Ich überlege seit langem, Tagebuch zu schreiben. Eigentlich bin ich schon immer ein Mensch gewesen, der sich den Frust am besten von der Seele schreiben konnte. Meistens in kleinen Gedichten oder Liedern, manchmal in Briefen, die nie ihren Weg zu ihrem Empfänger finden würden. Aber ich habe noch nie ein Tagebuch geschrieben. Ich entschuldige mich im Voraus dafür, dass das hier vermutlich ein Roman der Länge Herr der Ringe werden wird. Aber es brennt mir auf der Seele. Alles.
Es war nicht immer alles einfach. Insbesondere dann, wenn es um soziale Kontakte geht. Ich kann nicht vertrauen, jedenfalls dachte ich das. Ich bin von einer schlechten Beziehung in die nächste gefallen, aus Angst, sonst allein zu sein. Und vor dem allein sein habe ich größere Angst als vor allem anderen. Hatte ich. Ich bin seit knapp zwei Jahren allein und vermutlich habe ich genau das gebraucht um mich selbst zu finden. Ich war entspannter. Irgendwie auch glücklicher. In den letzten zwei Jahren habe ich gelernt, was ich will und insbesondere auch, was ich nicht will. Und dann ist es passiert.
Kennt ihr das? Ihr seid auf einem Fest mit einem Verein oder einer Gruppe und plötzlich kommt jemand, den ihr noch nie gesehen habt. So ging es mir letzten Sommer. Ich hatte Dienst an der Cocktailtheke und dann kam er. Ich habe ihn gesehen und ich war sprachlos. Ich kann überhaupt nicht erklären, was ich in diesem Moment gefühlt habe. Eine Freundin von mir meinte, ich solle ihn doch ansprechen, wenn er mir so gefallen würde. Aber um Himmelswillen, ich konnte ja nicht mal länger als einen Augenblick in seine Richtung schauen ohne komplett durchzudrehen! Ich kenne das so nicht. Ich meine, klar, ich fand schon einige Menschen interessant oder attraktiv. Und ja, bei manchen wurde ich auch gewiss im Gespräch rot. Aber das. ich glaube ich kann das nicht erklären, ich glaube das muss man selbst erlebt haben.
In dem Moment, in dem er gegangen ist, wusste ich, dass das ein Fehler war. Just in dem Moment bereute ich es, dass ich ihn eben nicht angesprochen hatte. Und verdammt, er saß mit Leuten an einem Tisch, die ich seit Jahren kenne: es wäre ein Leichtes für mich gewesen mit ihm zu sprechen. !
Ich muss auch gestehen, ich habe oft an diesen Tag gedacht. Und habe mir auch oft ausgemalt, wie es hätte laufen können, wenn ich ihn angesprochen hätte. Aber das sind eben so die Gedankengänge, die man so als Frau manchmal hat. Manchmal sieht man jemanden, dann ist er weg und dann ist er vergessen. So läuft das.
Ich glaube nicht an Zufälle. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas nur so passiert. Ich glaube auch, dass wenn etwas sein sollte, es so sein wird. Ich glaube viel. Aber dass ich diesen Mann jemals wieder sehen würde, daran hatte ich nicht geglaubt.
