Er hat halt mal anderweitig ein wenig rumgeschrieben, da, wo er sich verstanden fühlte. Ist das Betrug, ist das eine Affäre? Meiner Ansicht nach ist es die Vorstufe dazu.
Natürlich ist es nicht in Ordnung, aber deswegen jetzt ein Drama draus zu machen, hilft auch keinem. Vor allem, er hat es Dir gesagt. Allein das ist schon nicht selbstverständlich. Da gibt es ganz andere Beispiele ...
Was mir spontan zu Euch einfällt, ist, dass Ihr Euch irgendwann Rollenmuster angewöhnt habt bzw. diese wohl von Anfang an so verteilt habt und darin verharrt.
Du bist der aufopfernde Typ, der alles hinnimmt und den Laden irgendwie am Laufen hält und sich selbstverständlich um Kinder und Haus kümmert und er ist der Verdiener, der aber gerne sein Ding macht. Wie hast Du es genannt? Projekte im Garten.
Eigentlich sucht er sich kategorisch Fluchtpunkte, die ihm einen Rückzug vom Familiären ermöglichen. Da ist zum einen sein Elternhaus, das qasi um die Ecke liegt, da sind seine Interessen und Aktionen, die ihm guten Gewissens sein Rückzugsgebiet sichern. Denn wer wollte was gegen Gartenarbeit oder einen guten Kontakt zu den Eltern sagen.
Er ist das klassiche Beispiel für Bindungsvermeidung. Er sucht sich seine Felder und die liegen leider ganz und gar nicht im Familienleben.
Darüber hinaus und das sehe ich als sehr schwerwiegend an, hat er nie eine klare Grenze gezogen in dem Sinn, dass er sich abnabelte und sagte: ich gründe jetzt selbst eine Familie und zu der stehe ich. Das ist dann mein Reich, in dem die Eltern sich nicht einzumischen haben.
Offenbar ist er ewig in der Rolle des Sohnes geblieben und hat keine Selbstständigkeit entwickelt. Die eigentliche Macht über Eure Familie liegt bei den Eltern, bei Verwandten, aber nicht bei Euch selbst.
Da wird viel zu viel hinein geredet, da wird auch mal beleidigt, schlecht gemacht und das wird alles hingenommen, auch weil er keine Grenzen gegenüber den Eltern zieht. Im Gegenteil, er sitzt am liebsten dort, weil er dort geschätzt und geliebt ist, wo zu Hause eine jämmerliche und überforderte Frau sitzt und die Kinder, ja, die hat man halt, aber was soll er sich da groß engagieren. Das machst ja alles Du.
Und dann Du. Du siehst Dich zu sehr als eine Art Opferlamm, wirkst überfordert. Mir ist spontan meine Oma eingefallen, die innerhalb von 7 oder 8 Jahren 5 Kinder bekommen hat, im Schnitt fast jährlich eines und die hat es auch geschafft, sie groß zu kriegen. Allerdings hatte sie einen Mann an der Seite, der seine Familie als sein Reich betrachtete. Nicht dass er ihr viel abnahm, aber er war sozusagen der König in seinem Reich und wurde seiner Verantwortung gerecht.
Da sehe ich bei Deinem Exemplar leider große Schwächen ...
Du wirkst einigermaßen jämmerlich und überfordert und das ist Dein Mann wohl gewöhnt. Du bist halt überfordert, aber Du funktionierst. Wie also sollte er jemals auf die Idee kommen, dass er Dich mehr unterstützen müsste, dass Du Dich schonen müsstest nach einer nicht einfachen Geburt? Ich glaube, es nicht mal böser Wille bei ihm, er sieht es einfach nicht. Du machst Deine Sachen schon, also besteht für ihn kein Handlungsbedarf. Sicher lamentierst Du mal, aber damit hat es sich auch. Seine Handlungen haben keine Konsequenzen, weil Du keine Grenzen ziehst. Und auch seine ständigen Besuche bei seinen Eltern, in seinem eigentlichen Zuhause, das er nie richtig verlassen hat, haben keine Konsequenzen. Wenn ich mir vorstelle, dass mein Mann fast jeden Abend bei seinen Eltern rumhängen würde ... Das würde er nicht lange so machen können.
