Vor über 9 Monaten hat sich meine Frau endlich getraut, mir ihre Affäre zu gestehen, die ja schon vor einigen Jahren passierte. 9 Monate – man könnte denken, eine lange Zeit. Genug Zeit, um alles zu verarbeiten, um darüber hinwegzukommen. Und vieles hat sich auch getan. Wir sind immer noch zusammen, und in vieler Hinsicht ist unsere Beziehung besser geworden. Zu einer Beziehung, wie man sie sich wünscht. Mit viel Nähe, viel Offenheit, viel Liebe, viel Zärtlichkeit. Aber manches ist durch die Affäre auch verloren gegangen. Die Unschuld, die Leichtigkeit, das unbeschwerte. Das Urvertrauen. Ich misstraue ihr nicht, kontrolliere sie nicht. Sie hat keinen Liebhaber, wird auch keinen mehr haben, solange ich bei ihr bin. Aber der Glaube, dass da ein Mensch ist, der immer bei dir sein wird, komme was da wolle, der ist weg. Und ich befürchte, der wird auch nicht wieder kommen.
Inzwischen kann man die Affäre auch mal vergessen. Der brüllende Schmerz ist weg. Aber dafür ist ein leiser Schmerz geblieben. Manchmal schaue ich sie an, und eine Traurigkeit schleicht sich in mich. Dann zuckt man innerlich die Achseln und denkt „Kosch nix mache. Passiert ist passiert“. Und selten hat man einen Flashback. Dann ist der Schmerz wieder da. Richtig körperlich. Der Magen zieht sich zusammen, das Herz rast, die Arme schmerzen. Gottseidank ist das meistens schnell wieder vorbei.
Manchmal sitzt man abends da und schaut in die Nacht. Und die Nacht schaut zurück. Und dann schleicht sich der Richter an. Und sagt: „Ich entscheide. Was sagt unser Gesetz?“ Und der Ankläger kommt und sagt: „Auf einen Betrug von über einem Jahr steht die Höchststrafe. Die Trennung.“ Und irgendwo hat er recht. Würde mir jemand die Geschichte erzählen und mich um meinen Rat als Unbeteiligten fragen, würde ich zur sofortigen Trennung raten. Was sollte da noch zu retten sein?
Aber es gibt auch andere Stimmen. Richter und Ankläger waren noch nie bestimmende Teile meiner Persönlichkeit. Ich verurteile Menschen nicht sofort, versuche ihre Beweggründe zu verstehen.
Zuerst kommt der Partner. Er sagt: „Auch du hast Verantwortung an der ganzen Situation. Du hast dich zuerst von ihr abgewandt. Sie fühlte dich von dir vernachlässigt, nicht beachtet, nicht begehrt. Und sie hatte recht. Du hast woanders hingesehen, wolltest ein anderes Leben. Außerdem liebt sie dich. Und du liebst sie. Und was ist dein Plan? Wenn du sie jetzt bestrafst, bestrafst du dich doch nur selbst. Denk auch an all die guten Zeiten, all das tolle, was ihr gemeinsam hattet.“
Dann kommt der Liebhaber. Er sagt: „ Du begehrst sie. Und sie dich. Du findest sie scharf. Der S. mit ihr ist der beste, denn du je hattest. Gib das bloß nicht auf.“
Und dann der Familienvater. Er sagt: „Ihr habt zusammen zwei tolle Kinder aufgezogen. Ihr habt etwas aufgebaut, eine Familie, die es wert ist, für sie zu kämpfen. Sie war immer eine tolle Mutter, eine tolle Frau.“
Aber all diese Stimmen sind ambivalent. Sie haben alle ihr Fett abgekriegt. Und das weiß der Ankläger. Zum Partner sagt er: „Natürlich haben auch wir Verantwortung. Nach über zwanzig Jahren war vieles eingeschlafen. Aber ist das ein Grund, mit einem anderen Mann zu schlafen? Du hast dir auch keine andere Frau gesucht. Wie lange hat sie dich belogen, dein Vertrauen missbraucht? Sie hat das total in ihr Leben integriert. So richtig nach Terminkalender. Montag Sport, Mittwoch Musik, Freitag erst Sport, dann mit anderem Mann schlafen. Und hat sie an all das tolle gedacht, an die guten Zeiten mit dir?“ Und der Partner ist ruhig.
Zum Liebhaber sagt er: „Dich hat sie doch ausgetauscht. Sie wollte keinen S. mit dir, sondern mit dem anderen. Mit dem hat sie viel öfter geschlafen. Und es hat ihr gefallen.“ Und der Liebhaber ist ruhig.
Zum Familienvater sagt er: „Eine tolle Mutter? Das hat sie wahrscheinlich wirklich geglaubt. Schließlich hast du immer auf die Kinder aufgepasst, während sie mit dem anderen zusammen war. Dafür warst du gut genug. Aber welchem Risiko hat sie die Kinder ausgesetzt? Dass sie als Trennungskinder aufwachsen, so wie du? Du weißt, wie schlimm dass ist. Und hat sie an ihre Familie gedacht? Sie hat ihn in euer Heim gelassen, mitten in das Herz eurer Familie. Mitten rein.“ Und der Familienvater ist ruhig. Und dann vertagt der Richter die Sitzung.
Aber die anderen Stimmen werden stärker. Und Richter und Ankläger schwächer. Sie waren noch nie wichtig. Aber zur Zeit haben sie Oberwasser, und sie genießen es. Endlich sind sie raus, endlich sind sie die Chefs. Nicht für lange. Sie werden wieder verschwinden.
Was bringt mir eine Trennung? Es wäre eine Flucht. Und es bleibt ja nichts zurück. Ich nehme alles mit mir. Ich bleibe lieber stehen und kämpfe. Weil ich glaube, nein weiß, dass ich alles verarbeiten werde. Weil ich hoffe, dass wir eine Beziehung haben können, die es wert ist, Beziehung genannt zu werden. Wie viele Menschen leben nebeneinander her, sehen den anderen gar nicht mehr? Und wie viele Menschen hassen sich, sind durch ihren Hass aneinander gekettet, leben in ihrer privaten Hölle?
Ich glaube, dass wir es schaffen können. Es ist hart, das ganze hat mich wahnsinnig verletzt. Da muss ich durch. Aber wenn ich das schaffe, wartet eine echte Beziehung auf mich. Es gibt keine Garantie, aber ich kann es schaffen. Wofür waren die ganzen Schmerzen sonst gut?
Zu all denen, die daran denken, eine Außenbeziehung zu beginnen, wie z.B. Paula, möchte ich noch etwas sagen. Ihr werden einen Weile Spaß haben, eine Weile glücklich sein. Aber das wird nur kurz sein, dann holt euch die Wirklichkeit ein. Und ihr werdet vor einem Trümmerhaufen stehen. Ihr werdet Menschen vernichten, nicht nur eure Partner, sondern auch euch selbst, eure Familien. Ist das den Spaß denn wert?
20.10.2013 23:33 •
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