Es war fast ein halbes Jahr später im Oktober als ich einen neuen Ortsverband des besagten Vereines gründen wollte. Dafür hatte man mir die Nummern von Leuten gegeben, die da sofort dabei wären. Einen davon hatte ich angeschrieben, netter Mann, laut Profilbild auch recht süß. Und er kam mir so unfassbar bekannt vor. Ich wusste nur nicht, woher. Eine knappe Woche später trafen wir uns dann mit dieser kleinen Gruppe Leute. Ich kannte keinen von ihnen und dennoch habe ich mich sofort mit ihnen angeregt unterhalten. Der, mit dem ich zuvor geschrieben hatte, verspätete sich ein wenig. Und in dem Moment, in dem er die Tür hereintrat, war ich still. Ich starrte ihn regelrecht an und spürte dieses Kribbeln. Überall. Mein Herz schlug schneller und als er sich ausgerechnet neben mich setzte, explodierte es fast. Mehrfach hatte er versucht mich anzusprechen, wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, hat er sogar versucht zu flirten. Aber außer einsilbigen Antworten und einem acht Oktaven zu hohem Gestotter, kam von mir nicht viel. Erst als sich die Gruppe langsam auflöste und wir zu dritt im Raum übrig blieben, hatte ich mich so weit gefangen, mit ihm zu sprechen. Er fragte, in welchem Ortsverband ich vorher gewesen wäre und als ich ihm antwortete, sagte er, er seie dort auf dem Sommerfest gewesen. Schade, dass ich nicht auch da war. Ich muss ihn angeschaut haben, als wäre er gerade durch die Luft geflogen. Ich hätte damals noch lange, dunkle Haare gehabt und nicht wie jetzt kurze, helle, habe ich ihm erklärt. Aber er wäre mir nicht aufgefallen gewesen. Dass ich genau wusste, wer er war und dass ich verdammt noch mal genau jetzt in diesem Moment der glücklichste Mensch auf Erden war, das konnte ich ihm ja schlecht sagen.
Wenn das Schicksal dir einen Menschen zwei Mal in den Weg wirft und dieser Mensch zwei Mal eine solche Wirkung auf dich hat. das kann doch kein Zufall sein, oder?
Ich habe zwei Wochen mit ihm geschrieben. Über Gott und die Welt. Zwei Wochen, bis ich ihn schließlich endlich danach fragte, ob er Sonntags Lust hätte mit mir Frühstücken zu gehen. Er hatte ja gesagt.
Am Samstag davor hatten wir mit dem Verein eine Feier. Eine dieser Feiern, bei denen du bereits zu Beginn genau weißt, dass du nicht nüchtern aus der Sache rauskommen wirst. Also hatte ich mein Auto in weiser Voraussicht zu Hause gelassen und meinte Mutter gefragt, ob sie mich abholen könnte. Solange es nicht später werden würde als Mitternacht, wäre das kein Problem. Gut. Er wollte auch zu dieser Feier kommen. Natürlich hatte ich mir extra viel Zeit im Bad gelassen und vermutlich habe ich mir meine Nervosität versucht mit Wein wegzutrinken. Es war kurz nach elf, als er mir schrieb, dass er immer noch nicht mit der Arbeit fertig sei. Wie lange ich denn da wäre. Bis 12, maximal, hatte ich geantwortet und er bedauerte es, mich nicht zu sehen. Bevor ich darauf überhaupt hatte antworten können, bot er mir an, ich könne auch bei ihm auf der Couch schlafen. Schließlich würde er nicht weit weg wohnen und wir würden ja sowieso den Sonntagmorgen zusammen verbringen wollen. Ohne darüber nachzudenken, stimmte ich dem Vorschlag zu, rief meinte Mutter an um ihr abzusagen und just in diesem Moment überkam mich Panik. Ich weiß nicht ob es daran lag, dass ich viel zu betrunken war oder daran, dass dieser Kerl mir die letzte Synapse ausschaltete. Als er dann um kurz vor drei kam, war die Feier zwar schon längst vorbei, ich aber auch langsam wieder ruhiger. Den Abend verbrachte wir mit zwei Gläsern Wein und einem wirklich guten Gespräch, dass dadurch beendet wurde, dass ich total betrunken mittendrin eingeschlafen war. Ja toll.
Ich erinnere mich noch all zu sehr an die Kopfschmerzen, die ich hatte, als wir Sonntagfrüh nach gefühlt 5 Minuten Schlaf Essen gingen. Mir war unsagbar schlecht, ich fühlte mich furchtbar und dennoch war es das wohl schönste Date, dass ich jemals hatte. Danach saßen wir noch bis in den frühen Abend auf der Couch und schauten Serien. Ich habe ihm meine Netflix-Daten gegeben - dieses Privileg hat bisher nicht mal meine beste Freundin genossen. Wir teilten uns eine Decke und saßen mit den Beinen press beisammen. Es war wunderschön.