Du hast zu wenig gelernt, Forderungen zu stellen und Grenzen zu ziehen. Du merkst zwar, was Dir weh tut, aber Du hast zu wenig Mut aufzustehen und das ist natürlich auch Dein Anteil, dass es so weit kam.
Du fragst Dich ob Ihr noch eine Chance habt? Es ist immer so leicht zu sagen, dann trenn Dich doch. Derzeit bist Du bei deinen Eltern untergekrochen oder ist das gar nicht mehr der aktuelle Stand? Aber da sind auch zwei Kinder, die auch an ihrem Vater hängen, die ihr gewohntes Zuhause brauchen und wollen, auch wenn es nicht perfekt ist.
Ich denke, dass diese emotinale Affäre, wie Du es nennst, ein Weckruf für Euch beide ist. Ihr habt jetzt die Chance, die alten und eingefahrenen Rollenmuster zu überdenken, Bedürfnisse zu formulieren und lernen, Euch gegenseitig zu verstehen. Er ist nicht schlechter als Du.
Eine Paartherapie, in der beide zu Wort kommen und die Situation aus ihrer Warte aus schildern, kann meiner Ansicht nach hilfreich sein. Ihr seid Euch abhanden gekommen bzw. ihr hattet nie richtig zueinander gefunden.
Ich würde die Flinte an Deiner Stelle nicht ins Korn werfen, vor allem nicht vorschnell. Nicht jede Krise führt gesetzmäßig zu einer Trennung. Und auch ihm scheint offenbar etwas daran zu liegen, die Familie zu erhalten. Das ist schon mal eine sehr wichtige Voraussetzung. Aber Ihr solltet lernen, Ansprüche und auch Verletzungen deutlich anzusprechen, so dass auch gemeinsam Lösungen gefunden werden können. Das Gemeinsame fehlt bei Euch, Ihr wirkt auf mich wie zwei Inseln, die so nebeneinander her treiben.
Er muss auf jeden Fall lernen, dass es Zeit ist, sich vom Elternhaus zu distanzieren und die konfliktfreien Abende im geborgenen Umfeld auch anderweitig verbringen kann. Er muss endlich mal lernen, dass er ein eigenes Leben führt. Dazu würde auch gehören, dass er Grenzen zieht und dass diese von den Eltern auch respektiert werden müssen. Du bist nicht nur Kindermädchen, Hausfrau und überfordertes Weibchen, Du hast auch eigene Wünsche und Du hast Respekt verdient.
Du hast es nicht geschaft, Dir Respekt zu verschaffen.
Es wäre an der Zeit, hier mal ein wenig gegenzusteuern und dem Mann auch zu sagen, Dein Platz ist hier und nicht zwei Häuser weiter. Aber dazu musst Du auch ein wenig an Attraktivität gewöhnen und das meine ich keinesfalls optisch. Aber wer zu sich steht und selbstbewusst agiert, der wird als attraktiver wahrgenommen als Jemand, der alles hinnimmt und hundert Mal alle Augen zudrückt.
Ich glaube, es gibt durchaus Perspektiven, dass die beiden Inseln mehr zueinander finden, aber beide müssen auch etwas dafür tun und es wirklich wollen. Zu glauben, ein Paartherapeut wird das schon richten, ist eine Fehleinschätzung. Er kann Stellung beziehen, seine Sichtweise darlegen, unbequeme Fragen stellen, aber richten kann er gar nichts. Das liegt allein bei Euch.
Ihr müsst erwachsen werden - beide. Du genauso wie er.
Und daher würde ich Dir raten, dieses kleine Techtelmechtelchen, das er da hatte, als Chance für Euch zu begreifen, dass Ihr zusammen wachsen könnt und aus Euch eine zweite und bessere Version Eurer Ehe entstehen kann.
Krisen sind nicht nur unerfreulich und machen Angst, Krisen sind immer auch Chancen und die kann man auch nützen.
13.01.2022 13:43 •
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