Meine Überlegungen (und Erfahrungen), die ich hier weitergeben möchte, sind nicht Mainstream. Aber vielleicht können sie als Gedankenanstoß oder Diskussionsgrundlage dienen.
Die Grundsituation: Du bist in einer festen Partnerschaft mit den normalen Aufs und Abs. Egal, ob du das Gefühl hast, dass sich die Partnerschaft gerade in einer besonders guten Phase befindet oder eher in einer etwas distanzierteren - du erkennst oder erfährst plötzlich, dass dein/e Partner/in heimlich eine weitere intime Beziehung führt. Du fällst aus allen Wolken ob dieser schockierenden Neuigkeit und ob dieses Vertrauensbruchs, reißt dich aber zusammen und bittest den/die Partner/in sofort die Zweitbeziehung zu beenden. Er/sie kann oder mag aber nicht umgehend von der Zweitbeziehung lassen (na klar, akute Verliebtheitsphase!).
Du bist verwirrt, verletzt, aufgebracht, fühlst dich am Anfang vom Ende und berätst dich vielleicht im Freundeskreis oder auch in einem Online-Forum wie diesem. Und was für einen Rat bekommst du normalerweise?
- Vergiss deine Würde nicht!
- Wenn du Selbstrespekt und Selbstachtung hast, lass dir das nicht gefallen!
- Setze ihm/ihr ein Ultimatum!
- Solange er/sie sich nicht entscheiden kann, die Zweitbeziehung zu beenden, gehe auf Distanz!
- Wenn ihr nicht sofort eine räumliche Trennung schaffen könnt, dann geh ihm/ihr soviel wie möglich aus dem Weg. Besser ist aber eine räumliche Trennung. Auf jeden Fall kein gemeinsames Bett, kein gemeinsamer Tisch. Er/sie soll merken, wie es ohne dich ist...
- Halte auf jeden Fall körperlichen Abstand, gib ihm/ihr keine Zärtlichkeiten.
- Er/sie soll merken, dass du ohne ihn klar kommst, deshalb plane Unternehmungen mit anderen, aber ohne ihn/sie.
Das waren die Ratschläge, die ich erhalten habe, als ich in dieser scheußlichen Situation steckte. Teilweise habe ich mich daran gehalten, teilweise ist es mir nicht gelungen und teilweise schienen mir die Tipps nicht sinnvoll.
Mit meinem Mann in unser gemeinsames Bett zu schlüpfen und uns aneinander zu kuscheln, war in hohem Maße verwirrend und emotional anstrengend - nicht aber so aufwühlend wie das Schlafen in zwei getrennten Räumen. Meiner (und seiner!) körperlichen Lust nach Nähe und Intimität nachzugeben, war extrem merkwürdig: Einerseits das Zusammengehörigkeitsgefühl, die körperliche Befriedigung, andererseits aber abschreckende Gedanken, die mich ständig begleiteten (Äh, und neulich hat die andere ihn wohl überall geküsst und diese seine Finger waren bei ihr zugange...) und dieser belastende Subtext, den ich nicht abschütteln konnte (Nimmt er mich überhaupt bewusst wahr oder bin ich nur ein praktischer Ersatz für seine Neue...?).
Letztendlich hatte ich aber den Eindruck, dass ich meine Partnerschaft nur retten konnte (denn das wollte ich), wenn ich nicht auf Distanz ging, sondern unsere Beziehung aktiv weiterpflegte (mit einem gemeinsamen Alltag, mit gemeinsamen Unternehmungen, mit Gesprächen, mit Zärtlichkeit und Intimität). Keine Frage: Es handelte sich um eine lange, harte Durststrecke. Oft hatte ich keine Kraft mehr und war der Verzweiflung nahe. Je mehr Zeit verging (und je mehr sonderbare Kapriolen und vor allem Vertrauensbrüche sich mein Mann leistete), desto mehr hörte ich den Rat: Lass dich doch nicht so behandeln. Das hast du doch nicht nötig. Ich packte die nötigsten Sachen, wollte ausziehen. Die Situation war sehr dramatisch.
Gleichzeitig aber zweifelte ich daran, dass mein Mann wirklich so sehr sein Verhalten geändert haben könnte. Wo war der ehrliche und zuverlässige Mensch hingekommen, den ich lange Jahre kannte? Gab's den noch? Würde der jemals wiederkehren? Die kleine Hoffnung auf das Ende des Alptraums und darauf, dass die vertraute Persönlichkeit meines Mannes zurückkehren könnte, ließ mich weiterhin ausharren. Es dauerte lange, aber eines Tages war es soweit. Ich kann euch nicht sagen, warum. Mein Mann hat für sein Verhalten während dieser Phase jetzt nur noch Kopfschütteln übrig und schämt sich dafür.
Bei aller Fremdheit in dieser Phase, die meinen Mann und somit auch unsere Beziehung umgab, brachte uns körperliche Nähe immer wieder altbekannte Vertrautheit. Egal, ob festes Drücken, Händchenhalten, sanftes Streicheln oder eben mehr - in diesen Momenten war sie da: die Zusammengehörigkeit.
Ich weiß, viele halten es für würdelos, sich als betrogene Partnerin für Zärtlichkeiten herzugeben. Aber ganz ehrlich: Warum sollte ich einer anderen, das gönnen und selbst darauf verzichten? Warum soll ich allein und verlassen im Bett liegen, wenn ich Nähe haben könnte? Aber auch: Soll mein Mann denn nicht merken, dass er nicht in die Arme einer anderen flüchten muss, sondern die benötigten Streicheleinheiten genauso gut mit mir und bei mir bekommen kann (falls ihm das aus irgendwelchen Gründen entfallen sein sollte)? Und sogar: Soll er sich nicht lieber bei mir zu Hause auspowern?
Inzwischen weiß ich, dass es richtig war, nicht zu schnell aufzugeben und dass es richtig war, weiterhin (und fast durchgehend) Nähe und Zärtlichkeit zwischen uns zuzulassen. Die hormonelle Bedeutung hatte ich damals nicht beachtet, aber sie scheint auch für meine These von Nähe trotz temporärer Entzweiung zu sprechen. Bei körperlicher Intimität werden bei beiden Beteiligten dieselben Hormone ausgeschüttet wie beim Stillen eines Babys, Hormone nämlich, die das Zusammengehörigkeitsgefühl und die wechselseitige Bindung stärken. Warum sollten betrogene Partner diese Bindungshormone den zwei Frisch-Verliebten überlassen und durch die kalte Schulter, die dem betrügenden Partner sozusagen aus erzieherischen Gründen gezeigt wird, die Entzweiung noch mehr vertiefen und die Bindung an die/den Neue/n noch mehr stärken?
Ich kann mir vorstellen, dass die Meinungen hierzu kontrovers sind und dass Menschen sagen: Wenn mein/e Partner/in einmal eine Affäre hatte, kommt er/sie für mich nicht mehr in Frage und die Beziehung ist aus. Wer diese Einstellung hat, sollte sich sicher nicht mehr auf Nähe einlassen. Aber wer noch an die Beziehung und die gemeinsamen Zeiten glaubt und wer einem langjährigen zuverlässigen Partner auch nicht-nachvollziehbare Verhaltensweisen verzeihen kann, sieht das Ganze vielleicht anders.
Allen, die akut mit Vertrauensbruch und Zweitbeziehungen konfrontiert sind, wünsche ich viel, viel Kraft und das richtige Bauchgefühl für die Entscheidung über Nähe oder Distanz... Ein Patentrezept gibt's leider nicht.
Alles Gute, Chiara.
25.07.2013 14:26 •
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