Den darauffolgenden Samstag verbrachten wir ebenfalls zusammen. Wieder bot er mir sein Sofa an. Wir gingen spazieren und ich kuschelte mich das erste Mal an ihn heran. Ich brauche für gewöhnlich wirklich lange, bis ich Nähe zulassen kann. Bei ihm fühlte ich mich sofort sicher. Ich war schon eingeschlafen, als die Wohnzimmertür wieder aufging und er mir anbot, auch im Bett schlafen zu können. Ich zögerte kurz, willigte dann aber ein. Wir lagen mit einem gefühlten Kilometer Abstand zueinander in diesem Bett, bis er mich schließlich in seinen Arm zog und die ganze Nacht nicht mehr losließ. Kennt ihr das, wenn ihr anscheinend wie gemacht dafür seid, in den Armen einer bestimmten Person zu liegen? Alles passt so perfekt? So fühlte ich mich. Und so gut hatte ich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr geschlafen. Wir verbrachten den Morgen damit, Gründe dafür zu suchen, warum wir uns nicht loslassen müssen. Dann fragte er mich, ob er mich küssen darf. Mich hat noch nie jemand gefragt, ob er mich küssen dürfte. Das hat mir so unfassbar viel bedeutet, das kann sich vermutlich niemand vorstellen. Er fragte bei allem um ausdrückliche Erlaubnis. Und so kam es, wie es eben kommen musste. und es war wunderschön. Wunderschön, bis er mir sagte, dass das keine Beziehung werden könne weil ich ihm zu jung sei. Eine Backpfeife ist nichts im Vergleich zu dem, was ich in diesem Moment gespürt hatte. Ich sagte fast schon im Reflex, dass ich damit klar käme. Aber nein. Damit kam ich nicht klar. Nach all dem, was gerade passiert war, war es mein gutes Recht, damit NICHT klar zu kommen. Ich stand ohne zu übertreiben mehrere Minuten komplett bewegungslos in seinem Schlafzimmer, presste mir meine Kleider an den Körper und war nicht in der Lage, seine Frage, ob alles okay sei, zu beantworten, weil ich wusste, dass ich dann die Tränen nicht mehr halten könnte. Als ich unter der Dusche stand, lies ich ihnen freien Lauf. Ich weinte lange und offensichtlich auch laut, denn als ich aus dem Bad kam, nahm er mich in den Arm und erklärte mir, dass er bisher immer nur Beziehungen mit Frauen hatte, die erheblich jünger waren als er und es nie funktionierte und er daher keine Beziehung mehr eingehen möchte, mit einem so großen Altersunterschied. Ich werde in ein paar Monaten 22, er wurde vor ein paar Wochen 34.
Als ich an diesem Abend nach Hause fuhr, war ich noch keine zwanzig Minuten zu Hause, da schrieb er mir, dass, auch wenn das jetzt dumm käme, er mich fragen wolle, ob ich Lust hätte mit ihm auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Das sollte der Anfang seiner Karriere als König der gemischten Signale werden.
Wir sahen uns danach jeden Samstag. Natürlich auch mal unter der Woche. Wir schliefen manchmal miteinander. Natürlich hätte ich auch nein sagen können, aber das wollte ich in diesem Moment nicht. Wir kuschelten sobald wir im gleichen Raum waren. Wir redeten. Ich vertraute mich ihm an, er vertraute sich mir an. Wenn es mir schlecht ging, war er sofort da. Wenn es ihm schlecht ging, merkte ich es sofort.
