Er stand nicht zu sich und seinen Bedürfnissen, er stand nicht zu mir, er stand nicht zu seiner Frau, ich stand nicht zu mir selbst und seine Frau - davon bin ich in diesem Fall überzeugt - steht auch weder zu ihm noch zu sich selbst wirklich.
Das alles ist schrecklich. Und schrecklich unwürdig für alle Beteiligten.
Es hat etwas von aufmüpfigen Teeny-Verhalten, wenn man darauf lauert, endlich mal sturmfreie Bude zu haben und hinter dem Rücken der Eltern das zu tun, was man immer schon mal tun wollte.
Nur richtet es leider einen sehr viel größeren Schaden an als unreifes Teeny-Verhalten.
Das - unter anderem - wurde mir irgendwann mal klar. Wie verdammt unwürdig das alles ist. Für alle!
Irgendwann dachte ich: Fehlt bloß noch, dass ich heimlich aufm Klo eine rauchen gehe.
Mir ist klargeworden, dass ich das nie wieder will. Und zwar in keinem Bereich meines Lebens. Ich will nicht mehr heimlich aufm Klo eine rauchen. Entweder ich lasse es ganz oder ich stehe dazu.
Deshalb bin ich auch gerade schwer am Überlegen, mir einen anderen Job zu suchen. Auch da tue ich den ganzen Tag Dinge, zu denen ich nicht stehen kann. Die eigentlich überhaupt nicht zu mir passen. Und die ich nur tun kann, weil ich mir und anderen permanent etwas vormache. Vor allem mir selbst.
Ich will auch nicht mehr vor mir selbst wegrennen. Wenn ich in Wahrheit ein furchtbar verletztliches Sensibelchen bin, dann ist das halt so. Das heißt ja nicht, dass ich nie mehr wieder mein Schwert ziehen werde, wenn es sein muss. Das hab ich ja lange genug geübt und werde es sicherlich immer noch können, wenn es drauf ankommt. Aber ich will es nicht mehr ziehen, bevor ich überhaupt merke, dass mich etwas verletzt.
Ich will nicht mehr den ganzen Tag rein prophylaktisch mit einer schweren Rüstung und bis an die Zähne bewaffnet rumlaufen. Da kommt dann einfach unterm Strich zu wenig Sonne durch.
Ich weiß nicht, wie es euch geht. Ich für meinen Teil habe das alles längst noch nicht überwunden.
Aber ich beginne tatsächlich so langsam zu erkennen, wofür es vielleicht gut gewesen sein könnte. Mal sehen. Ob es wirklich so ist, das muss sich natürlich noch zeigen.