Wir hatten mit unserem Verein einen Stand auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt. Wir waren den ganzen Tag zu zweit am Stand und ich hatte ihm angeboten, danach bei mir zu schlafen, da ich nur wenige Meter weg wohnte. Alles lief perfekt bis eine Dame der Meinung war, sie müsse jetzt Interesse an ihm zeigen. Instiktiv fragte sie ihn, ob ich seine Freundin wäre. Das fragten uns generell viele, denn wir funktionieren perfekte als Team, wirken sehr vertraut und nehmen uns sehr oft in den Arm. Ich antwortete gar nicht, er sagte nein. Natürlich sagte er das. Schließlich war ich ja auch nicht seine Freundin. Den ganzen restlichen Abend stand sie press bei uns und versuchte ihn zu einem Date zu bringen. Dass er überhaupt gar kein Interesse an ihr zeigte, das merkte ich in diesem Moment gar nicht. Ich war eifersüchtig - und das nicht gerade wenig. Und ich bin wirklich kein eifersüchtiger Mensch. Ich hasse Eifersucht. Aber in dem Moment wurde mir vor Augen geführt, dass er von heute auf morgen einfach weg sein könnte. Ohne Vorwarnung. Ich verließ fluchtartig den Stand und begann zu weinen. und er kam mir nach. Lange hielt er mich im Arm und ich weigerte mich, ihm zu sagen, warum ich weinte. Erst abends, als er neben mir lag, mich in seinem Arm hielt, traute ich mich die Frage zu stellen, von der ich mir so sicher war, die Antwort wäre Nein.
Gilt das mit dem ´zu jung´ eigentlich immernoch? - Schweigen. Es war ein langes Schweigen bis er hörbar ausatmete und antwortete: Ja. Dabei hielt er mich fest an sich gedrückt, verhinderte, dass ich von ihm rutschen konnte. Ich war so verletzt, dass ich ihn am nächsten Morgen darauf ansprechen musste. Darauf, warum ich so traurig war wegen der anderen Frau. Darauf, dass ich ihn so unfassbar mag und den Grund ich sei zu jung nicht akzeptieren würde. Für was? Damit er mir sagt, dass wenn ich fünf oder sechs Jahre älter wäre die perfekte Frau für ihn wäre und dass er sehr wohl Gefühle für mich habe, das aber nicht kann. Wir hatten uns sehr stark gestritten. Er hatte den gesamten Vortag nichts anderes getan, als den besten Eindruck bei meinen Freundinnen und meiner Familie auf diesem Markt zu hinterlassen. Hatte sich richtig Mühe gegeben, ihnen zu imponieren. Sich Sorgen gemacht, mein Stiefvater könnte ihn nicht leiden und mit dem Witze darüber gerissen er sei der zukünftige Schwiegersohn. Warum gebe ich mir diese Mühe, wenn ich denjenigen doch gar nicht will? Ich wollte alles beenden in diesem Moment. Natürlich wollte ich das. Das wollte ich auch später noch öfter. Aber ich konnte es nicht. Und als er mich an diesem Abend zum Essen einlud, da sagte ich obwohl ich genau wusste, dass ich es nicht sollte, ja.
Ich hatte ihn um nichts gebeten als um eine faire Chance. Eine faire Chance, dass wir uns kennen lernten. Ohne den Hintergedanken, dass es sowieso nichts werden würde. Ich hatte fest daran geglaubt, dass er das auch tun würde. An diesem Abend redeten wir auch darüber, dass er schon immer nach Paris wollte. Dass das einer seiner Träume wäre. Es war kurz vor Weihnachten, ich bin eindeutig zu nett, noch viel offensichtlicher naiv und ich hatte Kontakte.
An Weihnachten lag ein Brief für ihn bereit. Ein Brief darüber, dass ich lange überlegt hatte, wie ich ihm eine Freude machen konnte. Dass ich ihm etwas schenken wollte, worüber er sich so sehr freuen könnte, wie ich darüber, in seiner Nähe zu sein. Ich schenkte ihm ein Wochenende Parisurlaub. Er freute sich unfassbar. Klar, er war der Meinung ich bin nicht mehr ganz dicht, weil er genau wusste, dass ich das Geld eigentlich nicht gehabt hätte, aber ich versicherte ihm mehrfach, dass er nichts drauf legen musste und das nicht so teuer war.
Vor dem Urlaub gingen wir noch oft zusammen weg. Wir gingen ins Theater. Essen. Spazieren. Lagen auf seiner Couch und schauten Serien. Redeten. Verbrachten Silvester und Neujahr mit meiner besten Freundin. Als wir nach Paris fuhren, nahm ich mir fest vor, dass ich nicht ohne einen geklärten Beziehungsstatus aus Paris zurückkommen würde. Entweder wir waren zusammen oder das war beendet. Als wir in den Bus einsteigen und er mich direkt in seine Arme zog, war mir bereits klar, wie es enden würde. Als wir Hand in Hand durch die Stadt der Liebe liefen, gab es keinen Zweifel mehr daran. Als ich Nachts in einem viel zu schicken Hotel auf seinem Schoss saß und mich vorbeugte um ihn zu küssen, war ich bestätigt. Bis er anfing zu sprechen: Ob ich ein Problem damit hätte, wenn wir uns nicht küssen. Ich fragte natürlich nach, warum. Er fühle sich unwohl dabei. Autsch. Ich sagte ihm, dass ich ihn bisher kein einziges Mal von mir aus geküsst hätte und es jedes Mal von ihm ausgegangen wäre. Ja aber nur weil ich dich im Affekt geküsst habe, heißt das ja nicht dass ich mich dabei wohl gefühlt habe. Autsch. Wie man es schafft, jemanden über Monate hinweg im Affekt zu küssen, das verstehe ich bis heute nicht, aber dass er mir in dem Moment das Herz gebrochen hatte, das merkte ich sofort. Ich küsse eigentlich nur, wenn ich jemanden liebe. Dieses letzten bisschen Herz, das noch zusammengehalten hatte, wäre dann jetzt auch hinüber. Danach kamen noch mehr Spitzen. Zum Beispiel jene, dass ihm zum glücklich sein nur noch eine Frau und Kinder fehlen. Er habe die Richtige aber noch nicht gefunden. Aber er suche weiter. Aua.
Ich habe mich so sehr darüber aufgeregt, dass ich mich übergeben musste. Dennoch hatte er mich Sonntags wieder so um den Finger gewickelt, dass ich wieder seine Hand hielt. Dass ich mit ihm lachte. Dass ich an seiner Schulter einschlief als wir zurück fuhren.
Ich hätte das nie wieder angesprochen. Ich wurde sehr ruhig nach Paris, was an mehreren Faktoren lag. In der Woche nach dem Urlaub hatte ich einen Termin beim Frauenarzt. Vorsorgeuntersuchung. Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, weil wir verhüteten. Ich darf aus gesundheitlichen Gründen keine Pille nehmen, aber es gab ja schließlich auch andere Wege. Wege, die offenbar auch mal kaputt gingen. Als ich es erfuhr, dachte ich meine Welt bräche zusammen. Der Typ, dem ich anscheinend so sonst wo vorbei ging und der die Richtige suchte, wie sollte ich ihm erklären, dass er in weniger als neun Monaten etwas um sich herumlaufen haben würde, das ihn auf alle Zeit daran erinnern würde, dass es mich gab?
Ich wusste es ungefähr eine Woche und ich hatte mit niemandem darüber gesprochen, als meine beste Freundin ihm eine ziemlich wütende Nachricht darüber schrieb, warum er die Dreistigkeit besitzt, ihr zu schreiben, obwohl er so mies zu mir im Urlaub war. Natürlich stellte er sich dumm. Das macht er immer. Sofort rief er bei mir an und meinte, wir sollten uns treffen und reden. Ich willigte ein, obwohl ich so nervös war wie nie zuvor.
Wir sprachen uns über Paris aus. Darüber, dass er verstehen könnte, warum mich das so verletzt hatte und darüber, dass er nicht einmal wisse, warum er das gesagt hatte. Dass ich ihm nicht egal wäre und dass die Situation für ihn sehr schwer wäre. Dass er ja wisse, dass ich perfekt für ihn wäre. Alles leere Worte, wenn man bedenkt, dass er mit seinem zu jung-Argument wieder alles zum Einsturz bringt. Wenn doch jemand so perfekt für mich ist und mir ach so wichtig. dann ist mir das Alter doch egal, oder? Ich meine, ich kann ihn verstehen. Bis zu einem gewissen Punkt. Aber dieser Punkt ist schon lange überschritten.
Ich wollte es ihm sagen, wirklich. Aber ich konnte es nicht. Nicht so. Ein paar Tage später fand eine Freundin von mir es durch Zufall heraus. Zufall. wieder glaube ich nach allem, was danach passierte, nicht an einen Zufall.
Anfang Februar kam ich mit starken Blutungen ins Krankenhaus. Durch eine Hormonstörung wusste ich bereits länger, dass jede Schwangerschaft bei mir ein Risiko sein würde. Natürlich wusste ich irgendwo, dass es besser war, aber ich konnte damit nicht umgehen. Insbesondere weil ich komplett alleine damit war. Besagte Freundin mahnte mich regelmäßig an, ich solle es ihm sagen. Ansonsten sprachen wir nicht darüber. Dass ich eine Fehlgeburt hatte, das wollte ich ihr erst recht nicht sagen. Sie erfuhr es als sie mich in einem sehr emotionalen Moment wieder dazu aufforderte, mit ihm zu reden und ich ziemlich aggressiv damit rausplatzte, dass es sich erledigt habe.
Am Valentinstag eskalierte die Situation dann komplett. Ich überlegte immer noch fiebrig, wie ich ihm sagen sollte, was passiert ist. Aber ich konnte es nicht. Mit jedem Tag, der verging, wurden die Szenarien, die ich mir ausmalte, schlimmer. Ich hatte Angst, dass er mir vorwerfen würde, zu lügen. Ihn an mich zu ketten. Ihm ein Kind unterzuschieben. Ich hatte panische Angst. Und dann war ich auf dem Geburtstag der eben genannten Freundin und ihre Schwester erzählte stolz davon, Abends ein Date mit einem Typ aus dem Internet zu haben. Er wäre so toll und süß. Natürlich wollten wir alle ein Foto sehen. Und es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich lachte darüber, erzählte ihr, was für ein witziger Zufall es sei, da es sich um einen Freund von mir handeln würde. Natürlich erzählte ich nichts davon, was zwischen uns war oder ist oder nie sein wird. Ich sagte nur, dass er ein sehr lieber Freund von mir wäre und ich mich sehr für die beiden freuen würde, wenn es klappt. Kurz darauf verschwanden sie und meine Freundin kurz. Als sie zurück kamen, nahm sie mich mit in eine etwas ruhigere Ecke und sagte mir, dass ihre Schwester ihr gesagt habe, dass der Typ eben nicht nur ein Freund wäre. Und dass sie mir etwas zeigen möchte. Offensichtlich hatten die beiden ein langes Gespräch über Expartner und Liebschaften. Dort erzählte er ihr, dass er zwei Affären hätte. Erster Schlag, denn er hatte mir mehrfach versichert, es gäbe nur mich. Und dass eine der beiden etwas unglücklich verlief. Da sie Gefühle hatte die er nicht hätte erwidern können. Dass er sich unwohl fühlte. Und auf die Frage, ob er noch Kontakt mit ihr hätte, antwortete er, dass es sich um keine enge Freundin handeln würde, sondern eine Bekanntschaft mit der er zwangsläufig noch Kontakt hatte. Meine Welt brach zusammen. Ich hatte ihm alles anvertraut, hatte mit ihm über Dinge gesprochen, über die ich noch nie vorher geredet hatte und ich war nichts als eine Bekanntschaft? Die man zwangsläufig sehen musste? Mit den Worten Vielleicht stürz ich mich dann auch gleich einfach vom Dach, dann muss man mich auch nicht zwangsläufig sehen verließ ich den Geburtstag und fuhr weinend nach Hause. Die Schwester meiner Freundin schrieb ihm daraufhin eine Nachricht, dass sie sich nicht mit ihm treffen würde und schilderte das Problem. Er antwortete ihr nur, dass er das Missverständnis gerne mit ihr klären würde, es aber nicht könne, weil es gerade Wichtigeres gäbe. Dann rief er mich an.
Natürlich ging ich nicht dran und ich ignorierte auch seine Nachrichten. Seine Nummer hatte ich bereits gelöscht. Mit der Nachricht Ich will über uns sprechen hatte er mich allerdings auf dem falschen Fuß erwischt und ich antwortete zickig Welches 'uns'?. Er überzeugte mich davon, mich mit ihm zu treffen obwohl ich darauf absolut keine Lust hatte. Wir saßen in seinem Auto und er redete. Wie alles nur ein dummes Missverständnis sei. Ich starrte aus der Scheibe und ignorierte ihn. Bis er losfuhr. Wir fuhren fast zwei Stunden weil er mir etwas zeigen wollte. Als wir anhielten, war die Sonne am untergehn und wir waren auf einem Waldparkplatz in Frankreich. Ob ich mit ihm spazieren gehen würde. Natürlich sagte mir alles, dass ich nicht mit ihm in einen dunklen Wald irgendwo von zu Hause weg gehen sollte. Schon gar nicht ohne Handy, dass ich in meinem eigenen Auto gelassen hatte. Aber dennoch tat ich es. Es war stockdunkel, ich war mitten im Wald und ich fühlte mich trotzdem sicher.
Ich habe ihm alles an den Kopf geworfen. Alles, wovon ich Angst hatte, es ihm zu sagen, weil ich wusste, dass er dann gehen würde. Nur die Fehlgeburt, die erwähnte ich nicht. Ich war nicht bereits dafür. Er versicherte mir, dass ich ihm wichtig sei. Dass er gerne mehr Zeit mit mir verbringen wolle, aber Angst habe, mich mit seiner Nähe zu verletzten. Dass er selbst nicht weiß, wie er das zwischen sich und mir bezeichnen solle. Nach zwei Stunden in der totalen Finsternis einigten wir uns darauf, Freunde zu sein. Darauf, dass wir wirklich nur noch Freunde wären. Als ich mit ihm nach Hause fuhr um eine Kleinigkeit zu essen, lagen wir wieder kuschelnd beisammen. Mehr passierte allerdings nicht.
Am nächsten Tag feierte er seinen Geburtstag nach. Er hatte mich erst jetzt eingeladen, also dachte ich, dass es eine Frage aus Höflichkeit war, auf die ein Nein erwartet wurde. Als er mich morgens fragte, ob ich Lust und Zeit hätte, mit ihm vorzubereiten, fand ich das zwar schon etwas dreist, willigte aber ein. In Jogginghose und ungeschminkt tauchte ich bei ihm auf und erst als er mich fragte ob ich für heute Abend Wechselkleider dabei hätte oder noch mal heim fahren würde, verstand ich, dass die Einladung ernst gemeint war. Ich bereitete den ganzen Morgen mit ihm alleine, später mit seiner Schwester und seinem Vater vor. Mal wieder waren alle der Meinung, ich sei die neue Freundin. Was sollten sie auch sonst denken, wo man mich doch jetzt zum wiederholten Mal mit ihm sah und ich mich besser in seiner Küche auskannte, als seine Familie? Bevor ich dann auch seinen gesamten Freundeskreis kennenlernte, spielte ich mit seinem Neffen und ich habe mich so zugehörig gefühlt, es tat regelrecht weh, zu wissen, nie ein Teil dieser Familie zu sein. Da ich zur Zeit aus verschiedenen Gründen absolut keinen Alk. vertrage, war ich recht schnell so fertig, dass ich einschlief. Ich wollte mich eigentlich nur kurz in sein Bett legen und die Augen zu machen. Aus nur kurz wurden dann sechs Stunden. Als ich wach wurde, lag er auf der Couch und schlief. Am nächsten Morgen verbrachte ich den ganzen Tag damit, ihm aufräumen zu helfen.
Immer noch ist alles zwischen uns so vertraut und jeder Handgriff perfekt aufeinander abgestimmt. Er spricht im wir von uns, ich lasse es geschehen. Immer noch gibt er mir das Gefühl, geliebt zu werden und sagt mir im nächsten Moment unmissverständlich, dass es nicht so ist. Und dann sollte Anfang dieser Woche alles noch komplizierter werden.
Wir hatten gerade dieses Basis. Natürlich, die Linie zwischen nur Freunde und dem, was wir hatten, war sehr dünn, aber ich hatte ihn in meiner Nähe und er tat mir gut. Dann meldete sich die Schwester meiner Freundin wieder bei ihm. Sie wollte, dass er den Kontakt mit mir abbreche. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist in diesem Moment. Sie erklärte ihm, nicht mit ihm auszugehen solange es mich in seinem Leben gäbe, da sie genau weiß, dass ich ihn ihr ausspannen würde. Als wäre dieser Vertrauensbruch ihrerseits nicht schon schmerzhaft genug gewesen, nein, da nimmt sie sich auch das Recht raus ihm zu sagen, er solle mich mal auf meinen letzten Frauenarztbesuch ansprechen. Es könnte ihn interessieren. Dienstag saßen wir zusammen in seinem Wohnzimmer und ich erzählte es ihm. Dass ich es wusste und mich nicht getraut hatte, es ihm zu sagen. Und dass ich komplett allein mit dem Schmerz war. Es kam mir vor, als hätte ich es jemandem erzählt, der gar nichts damit zu tun hatte. Er hatte Mitleid mit mir und es tat ihm unendlich leid, aber er wirkte nicht persönlich betroffen. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte zu hören. Aber Wenigstens müssen wir uns jetzt keine Gedanken darum machen, was wir machen. war nicht das, was ich erhofft hatte. Ich will das gar nicht so hoch bewerten, vermutlich hätte ich an seiner Stelle aus reinem Selbstschutz auch so reagiert. Ich weiß es nicht. Ein paar Sätze später sagte er zu mir, ich solle mir doch mal eine Miniversion von uns vorstellen und dass das ja schon süß wäre. Ich saß bis mitten in die Nacht bei ihm und wir redeten über alles mögliche. Eine riesige Last fiel mir von den Schultern, eine andere baute sich auf. Nur Freunde sollten dieses Gespräch nicht führen müssen. Und nur Freunde sollten auch nicht dieses Gefühl haben, dass ich trotz allem ihm gegenüber habe.
Alle sagen mir, dass er mit mir spielt. Und vermutlich haben auch alle Recht damit. Aber ich sehe es nicht so. Ich habe ihn auf eine Art gesehen, auf die ihn nur wenige gesehen haben. Ich erkenne, wenn er sich schlecht fühlt und er erkennt es bei mir. Wir sind so vertraut miteinander, dass es mir Angst macht. Einmal nimmt er mich in dem Arm, sagt mir dass er nicht wüsste was er ohne mich machen soll, dass ich ihm so gut tue und dass er ohne mich nicht könnte. Dann erzählt er mir, dass die einzige Frau in den letzten Jahren bei der er wirklich instinktiv gedacht hatte, es würde passen, die Schwester meiner Freundin war. Und dann dass er gar keine Frau bräuchte in seinem Leben.
Ich werde nicht schlau aus ihm und tief in mir weiß ich, dass ich abschließen muss. Dass ich das schon lange hätte tun sollen. Aber er ist mir zu wichtig. Auch als Freund würde ich es nicht schaffen, ihn gehen zu lassen. Es ist mir wichtiger, ihn als Freund bei mir zu wissen, als als potentielle Liebschaft. Aber das macht es eben auch nicht einfacher, damit zurecht zu kommen.
Seit Dienstag habe ich noch mehr Angst. Angst davor, dass er irgendwann versteht, was ich ihm da gesagt habe, denn ich glaube nicht, dass das schon wirklich bei ihm angekommen ist. Ich habe Angst, dass er verschwindet - von heute auf morgen. Oder dass er jemanden kennenlernt. Durch ihn fühle ich mich besser, als wäre ich eine bessere, glücklichere Version von mir. Ich fühle mich sicher und geborgen, als könnte um mich herum alles in Flammen stehen und ich wäre trotzdem nicht in Gefahr.
Ich wünsche ihm alles Gute dieser Welt, denn das hat er in meinen Augen verdient. Es gibt tausende von Gründen dafür, warum er jemanden verdient, der ihm die Welt zu Füßen legen würde. Der ihn stützt und ihm Halt gibt. Ich suche nur immer noch nach diesem einen Grund, warum ich nicht die eine sein kann.
02.03.2018 13:53 •
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